Edel und schnell

Edel und schnell

Auf der Rennbahn in Motol laufen jeden Samstag Windhunde um die Wette. Das Publikum feiert derweil sich selbst

30. 9. 2015 - Text: Corinna Anton, Foto: Česká Greyhound Dostihová Federace

Ach wäre doch der böhmische Adel nicht verschwunden. Dann könnte er breite Hüte tragen und glitzernde Perlenketten, könnte Champagner trinken und seinen Windhunden beim Wettrennen zusehen; ein wenig Glamour in die graue Prager Gesellschaft bringen. Und das einfache Volk könnte beobachten, was die Reichen und Schönen treiben, könnte empört sein und insgeheim doch voller Bewunderung für die edlen Damen und Herren.

Was sich an einem Samstag in Motol abspielt, sieht aus wie der Versuch, die guten adligen Zeiten wieder aufleben zu lassen. Mit Hüten und Champagner, aber vor allem mit Dolce und Gabbana, mit Gucci, Dior und Vuitton. Die Namen der Modeschöpfer stehen an diesem Nachmittag nicht nur auf Sonnenbrillen und Handtaschen, sondern auch auf der Startliste. In vier Läufen werden insgesamt 20 Tiere gegeneinander antreten: Die englischen Windhunde, sogenannte Greyhounds, zählen zu den schnellsten Landtieren der Welt – und hatten hierzulande lange Zeit einen schweren Stand.

„Ich gehöre zu denen, die ein Windhund mit seiner edlen Schönheit noch immer begeistern kann“, sagt Zdenek Grondol. Er ist Präsident der Tschechischen Föderation für Greyhound-Rennen, die 2003 gegründet wurde, um an eine alte Tradition anzuknüpfen. Denn bereits 1930 fand in Prag das erste internationale Windhundrennen statt. Auf der Letná-Ebene traf sich damals, was Rang und Namen hatte. Für 20 Kronen konnte man auf den Sieger setzen, 500 Kronen gab es zu gewinnen. Doch der Erfolg der neuen Sportart währte nur kurz. Nach dem Zweiten Weltkrieg galten die Windhunde den Kommunisten als Symbol für Adel und Wohlstand – und somit als die Haustiere der Klassenfeinde. Einen Greyhound zu halten, sei schon „ein gewisser Aufstand gegen das Regime“ gewesen, schreibt die Föderation über ihre Vorgeschichte.

Neugieriger Katzentyp
Von Aufstand ist im Greyhound Park Motol nichts zu spüren. Auf der Terrasse ist der rote Teppich ausgerollt; lange, weiß glänzende Überwürfe schmücken Tische und Sessel. Kinder im Grundschulalter tragen Hemd und Krawatte. Cocktails werden mit Strohhalmen serviert. Auf der anderen Seite der Absperrung geht es lockerer zu. Dort sitzen Väter im Urlaubsoutfit und Mütter mit praktischen Umhängetaschen. Auch Petr und Honza haben ihren Platz auf dieser Seite gefunden. Einer der beiden wohnt ganz in der Nähe, deshalb wollten sie mal sehen, was hinter dem Zaun vor sich geht. Weil es hier so besonders sei, „so wundersam“, sind sie nun schon zum dritten mal da, einfach um zu beobachten. „Es ist eine komische Mischung“, sagt Petr. Etwa die Hälfte der Zuschauer wisse, worum es gehe. „Die anderen haben keine Ahnung – so wie wir.“ Eine Vorliebe für Hunde haben die beiden 28-Jährigen nicht. „Ich bin eher der Katzentyp“, meint Honza. Getippt haben sie trotzdem, aber bisher noch keinen einzigen Sieger erraten.

Zu verlieren gibt es ohnehin nicht viel. Der Eintritt für Zuschauer kostet 200 Kronen, fürs Tippen wird nichts extra berechnet. Der erste Preis ist „eine gute Flasche Wein“, heißt es in den Spielregeln. Anders als zum Beispiel in Irland oder Großbritannien gibt es in Tschechien keine professionellen Windhundrennen, von denen in erster Linie die Wettanbieter profitieren. Die Bedingungen auf der 2012 eingeweihten Prager Sandbahn seien dennoch ausgezeichnet, schwärmt Renndirektorin und Hundebesitzerin Kateřina Magerová. Ihr Hund heißt Armani und kommt wie die meisten, die regelmäßig in Motol antreten, aus Irland. „Für die Tiere geht es nicht ums Gewinnen, sondern ums Laufen“, erklärt Magerová. Damit Armani fit bleibt, bekommt er Hundefutter einer irischen Marke, das für Greyhounds geeignet ist. Jeden Mittwoch trainieren die beiden, jeden Samstag geht er bei einem Rennen an den Start. Dass er keine Lust auf Laufen habe, komme nicht vor, meint das Frauchen.

Jagd auf den Plüschhasen
Armani sagt dazu nichts. Überhaupt geben die Hunde an diesem Nachmittag keinen Ton von sich. Man hört sie weder bellen noch knurren, egal ob sie gerade mit Maulkorb über die Zuschauertribüne geführt oder später bei der Siegerehrung mit heraushängender Zunge auf dem Siegertreppchen fotografiert werden. Umso mehr redet dafür der Stadionsprecher, der kurz vor dem ersten Rennen versucht, die etwa hundert Zuschauer in Stimmung zu bringen. Kewell und Dior, Chanel, Dolce und White treten gegeneinander an. „Die Spannung steigt“, tönt es aus dem Lautsprecher, doch das Publikum bleibt ziemlich gelassen. Manche erheben sich von ihren Plätzen, andere greifen zum Bierglas.

Schlanke junge Frauen in schwarzen Leggins und weißen T-Shirts begleiten die Hunde auf den letzten Metern von der Tribüne zu den Startboxen, die mit einer Ampel ausgestattet sind. Zuerst leuchtet ein rotes Licht auf, dann ein grünes. Ein leises Surren kündigt den Plüschhasen an, der die Tiere zum Laufen animieren soll. Er ist an einer Schiene befestigt, die im Inneren der Rennbahn verläuft. Die Hunde bringen es im Durchschnitt auf etwa 65 Stundenkilometer, sagt Magerová. Der Plüschhase fährt erst an den Zuschauern vorbei, dann um die Kurve und passiert die Startboxen. In diesem Moment öffnen sich die Tore und die Hunde stürmen los.

Sie starten auf der Gegengerade, nehmen die erste Kurve, die zweite und bevor ein unerfahrener Zuschauer begriffen hat, wie der Favorit sich schlägt, ist das Rennen auch schon vorbei. Gut 18 Sekunden brauchen die Windhunde für die 279 Meter lange Sprintstrecke. Die Zeit wird auf die Tausendstelsekunde genau gemessen. Sehr viel länger dauert die anschließende Siegerehrung. Begleitet von Filmmusik der höchsten Kitsch-Stufe und anerkennenden Blicken der Zuschauer werden die drei Schnellsten auf ein Podest geführt, ein Kellner bringt Wasser im Silbernapf. Fotoshooting, großes Tamtam.

Auf das erste Rennen folgt ein weiteres über 279 Meter, anschließend zwei über 496, für die Gabbana, Lauren, Armani und Co. etwa eine halbe Minute brauchen. Das macht zusammengerechnet nicht einmal zwei Minuten Wettrennen an einem Nachmittag, dafür aber viel Silber, Gold und ein wenig Glamour. Der böhmische Adel hätte sich wohlgefühlt.