Ein Wahrzeichen zieht um

Ein Wahrzeichen zieht um

Prag-Besucher müssen auf das wohl größte Touristenspektakel der Stadt verzichten. Die Astronomische Uhr kommt für ein halbes Jahr in die Werkstatt und wird umfassend restauriert

9. 1. 2018 - Text: Marcus Hundt, Foto: George Groutas, CC BY 2.0

Seit Montag steht die Zeit still. Die Astronomische Uhr (tschechisch: >orloj<) ist vom Turm des Altstädter Rathauses demontiert worden. Und das zum ersten Mal seit über 70 Jahren.

Der Grund: Das Prager Wahrzeichen, das mit dem Gang seiner kunstvollen Apostel jeden Tag hunderte Touristen anzieht, steht vor einer grundlegenden Restaurierung. Erst im August, so der Plan, wird der Orloj wieder richtig ticken. Die Restauratoren wollen ihn bis dahin in den Zustand der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts versetzen.

Touristen erwarten das "Schaulaufen" der Apostel  | © Henryli, CC BY-ND 2.0

Petr Skála ist Spezialist für Turmuhren und kümmert sich seit 2009 um den berühmten Orloj. Vor drei Jahren hatte er noch die Renaissance-Uhr des Veitsdoms restauriert. Nun steht für ihn und sein Team ein ähnliches Großprojekt an. Gegenüber der Tschechischen Nachrichtenagentur ČTK erklärte der Uhrmacher, welche konkreten Arbeiten in seiner Werkstatt in den kommenden Monaten anstehen. „Wir werden den ungeeigneten elektrischen Kettenantrieb von 1948 entfernen und ihn durch eine alte Seiltrommel und Zahnräder ersetzen, die sich alle noch in einem Lager befanden. Und dann wird der Orloj auch wieder so angetrieben, wie es ursprünglich der Fall war: mit Steingewichten, die über Hanfseile an einer Holztrommel aufgewickelt sind.“

Außerdem wird Skálas Team die zwölf Apostel sowie die hölzernen Figuren neben dem astronomischen Ziffernblatt erneuern. Die Allegorien verkörpern die Sünden Eitelkeit, Habsucht und Wollust sowie die tugendhaften Berufe Philosoph, Astronom und Chronikschreiber. Auch das Astrolabium, mit dem der sich drehende Himmel nachgebildet wird, wollen die Restauratoren historischen Dokumenten entsprechend wiederherstellen. Laut Skála komme auf sie vor allem bei der steinernen Dekoration viel Arbeit zu, da Vandalen diese stellenweise beschädigt hatten.

Südseite des Altstädter Rathauses und angrenzende Gebäude  | © Jorge Láscar, CC BY 2.0

Im kommenden Jahr sollen auch die Fenster, durch die zu jeder vollen Stunde die Apostel schreiten und die ursprünglich eine Bleiverglasung besaßen, restauriert werden. Die jetzigen Arbeiten kosten die Stadt 9,4 Millionen Kronen, umgerechnet rund 375.000 Euro. Bis zu den Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Ersten Tschechoslowakischen Republik am 28. Oktober sollen sie beendet sein – das gotische Meisterwerk soll dann wieder den Altstädter Ring schmücken.

Einer Legende zufolge kämen auf das tschechische Volk schwere Zeiten zu, sollte die Astronomische Uhr für längere Zeit stehenbleiben. Skála beeindruckt das wenig. „Wenn wir uns vor solchen Vorhersagen fürchten würden, dann dürften wir am Orloj ja überhaupt nichts machen.“ Seinen Worten nach reiche dieser Mythos in das 19. Jahrhundert zurück. 1866 sei die Astronomische Uhr einmal länger stehengeblieben. Als sich die Zeiger schließlich wieder bewegten, sei kurz darauf der Deutsche Krieg zwischen Preußen und Österreich ausgebrochen.

Gehwerk mit Zeigerwerk (Astrolabium-Antrieb)

Otakar Zámečník, der bis 2009 für die Wartung des Denkmals verantwortlich war, kennt eine andere Legende. Gegenüber der „Prager Zeitung“ erklärte er: „Ein Unheil droht angeblich nur, wenn die Astronomische Uhr an Silvester ausfällt.“ In dieser Nacht würden die Geister der 27 böhmischen Adeligen, die am 21. Juni 1621 auf dem Altstädter Ring hingerichtet wurden, die am Orloj ausgewiesene Uhrzeit kontrollieren. Falls diese nicht korrekt ist, stünde der Nation eine Katastrophe bevor. An einem 31. Dezember standen die Zeiger zuletzt im Jahr 2001 still. Im darauffolgenden Sommer kam es in Prag und Böhmen zu einem verheerenden Hochwasser – bis heute die größte Naturkatastrophe des Landes.


Fakten & Zahlen
Die Astronomische Uhr am Altstädter Rathaus

Die Kunstuhr befindet sich seit 1410 an der Südseite des Rathauses.

Nikolaus von Kaaden (Mikuláš z Kadaně), der „königliche Uhrmacher“ von Wenzel IV., gilt als Erbauer des mechanischen Uhrwerks und des Astronomischen Zifferblatts (nach den Plänen von Jan Šindel).

Als Vorbild für die Astronomische Uhr diente das Uhrwerk des Palazzo del Capitanio in Padua, das der Italiener Jacopo de Dondi um 1350 konstruiert hatte (das Original wurde bereits im Jahr 1390 zerstört).

Meister Hanuš und sein Schüler Jakub Čech (aus: >Alte böhmische Sagen< von Alois Jirásek, Zeichnung: Věnceslav Černý, Prag 1910)

Um 1490 wurde die Prager Rathausuhr von Meister Jan Hanuš fertiggestellt – und um 1570 in ihrem heutigem Aussehen von Jan Táborský erweitert.

Der obere Teil zeigt den Umlauf von Sonne und Mond an, der untere ein Kalendarium mit den Tagen und Monaten sowie dem Wappen der Prager Altstadt.

Die ursprünglichen Apostelfiguren (vermutlich aus der Mitte des 18. Jahrhunderts) sind während des Prager Aufstands im Mai 1945 verbrannt. Die Figuren, die heute zu sehen sind, wurden vom Bildhauer Vojtěch Sucharda im Jahr 1948 gefertigt. Das „Schaulaufen“ der zwölf Apostel findet in der Regel zwischen 9 und 22 Uhr statt.

Im Jahr 2007 wurde die Prager Rathausuhr im südkoreanischen Seoul im Maßstab 1:2 nachgebildet. Im Inneren ist das Restaurant „Caste Praha“ untergebracht.

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