Flaggschiff in Not

Flaggschiff in Not

Entscheidung des Kulturministers führt zu Kündigungswelle am Nationaltheater. Regierungschef Rusnok lehnt Forderungen der ehemaligen Mitarbeiter ab

7. 8. 2013 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: Oldřich Vaněk

Als Jan Burian am Donnerstagmorgen seine neue Stelle antrat, ahnte er sicher noch nicht, dass er sie zur Mittagszeit schon wieder verlieren würde. Doch die Freistellung währte nur kurz, denn einen Tag später räumte sein Vorgesetzter ein, er habe sich geirrt. Burian hatte seinen Posten wieder. An seinem Arbeitsplatz jedoch herrscht nun das reinste Chaos.

Burian leitet das Nationaltheater in Prag, eine der prestigeträchtigsten Kultureinrichtungen des Landes. Damit hat er auch die Verantwortung für die Staatsoper Prag, das Ständetheater und die Neue Bühne übernommen. Sein Vorgesetzter und Widersacher ist Kulturminister Jiří Balvín – ein Mann, der wegen seines unklaren Manövers binnen kürzester Zeit zu einem Feindbild der tschechischen Kulturszene geworden ist.

Dabei bezeichnete Balvín seinen Entschluss, Burian abzuberufen, zunächst als „logische Konsequenz“. Seine Vorgängerin Alena Hanáková (TOP 09) habe den neuen Theaterdirektor ohne ordentliches Auswahlverfahren ernannt, Burian sei daher nicht „ordnungsgemäß in diese Funktion gekommen“, begründete Balvín lapidar. Welche Folgen seine überraschende Entscheidung nach sich ziehen könnte, ließ der Kulturminister offen. Das Echo auf die Abberufung fiel indes eindeutig aus. Leitende Angestellte des Nationaltheaters und mehr als 20 Mitglieder des Schauspielensembles gaben ihren Rücktritt bekannt, führende Politiker forderten Regierungschef Jiří Rusnok auf, seinen Minister zur Räson zu bringen.

„Balvín bringt keine Fachkompetenz mit, sondern verbreitet vielmehr Unsicherheit und Chaos“, wetterte der stellvertretende Vorsitzende der Bürgerdemokraten Jiří Pospíšil. Als „skandalös“ und „inakzeptabel“ bezeichnete ČSSD-Chef Bohuslav Sobotka das Vorgehen Balvíns. „Ich bestehe darauf, dass die Regierung Rusnok ohne den Rückhalt des Parlaments keine so grundlegenden Personalentscheidungen treffen darf.“ Rusnok müsse seine Autorität durchsetzen und den Theaterdirektor wieder in sein Amt bringen, sagte Sobotka weiter.

Der Regierungschef vollführte daraufhin die erste Kehrtwende: Sagte er noch am Donnerstag, die Abberufung falle allein in den Zuständigkeitsbereich des Kulturministers, entschuldigte er sich am Folgetag für dessen „romantische Vorstellungen“, er habe doch aber „nur Gutes im Sinn“ gehabt.

„Das Fass ist übergelaufen“
Die zweite Kehrtwende vollführte der Minister nach einem Gespräch mit Rusnok selbst. Er müsse dem „von Kulturvertretern geäußerten Wunsch“ entsprechen, nie habe er mit solch „stürmischen Reaktionen“ gerechnet, so Balvín wörtlich. „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ein Mensch in seinem Leben nie ganz auslernt“, gestand der Minister ein und machte seinen Schritt vom Vortag rückgängig – zumindest wollte er es.

Denn Burian ist zwar erneut ernannt worden, doch ob er wirklich auf den Chefsessel des Nationaltheaters zurückkehren will, müsse er sich in den kommenden Tagen genau überlegen. Und nicht nur die Zukunft des Direktors ist ungewiss. Der Bitte des Ministers, nach seiner Kehrtwende möge nun auch die zurückgetretene Führungsebene einlenken, folgte eine Kampfansage: „Auch wenn Herr Burian auf Grundlage unserer Initiative am folgenden Tag wieder ernannt worden ist, haben die vorangegangenen 24 Stunden in den Augen der künstlerischen Leitung und weiterer Persönlichkeiten des Theaters im wahrsten Sinne des Wortes das Fass zum Überlaufen gebracht“, heißt es in ihrem Aufruf an Regierungschef Rusnok. Sie fordern die sofortige Entlassung eines Ministers, der sich mit seinem Handeln disqualifiziert habe: „Wir brauchen nun eine starke, anerkannte Persönlichkeit, die das Kulturressort mit (…) dem erforderlichen Verantwortungsgefühl leitet – nicht nur für das Nationaltheater, sondern für den gesamten Kulturbereich unseres Landes.“

Dem Ultimatum der Theatermitarbeiter erteilte Rusnok eine klare Absage. Einen Minister nach einem einzigen Fehltritt hinauszuwerfen, hält er für falsch. Zudem verfügten Arbeitnehmer nicht über das Recht zu bestimmen, unter welchem Minister und welchen Bedingungen sie arbeiten. Man dürfe diesbezüglich auch keinen Präzedenzfall schaffen, so Rusnok. Die Situation um das Nationaltheater betrachtet er als geklärt.

Das Problem besteht jedoch weiterhin und wird größer, je länger die Bühnenschaffenden auf ihrem Standpunkt beharren. Bereits in zwei Wochen beginnt die neue Saison. Will man das Flaggschiff der tschechischen Theaterszene nicht kentern lassen, sollten erfahrene Besatzungsmitglieder an Bord sein.