„Eine ernsthafte Debatte steht uns noch bevor“

„Eine ernsthafte Debatte steht uns noch bevor“

Den Tschechinnen fehle die Zeit für einen „Aufschrei“, sagt die Sozialdemokratin Jindřiška Maršová. Ein Interview über den Umgang mit Sexismus in Tschechien

6. 2. 2013 - Interview: Klaudia Hanisch

Jindřiška Maršová ist seit sieben Jahren Vorsitzende der Bewegung der Sozialdemokratischen Frauen (SDŽ). PZ-Mitarbeiterin Klaudia Hanisch traf die 62-Jährige in der Prager Parteizentrale der ČSSD und erhielt von der Politikerin ein sonderbares Begrüßungsgeschenk: eine Fußfeile mit dem Logo der SDŽ. Auf ihrem Schreibtisch lag ein Zeitungsartikel, der das Geschehen um Brüderles „Herrenwitz“ und die deutsche Sexismus-Debatte zusammenfasst.

Frau Maršová, wird in Tschechien über Sexismus überhaupt diskutiert?
Maršová: Im Moment läuft der Prozess gegen einen Arzt, der jahrelang wiederholt seine Angestellten sexuell nötigte und missbrauchte. Es sind acht oder neun Fälle bekannt. Leider war das Interesse der Medien an diesem Fall relativ gering. Die waren zu sehr mit dem Präsidentschaftswahlkampf beschäftigt. In diesem Monat wird das Urteil gesprochen. Der Fall ist umso wichtiger, da es sich um eine angesehene Person handelt: Jaroslav Barták war Eigentümer einer Klinik. Ärgerlich und sehr bedauernswert ist, dass zwei Frauen die Vorfälle der Polizei zuvor gemeldet hatten, dort jedoch nicht ernst genommen wurden.

Aus emanzipatorischer Sicht: Wie hat Ihnen der Präsidentschaftswahlkampf gefallen? Der offizielle Kandidat Ihrer Partei Jiří Dienstbier etwa hat Miloš Zeman vorgeworfen, er greife gerne auf sexistische Stereotype zurück. Wie kommt das?
Maršová: Jiří Dienstbier hat Zeman etwa zehn Jahre nicht gesehen. Zudem ist die Grenze zwischen einer sexistischen Bemerkung und einem, sagen wir, Kompliment sehr dünn. Aber sowohl Männer als auch Frauen können sehr wohl unterscheiden, wie etwas gemeint ist: Ob jemand männliche Dominanz demonstriert oder ein nettes Kompliment machen will. Beim Fall Brüderle spielte wahrscheinlich auch der Alkohol eine Rolle. Männer sind manchmal nicht gut darin, zu akzeptieren, dass das „Nein“ einer Frau genauso ausdrücklich ist, wie das eines Mannes. Die Männer sind damit aufgewachsen, dass in den Kneipen ständig unanständige Witze gemacht werden. Frauen waren dort lange nicht präsent. Als Frauen anfingen, in Restaurants und Kneipen zu gehen, änderte sich auch dieses Milieu radikal. Solche Witze kommen dort nicht mehr vor. Sehen Sie sich doch einmal den Braven Soldaten Schwejk an, das Symbol des tschechischen Humors. Seine Witze wären heute nicht mehr gesellschaftsfähig.

Wie würden Sie Sexismus definieren?
Maršová: Sexismus ist eine Verhaltensart, die sich eine Person gegenüber einer anderen aufgrund ihrer vermeintlich höheren Position erlaubt, mehr noch, wenn sie diese Position missbraucht, um sie auf der sexuellen Ebene auszuspielen. Das Beispiel des angeklagten Arztes zeigt dies ganz deutlich. Die jungen Frauen brauchten Arbeit und waren in dieser Hinsicht von ihm abhängig.

Auch in der Politik gab es ähnlich wie in den Kneipen lange Zeit keine Frauen. Mittlerweile gibt es diese. Wie verhalten sich Männer gegenüber Frauen im Politikbetrieb?
Maršová: In der Sozialdemokratischen Partei ist seit der Sexismus-Affäre um Buzková ein ähnlicher Fall nicht mehr vorgekommen. 2004 ließ sich die damalige stellvertretende Parteivorsitzende Petra Buzková aus gesundheitlichen Gründen die Brust verkleinern. Dazu wurden in der Partei öffentlich bissige sexistische Bemerkungen gemacht. Dagegen haben wir uns aufgelehnt. Frauen in unserer Partei sind heute selbstbewusst genug, um sich so ein Verhalten nicht gefallen zu lassen.

Was stört Sie denn heute am meisten im politischen Alltag?
Maršová: Das Schlimmste ist, wenn in fachlichen Diskussionen Kommentare zum Äußeren einer Frau fallen, mit dem Ziel, ihre Kompetenz in Frage zu stellen. Es kommt schon einmal vor, dass während einer Diskussion ein Mann zu einer jungen Frau sagt: Aber sie sehen doch so gut aus, warum wollen sie sich mit so einem Kram beschäftigen?

Wie sieht Ihre politische Strategie aus, um dieses Verhalten zu unterbinden?
Maršová: Das ist ein kompliziertes Thema. Eine Frauenquote in der Partei wäre wichtig, um mehr Frauen in die Politik zu bringen. In den Führungspositionen gibt es immer noch viel zu wenige Frauen, was unter anderem an den Parteistrukturen liegt. Frauen landen auf den Listen viel zu weit unten oder werden gar nicht erst aufgestellt. Die Sozialdemokratischen Frauen bereiten für den Parteitag im März einen Antrag vor, in dem wir fordern, dass auf den ersten Plätzen mehr Frauen aufgestellt werden. Immerhin machen wir 35 Prozent der Partei aus.

Welchen Einfluss messen sie den Medien in Sachen Sexismus bei?
Maršová: Einen sehr großen. Die Boulevard-Presse und die Werbung sexualisieren Frauen stark.

Inwieweit beeinflusst das die politische Kultur?
Maršová: Der heutige Charakter der Werbung wirkt sich stark auf den Politikbetrieb aus. Ein Beispiel: Die Vertreterinnen der Partei „Věci veřejné“ haben sich für einen Kalender in unzweideutigen Posen ablichten lassen. Sie warben also nicht mit ihrer fachlichen Kompetenz. Das hat dem Ansehen von Frauen in der Politik stark geschadet.

Kann es nicht auch manchmal von Vorteil sein, eine Frau in der „Männerdomäne Politik“ zu sein?
Maršová: Die wenigen Frauen, die eine steile Politkarriere schaffen, sind meist alleinstehend. Oft sprechen sich diese sogar gegen eine Frauenquote aus. Sie sehen sich selbst als bestes Beispiel dafür, dass es Frauen auch ohne gesetzliche Regelungen in der Politik zu etwas bringen können. Dabei lassen sie außer Acht, dass die Parteistrukturen den meisten Frauen keinen Raum lassen. Das ist schade, denn die Tschechinnen gehören zu den am meisten emanzipierten Frauen in Europa.

Wie Sie selbst sagen, finden doch aber nicht einmal die schlimmsten Fälle von Sexismus in der Öffentlichkeit Gehör. Ist das nicht ein Widerspruch? Warum gibt es hierzulande keinen „Aufschrei“ wie in Deutschland?
Maršová: Die Frauen haben dafür einfach keine Zeit. Und wenn die Medien das nicht unterstützen, hat ein „Aufschrei“ keinen Sinn.

Und die Frauen in den Medien selbst?
Maršová: Die sind unterrepräsentiert und die Redakteure sind in ihrer Themenwahl stark abhängig von den Geschmäckern der Leserschaft.

Warum interessiert es die Leser nicht?
Maršová: Sehen sie sich den Skandal um Barták an. Die Menschen schämen sich dafür, dass so etwas Schreckliches in Tschechien überhaupt passieren konnte. Wenn man sich für etwas so stark schämt, tendiert man dazu, es zu verdrängen. Bis heute steckt man den Kopf in den Sand. Eine ernsthafte Debatte steht uns noch bevor. Anders können wir die Probleme nicht lösen.