Ein wissender Soldat beim Prager Tagblatt

Ein wissender Soldat beim Prager Tagblatt

Rudolf Fuchs gehörte zu den unbekannteren Vertretern der Prager deutschen Literaturszene – zu Unrecht, wie schon Johannes Urzidil urteilte. Nun rückt sein Werk langsam wieder in den Fokus der Öffentlichkeit

11. 11. 2015 - Text: Konstantin KountouroyanisText: Konstantin Kountouroyanis

Das 1876 von Heinrich Mercy (als Herausgeber) und Julius Gundling (Redakteur) gegründete „Prager Tagblatt“ war wohl eine der bemerkenswertesten Zeitungen, die es in Mitteleuropa bis 1939 gab. Max Brod, der selbst als Kunstkritiker für das „Prager Tagblatt“ tätig war, schrieb in seinem Erinnerungswerk „Prager Tagblatt – Roman einer Redaktion“ 1968: „Es war eine übermütige Redaktion; dies Prager Tagblatt, die lustigste, die ich je gesehen habe, und dabei war ich während meiner Mal-Boheme-Zeit als Gast in Pariser, Berliner und Wiener Redaktionen viel herumgekommen. […] Es  war ein europäisches Kuriosum […]. […] Jeder, der mitarbeitete, setzte seinen Ehrgeiz darain [sic!], seine Sache möglichst perfekt zu leisten, knapp, ohne Phrasen, mit Einsatz aller Nerven. […] Aber dabei gab man sich den Anschein, als ob alles mühelos, nur wie zum Spaß vor sich ginge. […] Ich muß gestehen, daß ich zuerst den Eindruck hatte, unter Verrückte gefallen zu sein.“

Vielleicht war es gerade dieses von Max Brod beschriebene unkonventionelle Betriebsklima, weshalb sich alle journalistischen und literarischen Größen jener Zeit beim „Prager Tagblatt“ die Klinke in die Hand gaben. Neben dem „rasenden Reporter“ Egon Erwin Kisch findet man in den Archivausgaben Texte von Siegfried Jacobsohn („Die Weltbühne – Berlin!“), Kurt Tucholsky, Hans Natonek, Maxim Gorki, Otokar Březina, Karl Tschuppik, dem Hannoveraner Philosophen Theodor Lessing und natürlich auch Franz Kafka, um nur einige zu nennen.

Man versuchte entweder Autoren für das Blatt als aktive Mitarbeiter zu gewinnen, druckte sie nach (so unter anderem Fjodor Dostojewski) oder dichtete sie auf Deutsch nach, wie es der aus dem böhmischen Poděbrady stammende Rudolf Fuchs (1890–1942) tat. Seine bekanntesten Übersetzungsarbeiten dürften die Gedichte des mährisch-schlesischen Autors Petr Bezruč – mit bürgerlichem Namen Vladimír Vašek – sein, die 1916 unter dem Titel „Schlesische Lieder“ mit einem begeisterten Vorwort von Franz Werfel beim Leipziger Verlag Kurt Wolff erschienen sind.

Abseits seiner Arbeiten als Übersetzer ist Rudolf Fuchs heute nahezu unbekannt, was ihn zunächst als Randfigur der Prager deutschen Literaturszene erscheinen lässt. Zu Unrecht, wie der Kulturhistoriker und Journalist Johannes Urzidil 1965 in seinem Buch „Da geht Kafka“ anmerkte: „Dichterisch war er für Kafka sicherlich interessanter als etwa der aus Prag stammende Dramatiker des Expressionismus Paul Kornfeld oder der in Brünn geborene Romancier und Essayist Ernst Weiss, beide zu ihrer Zeit weitbekannte und hochgeschätzte Autoren.“ Rudolf Fuchs war nämlich neben seiner Tätigkeit als Übersetzer und Mittler zwischen der tschechischen und deutschen Kultur auch selbst schöpferisch tätig – als Lyriker, Schriftsteller, Bühnen- sowie Hörspielautor und natürlich auch als Kunstkritiker für das „Prager Tagblatt“.

In seinen „Erinnerungen an Franz Kafka“ (zu finden in: „Max Brod: Über Franz Kafka“ aus dem Jahr 1966) berichtete Fuchs über eine Zufallsbegegnung zwischen ihm und Franz Kafka. Fuchs schrieb dazu: „Dankbar erinnere ich mich an Folgendes: Ich begegnete ihm in der Herrengasse. Tags vorher war ein Gedicht von mir im ,Tagblatt‘ erschienen. Es hieß ,Villa Milde Ruh‘. Er lobte es. Mir selbst wollte es nicht mehr ganz so gefallen. Es war älteren Datums. Ich wagte einen Zweifel an der Aufrichtigkeit seines Lobes auszusprechen. Da zitierte Kafka das Gedicht auswendig.“

Fuchs war also keineswegs eine literarische Randerscheinung seiner Zeit, sondern aktiver Mitgestalter der literarischen Szene Prags. Seine Texte erschienen in den „Herder-Blättern“, dem Saturn, der „Aktion“ und den „Weißen Blättern“. Weitere Texte erschienen im „Prager Abendblatt“ und der „Prager Presse“, einer Tageszeitung, die vom tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk mit dem Ziel gegründet wurde, die deutschsprachige Minderheit zu integrieren. Das Feuilleton wurde von Otto Pick betreut.

Wer also war Rudolf Fuchs, der 1937 den Herderpreis erhielt und dessen Texte nach seiner Flucht vor den Nazis aus Prag 1939 zunehmend in Vergessenheit gerieten? Dieser Frage sowie weiteren Aspekten rund um den Prager Schriftsteller geht der Autor dieses Artikels, der zur Zeit an der Karls-Universität Prag über Rudolf Fuchs promoviert, im Rahmen der Vortragsreihe der Kurt Krolop Forschungsstelle unter dem Titel „Rudolf Fuchs (1890–1942) – ,Ein wissender Soldat‘“ am 24. November um 18 Uhr im Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren (Ječná 11, Prag 2) nach.

 

Villa „Milde Ruh“

Ich hätte draußen eine Villa gerne,
von einem schweren Garten tief umwittert,
mit Wasserspiel und grünem Tanz der Schatten,
wo zwischen Gitterstäben hin und her
der Sonntagsreiter schlank vorüberwallt
Verhängt euch, Augen, eine kleine Zeit,
daß ich des Tages stillen Wandel höre:
Das Rauschen wirft mir Kühle ins Gesicht,
die Amsel predigt einer weißen Venus,
die Knaben raufen um die Hängematte,
und durch die Seitenpforte, stiller Wege,
kommt meiner Nachbarn hochwillkommne Schar,
die ich mit hellem Aug und breiter Hand begrüße.
Gleich dürfte meine Frau (nehmt Platz) erscheinen;
sie sammelt holde Blumen auf den Abend.
Als wär sie selbst nicht tausendschön genug!
Wir haben nämlich einen lieben Gast:
der Maler aus der Residenz, mein Neffe,
von dem ich euch erzählte, daß er sich
viel Ehren schuf mit seiner kühnen Kunst,
wovon ich leider Gottes nichts verstehe,
ihn fährt mein Töchterlein jetzt durch die Forste.
Es wird ein schöner Abend heut. Bleibt hier,
o bleibt bei uns! Wir schwärmen später aus
bei einem der unendlichen Gespräche,
die an den Himmel rainen.

Aus dem „Prager Tagblatt“, 46. Jahrgang, Nr. 272, 20.11.1921