Experimente am Bau

Experimente am Bau

Im Haus zur Schwarzen Muttergottes hat eine neue Dauerausstellung über tschechischen Kubismus eröffnet

6. 1. 2016 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: UPM

 

Sie wirken ein wenig windschief und im Vergleich zu ihren Nachbarbauten sogar ein bisschen außerirdisch. Die kubistischen Häuser in Prag sind weltweit einzigartig. Mit Ausnahme von Jičín (Janák-Villa) soll es keine andere Stadt geben, in der man kubistische Architektur findet. Als Ikone des Baustils gilt das Haus zur Schwarzen Muttergottes zwischen dem Altstädter Obstmarkt (Ovocný trh) und der Zeltnergasse (Celetná). Mit seinen facettenartig gebrochenen Fenstern, dem ungewöhnlich hohen und abgestuften Mansarddach und den ausgeprägten Simsen fällt es neben den barocken und klassizistischen Bürgerhäusern aus der Reihe.

Die Prager National­galerie unterhielt in dem Gebäude jahrelang das Tschechische Kubismusmuseum. Nachdem das Haus vor drei Jahren renoviert wurde, hat nun das Kunstgewerbemuseum in den Räumen eine neue Dauerausstellung eröffnet. Auf zwei Etagen präsentiert es die Stilrichtung als weltweit einzigartiges Phänomen in der freien und angewandten Kunst. Zu sehen sind kubistische Möbelstücke, Tapeten, Geschirr, Grafiken, Malereien, Skulpturen und Spielzeug von Künstlern wie Emil Filla, Otto Gutfreund, Pavel Janák, Josef Chochol, Bohumil Kubišta und Vlastislav Hofman.

Kubistischer Kuchen
Pablo Picasso und Georges Braque begründeten den Kubismus um 1907 als Gegenbewegung zur herkömmlichen Malerei, indem sie mit der realistischen Darstellungsweise brachen. Ihnen ging es vor allem darum, die Motive aus mehreren Perspektiven gleichzeitig abzubilden und Räumlichkeit damit in die Fläche zu transportieren.

Inspiriert von den Pariser Kubisten versuchten die Architekten Pavel Janák, Josef Gočár, Josef Chochol oder auch Vlastislav Hofman, die verwinkelten Raumkompositionen von der Leinwand auf die Baukunst zu übertragen. Als erstes Beispiel kubistischer Architektur entstand das Haus zur Schwarzen Muttergottes. Es wurde zwischen 1911 und 1912 nach den Plänen Gočárs als Kaufhaus erbaut. Seinen Namen erhielt es von der Madonnen-Skulptur, die den barocken Vorgängerbau im 17. Jahrhundert verzierte und noch heute an der Fassade zu sehen ist. Als Kaufhaus diente es lediglich bis 1922, danach wurde das Gebäude für Bank- und Büroräume genutzt und maßgeblich umgestaltet. Erst in den neunziger Jahren wurde es im Stil Gočárs rekonstruiert.

Im Inneren öffnet sich ein schwindelerregendes Treppenhaus zu den oberen Etagen. Im ersten Stockwerk befindet sich das Grand Café Orient, dessen Einrichtung Gočár ebenfalls entwarf, zum Beispiel die schweren gusseisernen Kronleuchter an der Decke. Auch Stühle, Tische, Bar und sogar die Speisekarte sind dem Kubismus verschrieben. Selbst die Spritz­kuchen werden in quadratischer Form serviert. Leider ist die Einrichtung nicht im Original erhalten; sie wurde zerstört, als das Café Anfang der zwanziger Jahre geschlossen wurde. Was der Besucher heute sieht, sind Repliken.

Der Kubismus in der Architektur umfasste eine kurze Zeitspanne: Lediglich zwischen 1911 und 1915 entstanden kubistische Gebäude in Prag. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte der Rondokubismus die Form­elemente weiter und kombinierte sie mit Ornamenten der tschechischen Volkskunst. Berühmte Beispiele dafür sind das Geschäftshaus der Legionärsbank von Gočár und Janáks Adria-­Palast am Jungmann-Platz.

Tschechischer Kubismus. Haus zur Schwarzen Muttergottes (Ovocný trh 19, Prag 1), geöffnet: täglich 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 150 CZK (ermäßigt 80 CZK), www.czkubismus.cz