Haus ohne Hüter

Haus ohne Hüter

Die Versteigerung des ehemaligen Invalidenheims ist gescheitert. Nun wollen die staatlichen Denkmalschützer einziehen

23. 8. 2016 - Text: Franziska Neudert, Titelbild: Petr Vilgus, CC BY 3.0

Es gab in den vergangenen Wochen kaum einen Tag, an dem „eines der beeindruckendsten architektonischen Geheimnisse Prags“ – so beschrieb es der Tschechische Rundfunk – nicht in den Medien auftauchte. Nachdem der Staat das ehemalige ­Invalidenheim (Invalidovna) zur Versteigerung freigegeben hatte, wurde das barocke Gebäude in Karlín zum Dauer­thema. Denkmalschützer und Kunsthistoriker befürchteten, ein privater Investor könnte es ersteigern und zu kommerziellen Zwecken umgestalten. In einem öffentlichen Brief an Premier­minister Bohuslav Sobotka (ČSSD) forderten sie die Regierung Ende Juli auf, die Invalidovna in Staatsbesitz zu wahren und warnten davor, den historischen Bau zu kommerziellen Zwecken zu missbrauchen.

„Wir sind überzeugt, dass der Verkauf und die anschließende Sanierung ein irreparabler Fehler wäre, der eines der wertvollsten Denkmäler seiner Art in Europa gefährden würde“, schrei­ben Kunsttheoretiker und Archi­tekten der Universitäten und Kunsthochschulen von Prag, Olomouc und Brünn. Weltweit gibt es nur ein vergleichbares Heim für Kriegsversehrte – das Pariser Hôtel des Invalides, das „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. 1670 errichten ließ. „Das Einkaufszentrum Palla­dium und weitere Beispiele ähnlicher Umgestaltungen zeigen, wie radikal und unwiderruflich das die Denkmäler beschädigt“, heißt es in dem Brief weiter. Allein der Staat könne ein solches Juwel schützen, sind sich die Verfasser einig.

Im Inneren der Invalidovna

Auch die stellvertretende Oberbürgermeisterin Petra Kolínská (Grüne) spricht sich gegen die geplante Versteigerung aus: „Wir wollen nicht die Fehler der neunziger Jahre wiederholen, als wichtige Grundstücke und wertvolle Kulturobjekte an private Investoren verkauft wurden, nur aus Ratlosigkeit, wie man mit dem Eigentum umgehen soll.“ Die Politikerin forderte ebenfalls, die Auktion abzubrechen. Ihr zufolge sei die Stadt Prag bereit, sich aktiv am Wiederaufbau und Erhalt des barocken Baus zu beteiligen.

Die Invalidovna wurde dennoch zur öffentlichen Versteigerung ausgeschrieben, am 8. August sollte sie zu einem Mindestgebot von 638 Millionen Kronen (etwa 24 Millionen Euro) unter den Hammer kommen. Allerdings blieben die Gebote aus. Nun will die Denkmalschutzbehörde (NPÚ) das Gebäude nutzen. Einen entsprechenden Antrag reichte sie kurz nach der gescheiterten Auktion beim Amt für die Vertretung des Staates in Eigentumsangelegenheiten ein, das die Invalidovna derzeit verwaltet.

Betreten verboten
Die Denkmalpfleger planen, in dem Gebäude den Sitz ihrer Behörde einzurichten und wollen es der Öffentlichkeit zugänglich machen. Wie NPÚ-Sprecherin Jana Tichá sagte, könnten darin kulturelle Veranstaltungen stattfinden. „Es ist uns sehr wichtig, dass die Öffentlichkeit Zugang zu dem Gebäude hat, damit es nicht zu einem abgeschlossenen Areal wird, sondern ein lebendiger Teil der Stadt bleibt“, so Tichá.

Vom Vítkov aus kann man die Größe des Gebäudes erahnen.

Demnächst wollen die Denkmalschützer mit Kulturminister Daniel Herman (KDU-ČSL) über die Nutzung der Invalidovna verhandeln. Experten zufolge belaufen sich die Kosten für deren Sanierung auf bis zu 2,5 Milliarden Kronen (etwa 93 Millionen Euro). Weitaus günstiger schätzt die „Iniciativa pro Invalidovnu“ die Reparaturen ein. Nisan Jazairi rechnet mit rund 170 Millionen Kronen. „Die Rekonstruktion kann auch so aussehen, dass das Gebäude im Wesentlichen bleibt, wie es ist. Natürlich müssen Fenster und Fußböden repariert sowie elek­trische Leitungen und Heizungen installiert werden“, meint Jazairi. Gemeinsam mit der Initiative setzt er sich dafür ein, dass das Gebäude in die Liste der Nationalen Kulturdenkmäler aufgenommen wird. Denkbar sei für ihn auch, in dem Gebäude ein Museum für die österreichisch-ungarische Vergangenheit einzurichten.

Auf eine kleine Reise in die Vergangenheit begibt sich, wer den Bau in Karlín aufsucht. Während die Stirnseite mit dem Haupteingang schön hergerichtet ist und den Eindruck eines herrschaft­lichen Anwesens hinterlässt, bröckelt nur wenige Meter um die Ecke der Putz von der Fassade. Durch einen Bretterverschlag, der davor warnt, das militärische Anwesen zu betreten, erblickt man ein von Grün überwuchertes großes Feld.

Filmkulisse für Hollywood
Kaiser Karl VI. gab das Hospital für Veteranen 1731 in Auftrag. Ursprünglich sollte nach dem Pariser Vorbild eine Siedlung entstehen, in der bis zu 4.000 Soldaten mit ihren Familien ­Unterkunft finden. Regelrecht als Stadt in der Stadt konzipiert, waren für die Anlage neben einem Krankenhaus auch eine Kirche, Schulen und Geschäfte vorgesehen. Da das Geld jedoch nicht ausreichte, wurde letztlich nur ein Neuntel des ursprünglichen Entwurfs umgesetzt. Nach den Plänen des Wiener Architekten Josef Emanuel Fischer von Erlach führte Kilian Ignaz Dientzenhofer ein quadratisches Gebäude mit einer Seitenlänge von 100 Metern aus. Es verfügte über eine eigene Bäckerei und Brauerei, ein Hospital sowie einen Friedhof.

Im Jahr 1735 bezogen die ersten 200 Soldaten das Heim, zeitweise fanden bis zu 1.200 darin eine Unterkunft. 200 Jahre später verließen die letzten Veteranen das Gebäude, als das Militär 1935 sein neues Sanatorium im ostböhmischen Hořice v Podkrkonoší (Horschitz) eröffnete. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte das Verteidigungsministerium das Gebäude als Archiv. Erheblichen Schaden richtete das Hochwasser im Jahr 2002 an. Beinahe drei Meter hoch stieg der Pegel in den Mauern und vernichtete zahlreiche ­Dokumente.

Das Militärhistorische Archiv verließ 2014 die Invalidovna. Im Frühjahr vergangenen Jahres gab das Verteidigungsministerium bekannt, das Gebäude als nicht genutzten Vermögenswert verkaufen zu wollen und übertrug es dem Amt für Eigentumsangelegenheiten. Interesse an dem Barockbau hatten bisher jedoch nicht Investoren, sondern vor allem Filmemacher. Nachdem die Invalidovna bereits als Kulisse für David Leans „Doktor Schiwago“ und Miloš Formans „Amadeus“ diente, drehte Sönke Wortmann Ende 2015 darin die Krankenhausserie „Charité“.