Fluch und Segen

Fluch und Segen

Startschwierigkeiten: Seit einem halben Jahr rollen hunderte E-Scooter durch Prag – und sorgen immer noch für Ärger

16. 6. 2019 - Text: Marcus Hundt, Titelbild: Marek Ruciński

Für Dagmar Čermáková sind sie eine echte Plage. „Entweder stehen sie im Weg rum oder man erschreckt sich, wenn sie von hinten an einem vorbeirasen.“ Am besten sollten die „dummen Spielzeuge“ doch einfach verboten werden. Was die Mittfünfzigerin so aufregt, sind die sogenannten E-Scooter, die seit Herbst 2018 in Prag verliehen werden.

Mittlerweile finden sich in der Hauptstadt über 800 der schwarz-weißen Tretroller mit Elektroantrieb. Betrieben wird das Sharing-System von LimeBike. Wie der Name vermuten lässt, verleiht das 2017 in San Francisco gegründete Unternehmen neben Rollern auch Fahrräder, und das in mehr als 130 Städten weltweit. In Europa rollen die E-Tretroller von Lime bereits durch die Straßen von Wien, Zürich, Basel oder Warschau – und ab Juli wahrscheinlich auch durch Berlin und Frankfurt.

E-Scooter sind teurer als Bus, Bahn oder Leihfahrräder. Manchmal aber auch schneller.

Bisher springen (nicht nur) in Prag vor allem junge Leute auf das alternative Verkehrsmittel an. Besonders beliebt sind die E-Scooter bei Touristen, die selbstredend in der Innenstadt umhercruisen. Aber auch Ortskundige schnappen sich immer öfter einen Roller, um kurze Strecken zurückzulegen. Einer von ihnen ist Jan Maceček, 24 Jahre, Versicherungsangestellter. „Bei schönem Wetter nehme ich manchmal so einen Roller und fahre von Žižkov zur Firma nach Karlín. Mit der Straßenbahn muss ich immer umsteigen. Die Fahrt mit dem Roller macht dann doch mehr Spaß und ich bin damit sogar etwas schneller auf Arbeit“, sagt Maceček. Was Distanz und Fahrtdauer betrifft, ist er ein typischer Lime-Nutzer. Laut Angaben des Unternehmens legen die Kunden in Prag im Schnitt 1,6 Kilometer zurück und brauchen dafür neun Minuten.

Das Ausleihen geht relativ einfach: Nachdem man einmal mit dem Smartphone die Lime-App (Google Play | App Store) heruntergeladen und ein paar persönliche Daten (einschließlich die der Kreditkarte) eingegeben hat, scannt man einfach den Code des ausgewählten Rollers ein und los geht’s. Pro Fahrt werden eine Pauschale von 25 Kronen (also etwa ein Euro) und für jede angefangene Minute vier Kronen berechnet. Öffentliche Verkehrsmittel, aber auch klassische Leihfahrräder (wie die von Rekola) sind da etwas günstiger, aber manchmal eben auch langsamer …

E-Roller auf dem Kleinseitner Ring | © Stefan Ludwig, PZ

„Überall auf der Welt sehen wir doch, dass in jeder Großstadt die gleichen Probleme herrschen: Verkehrsstaus, zu wenige Parkplätze und eine hohe Luftverschmutzung. Mit Lime kommt man schnell und bequem durch die Stadt, und das emissionsfrei“, zählt der für Tschechien zuständige Lime-Manager Ondřej Široký einige Vorteile auf. Dabei gibt es auch mancherlei Probleme.

Wie Dagmar Čermáková stören sich viele Prager an den neumodischen Zweirädern. Hauptaufreger sind das Fahren auf dem Bürgersteig und das „wilde Parken“. Ein Blick auf eine Statistik der Stadtpolizei verrät: Etwa 90 Prozent solcher Beschwerden betreffen derzeit E-Scooter, nur zehn Prozent Fahrräder.

Ein Verbot der Roller lehnt die Stadt Prag allerdings ab – im Gegensatz etwa zu Segways (die seit Ende 2016 nicht mehr in der Innenstadt fahren dürfen) oder Beerbikes (die am 1. August verboten werden). „Thekenfahrräder bringen Prag das Image einer Stadt des Alkohols ein. Fahrräder und E-Scooter sind hingegen ein positiver, umweltfreundlicher und moderner Bestandteil des Verkehrs“, meint der Bürgermeiser des ersten Stadtbezirks Pavel Čižinský (Praha sobě).

Eine ähnliche Ansicht vertritt auch der stellvertretende Oberbürgermeister Adam Scheinherr (Praha sobě). Allerdings müssten sich die Dienstleister auch an klare Regeln halten. Da die Stadt Prag keinen direkten Einfluss darauf habe, abgesehen von einem generellen Verbot, setzt Scheinherr auf den Dialog mit den Anbietern. Firmen wie Lime sollten „ihre Kunden informieren, wie sie sicher fahren und die Roller richtig abstellen.“ Außerdem verhandelt der Magistrat derzeit mit den Stadtbezirken über geeignete Abstellplätze. Den Anfang machte bereits Prag 1, wo seit Anfang Juni entsprechende Plätze ausgewiesen sind.

Viele Prager beschweren sich über das „wilde Parken“ | © PZ

Für die Nutzer der Tretroller gelten in Tschechien die gleichen Regeln wie für Radfahrer. Drei davon müssen sie seit kurzem über die App einzeln bestätigen: Gehwege sind tabu, das Tempolimit muss eingehalten und die Roller so abgestellt werden, dass sie niemanden behindern. Wer die Regeln missachtet, muss mit einem Bußgeld von bis zu 2000 Kronen (rund 80 Euro) rechnen. Laut Verleihunternehmen sollten die Fahrer auch einen Helm tragen, allerdings ist das keine Pflicht.

Um die Beschwerden möglichst gering zu halten, schickt Lime ein eigenes Team auf Streife. Schon bald sollen über 40 geschulte Kontrolleure nicht nur den Zustand der E-Roller überprüfen, sondern auch ob sie korrekt abgestellt wurden. Außerdem kann Lime über ein GPS-System nachverfolgen, wenn ein Kunde einen Regelverstoß begangen hat.

Parken verboten: In einem Großteil der Innenstadt dürfen die E-Scooter nicht abgestellt werden.

Einigen gehen die von Lime getroffenen Maßnahmen allerdings nicht weit genug. Etwa dem zweiten Stadtbezirk. Schon kurz nach der Einführung der E-Scooter vereinbarte das Rathaus mit Lime, dass die Tretroller im größten Teil von Prag 2 nicht abgestellt werden dürfen. Der Stadtbezirk verlangt sowohl einen „Nachweis über die Verkehrstauglichkeit der Fahrzeuge“ als auch eine „Liste mit geeigneten Abstellplätzen“. Erst wenn die Dokumente vorliegen und Prag 2 grünes Licht gibt, können die Lime-Nutzer ihren Roller auch in der Neustadt und in Vinohrady stehen lassen. Die „Parkverbotszonen“ sind in der App (in einem von Google bereitgestellten Stadtplan) rot gekennzeichnet. Das Abstellen ist dabei nicht nur zwischen Karlsplatz und Friedensplatz untersagt. Auch in Parkanlagen und auf Brücken dürfen keine E-Scooter stehen – ebenso wenig auf den klassischen Touristenpfaden in Prag 1.

Standorte verfügbarer E-Roller (mit aktuellem Akkustand) | © Screenshot, Lime-App

Im Zentrum lohnt sich eine Fahrt mit dem Lime-Roller ohnehin kaum: zu viele Einbahnstraßen, zu viele Anstiege und fast überall Kopfsteinpflaster. Der 250-Watt-Motor lässt keine Höhenflüge zu. Und rasante Bergab-Fahrten sind laut Lime auch nicht gestattet. Viele Touristen lassen sich trotzdem (noch) nicht davon abhalten.

Bei einem ersten Test im März dieses Jahres wünschte sich der Autor ab und zu, dass er (mit Elektroantrieb) auf dem Gehweg fahren dürfte. Bei rund 30 km/h (angeblich beträgt die Maximalgeschwindigkeit nur 20 km/h) fühlte sich die Fahrt im Stand und so ganz ohne Schutzausrüstung doch etwas gefährlich an. Manche Autofahrer schienen sich beim Anblick des ungewohnten Verkehrsteilnehmers zu erschrecken oder – schlimmer noch: ihn erst gar nicht wahrzunehmen. Der vielbefahrenen Straße entkommen stellte der Letná-Hügel dann die nächste Hürde dar. Nach wenigen Metern stand fest: Ein Lime-S (mit freischwingender Trittfläche) sollte auf keinen Fall geschoben werden, erst recht keine steilen Anstiege hinauf. Die Weiterfahrt nach Holešovice verlief hingegen unkompliziert.

Innerhalb Tschechiens können E-Scooter bisher nur in Prag ausgeliehen werden. Im August will ein junges Start-up namens Eagle in der Studentenstadt Olomouc nachziehen. Falls das Pilotprojekt mit zunächst 50 Tretrollern ein Erfolg wird, will das tschechische Unternehmen auch andere Städte versorgen.

Zahlen am Ende eines Lime-Trips | © Screenshot, Lime-App

Elektrische Mikromobilität: Sharing-Anbieter in Prag

Lime (E-Scooter, Grundpreis: 25 CZK, zzgl. 4 CZK/min)
Freebike (E-Bikes, 2 CZK/min)
Elektro Rekola (E-Bikes, Grundpreis: 15 CZK, zzgl. 2 CZK/min)

Nachtrag, 22.07.2019: Die Leihgebühren für Lime-Roller in Prag sind im Juli von zwei auf vier Kronen pro angefangene Minute erhöht worden. Eine Fahrt kostet damit nun ungefähr genauso viel wie mit den Fahrdiensten Uber und Bolt. Das Unternehmen habe auf die gestiegenen Personalkosten reagiert, sagte Lime-Manager Ondřej Široký. Derzeit stehen rund 1.200 E-Tretroller in Prag bereit, schon bald sollen es 1.500 sein. Mit der Anzahl wächst auch die Wut der Anwohner. Und angesichts der höheren Preise fragen sich immer mehr, auf wen das Unternehmen eigentlich setzt: auf zahlungsfreudige Touristen oder wirklich auf Einheimische?