Dreifaches Hoch auf Energiewirtschaft

Die Regierung Rusnok könnte über den größten Bauauftrag Tschechiens entscheiden – Kalousek warnt vor Verlustgeschäft beim Temelín-Ausbau

24. 7. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: cc/korom

Wirtschaftswachstum lautet das erklärte Ziel der Regierung von Jiří Rusnok. Welche Branchen zum Motor der lahmenden Wirtschaft werden sollen, das machte Industrieminister Jiří Cienciala auf seiner ersten Pressekonferenz als Ressortleiter deutlich: „Die Priorität einer jeden Ökonomie ist Energiewirtschaft, Energiewirtschaft und nochmal Energiewirtschaft.“ Energiewirtschaft bedeutet in Tschechien neben Braunkohle vor allem Atomkraft. Politiker und politische Beobachter treibt deshalb vor allem eine Frage um: Was macht das Tandem Rusnok-Zeman mit Temelín?

Auch Kateřina Klasnová (Věci veřejné, VV) fragt sich das. Die Vorsitzende der kleinsten Fraktionspartei im Abgeordnetenhaus wurde am vergangenen Sonntag als erste Vertreterin des Parlaments in die Sommerresidenz des Präsidenten geladen. Auf Schloss Lány warb Miloš Zeman mehrere Tage um das Vertrauen, das die Abgeordneten der Regierung Rusnok Anfang August aussprechen sollen. Klasnová freute sich nach dem Treffen über die „sehr freundschaftliche Stimmung“ der Gespräche und darüber, dass Zeman von der Beamtenregierung keine Entscheidungen über den Bau zweier Reaktorblöcke in Temelín erwarte.

Bei der Erweiterung des südböhmischen AKW handelt es sich um den größten Bauauftrag der tschechischen Geschichte. Geschätztes Investitionsvolumen: 300 Milliarden Kronen (etwa 12 Milliarden Euro). Noch zwei Bewerber sind im Rennen um das Milliarden-Geschäft: das amerikanisch-japanische Unternehmen Westinghouse sowie das tschechisch-russische Konsortium MIR.1200. Im Herbst sollte der halbstaatliche Betreiber ČEZ über die Auftragsvergabe entscheiden. Dass mit dem Regierungswechsel ein neuer Zeitplan anstehe, darauf machte unlängst ČEZ-Sprecher Ladislav Kříž aufmerksam.

In den tschechischen Medien gibt sich auch deswegen kaum jemand mit Zemans beschwichtigenden Worten zufrieden. Laut der Zeitschrift „Respekt“ war der Temelín-Ausbau Hauptthema bei den Verhandlungen um die Ernennung des Interimspremiers. Zeman habe um Unterstützung für das gigantische Bauunternehmen geworben.
Dabei wird die Investition inzwischen sogar von Vertretern der zurückgetretenen Mitte-Rechts-Regierung in Frage gestellt – auch Petr Nečas (ODS) sah dabei in den zwei neuen Reaktorblöcken einen entscheidenden Wachstumsimpuls für die Wirtschaft. Ex-Finanzminister Miroslav Kalousek (TOP 09) gibt inzwischen jedoch offen zu, dass das Großprojekt nur dann zu halten sei, wenn der Staat hohe Stromabnahmepreise garantiere – und spricht vom möglichen Stopp des Ausbaus.

Den könnte Rusnok nun versuchen zu verhindern. Mit Blick auf die Verflechtungen zwischen Zemans Günstlingen und der tschechischen Wirtschaft scheint klar, wer von einer Entscheidung durch die Regierung Rusnok profitieren würde: MIR.1200. Die Firma Sigma Group a.s. etwa – Hersteller von Großpumpen und einer der Hauptsponsoren der Präsidentschaftskampagne von Zeman – rechnet im Falle der Auftragsvergabe nach Russland mit Bestellungen im Wert von etwa 27 Milliarden Kronen (rund eine Milliarde Euro). Innenminister Martin Pecina räumte für sein Ministeramt den Vorstandsposten bei Vítkovice Power Engineering, einem wichtigen ČEZ-Lieferanten.

Um den Temelín-Ausbau voranzutreiben, braucht die Regierung allerdings das Parlament, etwa um die Preisgarantien für den in Temelín produzierten Strom durchzusetzen. Ob dies gelingt ist fragwürdig, ebenso wie der Ausgang der Vertrauensabstimmung. Erst danach könnte klar werden, was Industrieminister Cienciala mit seinem dreifachen Hoch auf die Energiewirtschaft meinte. Zu Temelín werde sich seine Regierung erst nach der Vertrauensfrage äußern, so Rusnok gegenüber „Respekt“. Ob sich diese daran hält, was Zeman der VV-Abgeordneten Klasnová versprochen hat, bleibt abzuwarten.