Ehrgeizige Pläne

Ehrgeizige Pläne

Vor 75 Jahren wurde den Fernstraßen im Land der Weg bereitet. Das Deutsche Reich spielte dabei eine wesentliche Rolle

15. 1. 2014 - Text: Klaus HanischText; Klaus Hanisch; Foto: ŘSD ČR

 

Viele Tschechen glauben noch heute, dass ihre Fernstraßen erst unter kommunistischer Herrschaft in den sechziger Jahren gebaut wurden. Tatsächlich ebneten Regierung und Verwaltung den tschechischen Autobahnen schon vor dem Zweiten Weltkrieg den Weg. Entscheidend dafür war das Jahr 1939.

„Nach Italienern und Deutschen waren wir weltweit das erste Land, das eine Autobahn konkret ins Auge fasste“, blickt Jan Hoření zurück, der in der Fachbehörde für Bestand und Reparatur von Autobahnen und Schnellstraßen der ersten Klasse in Tschechien zuständig ist.

Bereits 1935 gab es in der Tschechoslowakei konkrete Überlegungen für eine Verbindung quer durch die Republik. „Entsprechend der geografischen Beschaffenheit sollte sie von West nach Ost führen“, so Hoření.

Dieses Projekt war von Pilsen bis in die Slowakei geplant, sparte aber bedeutende Städte wie Prag und Brünn aus. Daher kam ein zweiter Vorschlag aus der Brünner Region für eine Magistrale, die sich zwischen Cheb (Eger) und Košice (Kaschau) in eine nördliche und eine südliche Streckenführung gliedern sollte. Aus Košice sollte eine weitere Strecke bis nach Chust im Westen der Ukraine gehen. Beide Entwürfe wurden von den zuständigen Behörden abgelehnt. Auch der Zlíner Schuhfabrikant Baťa wollte eine Autobahn quer durch die Tschechoslowakei und zahlte die Pläne dafür sogar aus eigener Tasche.

Dass die Ideen für eine Autobahn in den dreißiger Jahren so stark Fahrt aufnahmen, erklärt Jan Hoření mit der wachsenden Bedeutung der Industrie in der Tschechoslowakei. „Präsident Masaryk hatte erklärt, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen seien“, so der Ingenieur.

Und es gab einen zweiten wichtigen Aspekt. „Heute kennt man vor allem Škoda als Automarke unserer Republik, doch damals gab es auch noch andere bedeutende Hersteller wie Tatra oder Praga“, blickt Hoření zurück, „aber für diese vielen Autos hatten wir nicht genug Straßen.“

Seltsames Konstrukt
In der zweiten Hälfte des Jahres 1938 sorgten zudem historische Ereignisse dafür, dass Autobahnen stärkeres Gewicht bekommen sollten. Mit dem Münchner Abkommen Ende September 1938 verlor die Tschechoslowakei einen großen Teil ihres Territoriums. Damit entstanden Pläne für gleich drei verschiedene Autobahnen.

Zunächst musste die Tschechoslowakei ihr vorgesehenes Straßennetz ändern und anpassen. Das Landesamt in Prag arbeitete schnell eine neue Streckenführung zwischen Prag und Jihlava (Iglau) aus. Damit verbunden war auch, dass in der Tschechoslowakei künftig rechts gefahren werden musste. Im November 1938 beschloss der Ministerrat die Einführung dieses Rechtsfahrgebots zum 1. Mai 1939. Gleichzeitig wurde eine Direktion für den Bau von Fernstraßen eingerichtet. Sie entschied am 5. November 1938, ein generelles Projekt von Prag über Jihlava, Brünn und Zlín bis zur slowakischen Grenze zu erstellen. Noch vor Jahresende 1938 wurde der Begriff „dálnice“ für Autobahnen offiziell eingeführt. Angelehnt an die Wörter „železnice“ (Eisenbahn) und „silnice“ (Landstraße) sollte er den Fernverkehr symbolisieren – das Wort „daleko“ bedeutet so viel wie „weit entfernt“. Schließlich beschloss die Regierung am 13. Januar 1939, tatsächlich die Strecke von Prag bis zur slowakischen Grenze zu bauen.

Zur gleichen Zeit planten die Nationalsozialisten eine „deutsche“ Autobahn, die die Reichsstädte Breslau und Wien verbinden und dabei über tschechisches Territorium führen sollte. Am 19. November 1938 unterzeichneten Vertreter der deutschen und tschechoslowakischen Regierung darüber ein Abkommen. Diese knapp 350 Kilometer lange Nord-Süd-Verbindung „wäre heute undenkbar und war aus tschechischer Sicht weder nötig noch hilfreich“, bekräftigt Jan Hoření. Denn die Autobahn stellte ein seltsames Konstrukt dar: Sie sollte eine exterritoriale „Durchgangsstrecke“ werden. Zwar führte sie durch Mähren, sah aber keine Ausfahrten ins Land vor.

Zoll- und Passstellen zeichneten die deutschen Planer nur an den Anschlussstellen an das tschechoslowakische Straßennetz ein. „Mit dem Schengen-Abkommen von heute hatte das damals nichts zu tun“, vergleicht Hoření. Deshalb wurde der Staatsvertrag auch als völkerrechtliches Novum bezeichnet.

Bereits vor Ostern 1939 begannen die Arbeiten. Im Oktober waren etwa 60 des rund 75 Kilometer langen Abschnitts durch Mähren sowie ein Streckenteil im Sudetenland in Bau. Wegen des Zweiten Weltkriegs wurden die Bauarbeiten 1942 eingestellt und nicht wieder aufgenommen. Die Durchgangsautobahn wurde niemals fertiggestellt.

Spatenstich im Egerland
Die Nazis hatten noch ein weiteres Autobahn-Projekt vorangetrieben. Im Dezember 1938 begannen sie mit dem Bau einer „Sudetenautobahn“ auf dem nun deutschen Gebiet nach dem Münchner Abkommen. Ein propagandistischer Schachzug. „Es ließ sich einfach gut verkaufen, vor der Haustür eine Autobahn zu haben“, erklärt Dieter Stockmann von der deutschen „Arbeitsgemeinschaft Autobahngeschichte“.

Deshalb kam auch Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß zum ersten Spatenstich in die Nähe von Cheb. „Nach meinem Wissen das einzige Mal, dass sich solch eine Nazi-Größe bei solch einem Anlass sehen ließ“, so Stockmann. Normalerweise rammten nur lokale Größen den Spaten in den Boden.

Stockmann räumt mit der Mär auf, dass erst die Nazis die Autobahnen gebaut hätten. „Die Idee dafür kam bereits in den zwanziger Jahren aus Italien in die Weimarer Republik“, sagt der Experte. Und er begegnet dem Vorurteil, dass damit die Arbeitslosigkeit besiegt worden sei. „Im gesamten Reich war bestenfalls eine halbe Million Menschen mit dem Bau von Autobahnen beschäftigt, bei rund sieben Millionen Arbeitslosen“, führt Stockmann aus.

Auch an der „Sudetenautobahn“ wurde bald nicht mehr weiter gearbeitet. Ab 1942 waren die Baustellen beider „deutscher“ Autobahnen auf tschechischem Territorium mit einer Gesamtlänge von 111 Kilometern verwaist.

Für die tschechische Strecke spielten im Jahr 1939 abermals politische Entwicklungen eine entscheidende Rolle. Am 14. März wurde die selbständige Slowakische Republik ausgerufen. Und das erst für Mai 1939 vorgesehene Rechtsfahrgebot wurde schon am 17. März eingeführt. Dies hing mit der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren einen Tag vorher zusammen. Damit wurde auch angeordnet, dass die tschechischen Autobahnen in das deutsche Autobahnnetz eingegliedert werden sollten.

So erfolgte der Startschuss für die Autobahn „Prag – Brünn – slowakische Grenze“ am 2. Mai 1939 bei Průhonice. Man rechnete damit, sie schon zum 31. Oktober 1940 in Betrieb nehmen zu können – ein rekordverdächtiger Plan.

Um dieses ehrgeizige Ziel einhalten zu können, hätten an jedem fünf Kilometer langen Streckenabschnitt etwa 600 Personen beschäftigt sein müssen. Tatsächlich wurden meist kaum mehr als 100 Arbeitskräfte eingesetzt. Deshalb kam der Bau der Autobahn nur langsam voran.

Verwaiste Bausstellen
Ihre weitere Geschichte verlief äußerst wechselhaft. Am 30. April 1942 wurden auch hier die Arbeiten an allen Autobahnabschnitten eingestellt. Nach der Rückkehr aus dem Exil erließ Staatspräsident Edvard Beneš am 1. Oktober 1945 ein Dekret, das unter anderem die Fertigstellung der Autobahn zwischen Prag, Brünn und der slowakischen Grenze anordnete. Die kommunistische Machtübernahme im Februar 1948 führte zur Verstaatlichung der Baufirmen, trotzdem wurde mit wenigen Arbeitern an den Autobahnen bis zu einem erneuten Stopp wegen der allgemeinen Wirtschaftslage gewerkelt.

So gab es in den fünfziger Jahren in der Tschechoslowakei imposante, aber verlassene Baustellen für drei Autobahnen. 188 Straßenkilometer waren bereits im Bau, nun aber zum Verfall verurteilt und auf Jahre hinaus stumme Zeugen der Erinnerung.

Ende der fünfziger Jahre nahm der Straßenverkehr stark zu, die Straßen im Land mussten dringend erneuert werden. Deshalb wurde 1963 ein festes Straßennetz definiert und vorrangig modernisiert, gleichzeitig ein Autobahnnetz festgelegt. In diesem Rahmen wurde ab 1967 die Autobahn D1 zwischen Prag und Brünn erstellt und der 21 Kilometer lange erste Abschnitt von Prag nach Mirošovice am 12. Juli 1971 in Betrieb genommen. Im Jahr 1980 waren Prag und Brünn endgültig durch eine Autobahn verbunden – 40 Jahre später als geplant.

„Heute nutzen wir ganz wenige Teilstücke der einst geplanten Strecke für die D1 zwischen Prag und Brünn“, erläutert Jan Hoření, „so gibt es wegen einer Brücke von damals extra ein Tempolimit von 100 km/h.“ Reste der „deutschen“ Autobahn wurden südlich von Brünn für die Schnellstraße R 52 bei Mikulov genutzt. Nördlich von Brünn wird derzeit überlegt, auf einem Teil der einstigen Fahrbahn in Richtung Svitavy einen Radweg zu errichten. Zwischen Svitavy und Breslau ist diese Strecke nur noch ein Fall für Historiker. „Dort denkt niemand mehr an diese Autobahn“, resümiert Jan Hoření ohne jegliche Verbitterung.