Grabenkämpfe um ein nationales Symbol

Grabenkämpfe um ein nationales Symbol

Politische und religiöse Konflike begleiteten die Errichtung des Jan-Hus-Denkmals vor 100 Jahren

6. 3. 2014 - Text: Josef FüllenbachText und Foto: Josef Füllenbach

„Denkmale haben… allerhand Eigenheiten. Die wichtigste davon ist ein wenig widerspruchsvoll; das Auffallendste an Denkmälern ist nämlich, daß man sie nicht bemerkt. Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler. Sie werden zweifellos aufgestellt, um gesehen zu werden, ja geradezu, um die Aufmerksamkeit zu erregen; aber gleichzeitig sind sie durch irgendetwas gegen Aufmerksamkeit imprägniert…“ Das schrieb Robert Musil Ende 1927.

Ob die Prager schon Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts diese Einsicht hatten und sich deshalb für den Entwurf eines monumentalen Jan-Hus-Denkmals des Bildhauers Ladislav Šaloun entschieden? Für ein Denkmal also, das auch ein hastiger Fußgänger nicht so leicht übersehen dürfte? Die heutigen Prager Stadtväter scheinen sich hingegen Mühe zu geben, das bekannte Diktum von Musil auch im Falle des Hus-Denkmals zu bestätigen: Sie ließen um das Denkmal herum einen Kreis von Sitzbänken aufstellen, auf denen derjenige, der überhaupt Zeit hat zu verweilen, gleichsam automatisch seinen Rücken Jan Hus zuwendet. Und man kann lange herumfragen, bis man eine richtige Antwort erhält auf die Frage, was denn das Denkmal neben Jan Hus sonst noch zur Anschauung bringt.

Dieses wahrlich kaum zu übersehende Denkmal erregte die meiste Aufmerksamkeit in den 25 Jahren vor seiner Errichtung. Ja, in Böhmen dürfte schwerlich ein anderes Denkmal zu finden sein, dessen Planung und Errichtung von so leidenschaftlichen und alle sozialen Schichten ergreifenden Konflikten – politischen, nationalen, religiösen und künstlerischen – begleitet war wie gerade das Hus-Denkmal. Seither haben sich die erhitzten Gemüter wieder abgekühlt, nur gelegentlich erinnern öffentliche Einlassungen an die früheren Erregungen: wenn zum Beispiel der bedeutende Literatur- und Kunstkritiker F. X. Šalda das Denkmal als „ins Leere aufschäumend, gestaltlos“ schmäht (1929); oder wenn der ehemalige Generaldirektor der Nationalgalerie, Milan Knížák, vorschlägt, das Hus-Denkmal auf den größeren Karlsplatz zu verpflanzen (2008); und auch die wieder auflebenden Diskussionen über die Wiedererrichtung der 1918 geschleiften barocken Mariensäule erwecken die alten Debatten um die angebliche Unverträglichkeit dieser beiden Gestalten auf dem Altstädter Ring zu neuem, aber kurzatmigem Leben.

All das ist freilich nur ein blasser Widerschein der Grabenkämpfe, Pressefehden und Durchstechereien, die seit 1889 den Weg zur Errichtung des Hus-Denkmals markierten, dessen Richtfest vor hundert Jahren, am 5. März 1914, stattfand und dessen Enthüllung am 6. Juli 1915, dem 500. Todestag von Jan Hus, wegen des inzwischen ausgebrochenen Krieges ohne alle geplanten Feierlichkeiten auskommen musste. Dabei war es eher ein Zufall, der den Stein ins Rollen brachte. Am 25. November 1889 diskutierte nämlich der Böhmische Landtag die Frage, welche bedeutenden Gestalten der böhmischen Geschichte auf besondere Weise geehrt werden sollten. Der Plan war, mit ihren Namen insgesamt 72 rote Granittafeln zu versehen, die man als ein Band weithin sichtbar rund um das gerade erbaute Nationalmuseum anbringen wollte. In dem Vorschlag, der auf dem Tisch lag, fehlte jedoch der Name Jan Hus. Das veranlasste den jungtschechischen Abgeordneten Josef Šíla zu einer flammenden Philippika, die schon das Stakkato vorgab für die Debatten der nächsten Jahre: „Die tschechische Nation schaut mit Stolz und Dankbarkeit auf diesen Mann, sie bekennt sich vor der ganzen Welt zu ihm; die tschechische Nation ehrt und preist ihn jetzt und immerdar.“ Und zur Hussitenbewegung: „Wer möchte in Kenntnis der Geschichte behaupten, dass das Volk der Tschechen noch im Kreis der lebenden Völker zu finden wäre, wenn es nicht jene mächtige hussitische Bewegung gegeben hätte? In jener Zeit wurde uns die Prager Universität zurückgegeben, wurden Macht und Vorherrschaft der Fremden gebrochen…“

Denkmalfieber
In der folgenden Debatte im Landtag schenkten sich die Opponenten nichts. Aber erst der letzte Redner, Fürst zu Schwarzenberg, trieb die Hus-Verehrer zur Weißglut, als er die Hussiten als „eine Bande von Räubern und Mordbrennern“ beschimpfte. Im Landtag verging einige Zeit, bis wieder Ruhe einkehrte; in der Öffentlichkeit dauerte es nach Bekanntwerden von Schwarzenbergs „blasphemischer“ Äußerung nicht lange – genau bis zum 29. November, bis sich die Diskussion vom harmlosen Votivtäfelchen zum Projekt eines Denkmals wandte. Und mit Verwunderung stellte man sich jetzt die naheliegende Frage: Wie kann es sein, dass in vielen böhmischen Provinzstädten schon Hus-Denkmäler entstanden sind, aber keines in Prag?

Den Verlauf der jahrelangen Auseinandersetzungen nachzuzeichnen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Schon seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts war ein regelrechtes Denkmalfieber ausgebrochen, wobei die Wahl der Objekte sowie die Gestaltung und Platzierung der Denkmäler immer mehr in den Nationalitätenstreit zwischen Tschechen und Deutschen hineingezogen wurden. Doch kein Denkmalprojekt wurde von seinen Protagonisten so sehr im politischen Kampf instrumentalisiert wie das Hus-Denkmal. Der Verein für die Errichtung des Denkmals, im Mai 1890 konstituiert, formulierte das Projektziel so: „Das Denkmal soll nicht so sehr den wirklichen Hus verkörpern, sondern die Bedeutung jener großen Volksbegeisterung des 14. und der folgenden Jahrhunderte für die sittliche und gesellschaftliche Entwicklung der tschechischen Nation.“ Šaloun brachte es später auf den Punkt: „Mein Hus ist keine reale Person, sondern eine riesenhafte, durchgeistigte Erscheinung.“ Das Denkmal „muss das tschechische Volk zum Selbstbewusstsein erwecken und rufen …, ihm das Ideal eines höheren nationalen Lebens vorstellen.“

Ketzerischer Gegenpol
Ein anderer, freilich mit den politischen Absichten verknüpfter Streitpunkt war die Wahl des Platzes. Im Februar 1890 willigte die Stadt ein, das Denkmal auf dem Kleinen Ring aufzustellen. Entsprechend schrieb der Denkmalverein den ersten künstlerischen Wettbewerb für diesen vergleichsweise beengten Raum aus. Nachdem dieser Wettbewerb nicht zu einem realisierbaren Ergebnis geführt hatte, entbrannte die Diskussion um einen angemessenen Platz in voller Schärfe. Als aussichtsreichste Lösungen boten sich der Altstädter Ring (bei lautem Protest vor allem der katholischen Kirche und Verbände, die unmittelbar neben der Mariensäule keinen Ketzer dulden wollten; aber favorisiert von den jungtschechischen Scharfmachern, die wenigstens einen mächtigen Gegenpol zu der als Symbol der Rekatholisierung verhassten Mariensäule, im günstigeren Falle deren Versetzung an den Rand oder gar völlige Beseitigung erhofften) und der Bethlehemsplatz als Ort des Wirkens von Jan Hus an (für diese Variante trat namentlich der spätere erste Präsident der Tschechoslowakei Masaryk ein). Erst nachdem die Stadt 1899 dem Altstädter Ring zugestimmt hatte, konnte der zweite Wettbewerb stattfinden, aus dem Šaloun mit seinem Entwurf als Sieger hervorging.

Die konkurrierenden Entwürfe variierten fast ausnahmslos die verschiedenen Aspekte des Wirkens von Hus als Prediger, Lehrer, Reformator oder Märtyrer und umgaben ihn mit seinen historischen Gefährten und Anhängern. Im Ergebnis waren die Entwürfe entweder zu einseitig oder kompositorisch zu aufgeladen; vor allem aber verharrten sie im Rahmen der konventionellen Denkmalkunst.

Šalouns Hus überzeugte die Jury dagegen durch die weitgehende Lösung von der historischen Konkretheit der Personen und ihrer Aktionen sowie durch die innovative künstlerische Darstellung der „grandiosen Bedeutung Hus’ für die tschechische Nation“. Zwar musste Šaloun auf dem fast fünfzehn Jahre währenden Weg vom siegreichen Entwurf zur Errichtung des Denkmals auf Wunsch der Auftraggeber noch etliche Änderungen vornehmen. Es gelang ihm jedoch, seine ursprüngliche Konzeption im Kern gegen alle Gegenvorstellungen zu verteidigen.

Derzeit wird das Denkmal einer gründlichen Restaurierung unterzogen, die im Juni 2015 und damit rechtzeitig zum 600. Jahrestag der Verbrennung von Jan Hus am 6. Juli 1415 beendet sein soll. Dieser Jahrestag wird gewiss Anlass sein, sich das langwierige Hin und Her der Realisierung des Denkmals erneut in Erinnerung zu rufen und wenigstens für eine kurze Zeit an Musils Feststellung von der mangelnden Aufmerksamkeit für Denkmäler zu zweifeln.

Da viele die Antwort auf die eingangs gestellte Frage nicht so bald an Ort und Stelle finden werden, sei sie hier gegeben: Neben der hoch aufragenden Gestalt von Hus strebt rechts eine Gruppe von hussitischen Kämpfern in Richtung Teynkirche (im 15. und 16. Jahrhundert eine der wichtigsten Reformkirchen), während sich links eine Gruppe geschlagener Hus-Anhänger zum Rathaus hin duckt, vor dem 27 böhmische Aufständische 1621 hingerichtet wurden. Auf der Rückseite symbolisiert eine Mutter mit Kindern die Erweckung der Nation.