„Ein offenes Haus“

„Ein offenes Haus“

Zu Gast beim Freitagsgebet der muslimischen Gemeinde in Prag

23. 8. 2016 - Text: Milena FritzscheText: Milena Fritzsche; Foto: M. Fritzsche und privat

Eine Moschee würde man in unmittelbarer Nähe des Wenzels­platzes eigentlich nicht vermuten. Aber ein islamisches Gotteshaus ist nicht zwangsläufig mit einem Minarett versehen; als Treffpunkt zum Gebet reicht auch einfach ein angemieteter Saal in einem weitläufigen Gebäudekomplex. Biegt man in der Opletal-Straße neben dem orientalischen Restaurant Barakat in einen unscheinbaren Häuserdurchgang ein, findet man sich nach wenigen Schritten in einem belebten Innenhof wieder. Das Freitagsgebet ist das wichtigste muslimische Gebet der Woche und auch wer sonst lieber zu Hause bleibt, macht sich an diesem Tag auf den Weg zum Mittags­gebet. Die Stimmung ist ausgelassen. Eine kleine Schlange bildet sich vor dem Schuhregal – denn nur barfuß darf der Raum betreten werden – und durch das Fenster sieht man bereits einige Muslime konzentriert auf den Teppichen knien.

Es sind alles Männer. Frauen sind zunächst keine zu sehen. Am Eingang werden Besucherinnen die Treppe hinauf gewiesen, auch auf der Galerie ist allerdings bereits alles von Männern besetzt. Von der Empore zweigt ein kleiner Raum ab, der eher wie eine Abstellkammer anmutet. Ein Papierzettel an der Tür ist mit der Aufschrift „Frauen“ versehen. Zum Umkehren ist es jetzt zu spät. In dem winzigen Kämmerchen sind bereits einige Muslima versammelt, mehr als elf werden es in der nächsten halben Stunde nicht, und mehr würden auch kaum Platz finden. Eine wickelt gerade mit routinierten Handgriffen ihr Tuch um den Kopf, manche schreiben noch schnell Nachrichten auf ihrem Smartphone, zwei Kinder rennen fröhlich umher. Ein Baby wird herumgereicht, um das sich alle gemeinschaftlich kümmern, damit die Mutter sich aufs Gebet konzentrieren kann. Den eigentlichen Gebetsraum kann man von hier aus nicht sehen, er ist den Männern vorbehalten. Die Stimme des Iman ist lediglich über den Lautsprecher zu vernehmen. Er hält zunächst einen Vortrag auf Arabisch mit tschechischer Übersetzung. Da einige der Frauen beide Sprachen nicht verstehen, übersetzen die anderen ins Englische.

Unter Frauen
Auf die erstaunte Nachfrage, warum das Verhältnis der Geschlechter derart unausgeglichen sei, erfährt man, dass Männer zumindest am Freitag in die Moschee gehen müssten, während es den Frauen freigestellt wäre. Deshalb sei auch die ansonsten für Frauen vorgesehene Empore am Freitag ausschließlich männlich besetzt, die meisten Frauen blieben lieber gleich zu Hause. An dieser Situation scheint sich niemand zu stören. Es stellt sich zudem heraus, dass nur vier der Anwesenden der muslimischen Gemeinde in Prag angehören. Die anderen sind Touristinnen, etwa aus Brüssel oder Frankreich. Außerdem ist eine Palästinenserin da, die für ein Semester an der Karls-Universität studiert. Es ist eine herzliche Runde, in der sofort Verbundenheit entsteht. Fünf der Frauen nehmen aktiv am Gebet teil. Für Außenstehende gleicht es einer sportlichen Übung, wie die Frauen zuerst knien, sich niederwerfen und wieder aufstehen.

Manzoor Sahi freut sich, wenn jemand Interesse an seiner Religion zeigt.

Die anderen sitzen eng gedrängt an der Wand und reden leise miteinander. Amira, die seit über 20 Jahren in Prag lebt, erzählt, dass es seit etwa zwei Jahren verstärkt verbale Attacken auf Frauen mit Kopftuch gebe; das hätten zumindest einige ihrer Freundinnen erfahren müssen. Sie selbst trage ihr Kopftuch nur in der Moschee. Die Muslima aus Brüssel berichten dagegen, dass sie in den wenigen Tagen in Prag nur positive Erfahrungen gemacht hätten, sie allerdings auch nur im Stadtzentrum zwischen den Touristengruppen unterwegs waren. „Vielleicht hat es einige skeptische Blicke in unsere Richtung gegeben, aber wir haben nicht so genau darauf geachtet.“

Nach dem Gebet bleibt man noch eine Weile ins Gespräch vertieft beieinander, auch wenn es in dem Raum inzwischen unerträglich heiß geworden ist. An einem Tag mit Temperaturen um die 30 Grad ist ein Kopftuch schwer zu ertragen. Wieder an der frischen Luft kann man es endlich ablegen und begegnet dann auch den Männern aus der Moschee.

Skepsis und Vorurteile
Manzoor Sahi, der aus Pakistan stammt und seit 2014 in Prag promoviert, hatte bei einem früheren Treffen von der Moschee als „offenes Haus“ gesprochen. Jeder sei willkommen, ganz gleich, welcher Religion er oder sie angehöre. Diese Offenheit ist tatsächlich spürbar. Das völlig falsch gewickelte Kopftuch fällt zwar auf, aber die Menschen sind neugierig auf Besucher und freuen sich über jeden, der Interesse an ihrer Religion zeigt. Amira, die Muslima aus der tschechischen Gemeinde, ruft der palästinensischen Studentin, deren Bekanntschaft sie eben erst geschlossen hat, zum Abschied noch fröhlich zu: „Ich werde ab jetzt auch immer für die Menschen in Palästina beten!“

Im Innenhof steht um Manzoor eine Gruppe von Studenten und Doktoranden zusammen, die sich durch das wöchentliche gemeinsame Gebet kennt. In die Runde gefragt, wie viele Muslime es in Tschechien gibt, ist man sich nicht ganz sicher. Die muslimische Gemeinde zähle etwa 1.000 Mitglieder, einigen sich die Männer. Mindestens 10.000 sind es wohl insgesamt, das entspricht 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die einzige registrierte Moschee in Prag steht in der Plattenbausiedlung Černý Most. Prinzipiell kann im Islam jeder Gebetsraum als Moschee bezeichnet werden; offiziell werden die anderen Gottes­häuser in Prag als „islamische Zentren“ bezeichnet. Neben dem im Stadtzentrum befindet sich ein kleineres in der Nationalstraße (Národní), zwei weitere in der Nähe der U-Bahn-Station Palmovka.

Die Moschee in der Prager Innenstadt wirkt von außen wie ein gewöhnliches Mietshaus.

Wie geht es ihnen als Muslime in Prag? „Die Menschen sehen mir nicht an, dass ich ein Muslim bin, aber andere, die eindeutiger als Ausländer zu erkennen sind, haben schon Probleme“, erzählt Adil aus dem Kosovo. Ein befreundeter Muslim sei neulich in der U-Bahn-Station Hradčanská von einem Passanten als Terrorist verdächtigt worden: „Er hielt ihn fest und forderte ihn auf, er solle zeigen, was er in seinem Rucksack habe.“ Sheikh aus Bangla­desch, der sich als orthodoxen Muslim beschreibt, ergänzt, dass einfach fremde Welten aufeinandertreffen. In Prag errege es bereits Aufmerksamkeit, kein Bier zu trinken. In seinem neuen Job luden die Kollegen ihn einmal zum gemeinsamen Mittagessen ein. Der Ramadan, die Fastenzeit der Muslime, hatte aber gerade begonnen. Er durfte nichts essen – und musste das den anderen erst einmal erklären. Aber: „Meine Religion ist für die Kollegen heute überhaupt kein Problem mehr.“

Stimmung gegen den Islam
Nach dem Besuch der Moschee trifft sich der pakistanische Teil der Gemeinde zum Essen im „Bombay Express“, das von einem Inder und einem Pakistani betrieben wird. Frauen sind wieder keine dabei. Ahsan lebt seit 13 Jahren in Prag, ist inzwischen tschechischer Staatsbürger und mit einer Tschechin verheiratet. Er arbeitet als Berater. „Als ich in Prag ankam, habe ich mich sehr wohl gefühlt, aber in den vergangenen Jahren hat sich vieles verändert.“ Das Klima sei jetzt ein anderes. Auch und gerade seit der Flüchtlingskrise. „Allerdings habe ich am Anfang die Sprache auch noch nicht verstanden. Vielleicht fielen mir daher bestimmte Dinge gar nicht auf“, sinniert er einschränkend. Vor Gewalt gegenüber Muslimen hat er keine Angst. „Es bleibt meist beim Reden.“

Arshad hat etwas andere Erfahrungen gemacht. Direkte Gewalt gegen Muslime sei zwar selten. Vor einiger Zeit habe es aber in Brünn eine Demonstration gegen den Islam direkt vor der Moschee dort gegeben. Er habe das Video im Internet gesehen. „Das war schon unheimlich.“ In Brünn hatte es zuvor immer wieder Übergriffe auf die Moschee gegeben. Vor einigen Monaten, schildert er, habe er auch in Prag eine brenzlige Situation erlebt: „Ich bin mit der Straßenbahn gefahren und es stieg ein angetrunkener Mann mit Tätowierungen und Glatze ein. Er kam zu mir und fragte mich, ob ich Muslim sei und drohte mir mit seiner Bierflasche. Ich habe es dann abgestritten.“ Zuvor habe er seine Religion noch nie leugnen müssen. Ansonsten kann er über Politiker, die gegen den Islam Stimmung machen, aber auch lachen. Über den Rechts­populisten Tomio Okamura sagt er: „Ich kann ihn nicht ernst nehmen. Er hat selbst einen Migrationshintergrund und stammt aus Japan, aber er erzählt, dass jeder verkaufte Kebab ein weiterer Schritt zur Burka ist und man den Islam boykottieren muss.“

Kommen nun auch Flüchtlinge in die Moschee? Diese befinden sich in Tschechien meist nur zur Durchreise. „In der Moschee habe ich keine getroffen“, sagt Manzoor. Der einzige Ort, wo er in Prag auf Flüchtlinge traf, war bei seinem Nebenjob im Hostel, wo diese für ein oder zwei Nächte auf ihrem Weg von Budapest nach Deutschland Unterkunft fanden. Es habe aber gemeinsame Fahrten der Gemeinde mit Spenden ins Flüchtlingslager gegeben, erzählt Manzoor. Er selbst war zunächst zum Masterstudium in den USA, auf einer Konferenz in der Türkei lernte er einen tschechischen Professor kennen, der ihn zum Forschen an die Tschechische Agraruniversität in Prag einlud. Ob er nun in Tschechien bleibe, sei noch offen. Irgendwann möchte er auch wieder in seinem Heimatland leben. Wie empfindet er die Haltung der tschechischen Gesellschaft gegenüber dem Islam? „Es stört mich nicht, wenn jemand gegen meine Religion ist, denn oft kennen diese Menschen den Islam einfach nicht und glauben den Medien, die manchmal nur die negativen Seiten darstellen. Terroristen haben mit dem Islam nichts zu tun. Im Gegenteil: Auf Arabisch sagt man statt ‚Guten Tag‘ ‚Friede sei mit dir‘.“ Er selbst befolge die Regeln des Koran, aber sei nicht ganz streng. Manchmal schaffe er es nicht, fünfmal am Tag zu beten. „Aber wichtiger als der Islam ist für mich ohnehin Humanität. Die Religion folgt erst an zweiter Stelle.“