Drei Tage Strapazen

Drei Tage Strapazen

In Jeseník fand am Wochenende ein Extremwettkampf der besonderen Art statt. Beim „Wenger Czech Adventure Race“ mussten die Athleten in 55 Stunden 500 Kilometer zurücklegen

28. 8. 2014 - Text: Eva FamullaText: Eva Famulla; Foto: L. Benda

Als Radka Brožková und ihre Teamkollegen Roman Šinkovský, Jan Císař und Marek Navrátil die Ziellinie überqueren, ist nur eines in ihren Gesichtern zu lesen: Erleichterung. Und nach wenigen Sekunden schlägt diese in überschäumende Freude um. Die Endorphine lassen ein Hochgefühl entstehen. Eine Sektdusche wäscht die letzten Schweißperlen von der Stirn. Radka, Roman, Jan und Marek haben 55 Stunden ohne Schlaf hinter sich. Sobald der Adrenalinschub nachlässt, werden sie das in allen Gliedern spüren.

 Das „Wenger Czech Adventure Race“ ist konkurrenzlos das härteste und längste Abenteuerrennen in Tschechien. Das Konzept ist einfach: 500 Kilometer in 55 Stunden zurücklegen. Ob zu Fuß, auf dem Rad, kletternd, schwimmend oder auf Inlineskates – die Spanne der Disziplinen ist weit gefasst, die Anzahl der Hindernisse groß. So mussten die Teilnehmer Höhlen durchklettern, Seen queren und Felswände erklimmen. Gestartet wird in Vierer-Teams. Mindestens ein weibliches Mitglied ist Bedingung; die Frauen zählen als vermeintlich schwächstes Glied in der Kette. Es geht vor allem um Teamarbeit: zusammenhalten, egal was passiert. Ziel ist es, sogenannte Checkpoints abzulaufen. Zu Beginn bekommt jedes Team eine Karte, auf der alle – in diesem Jahr 58 – Checkpoints eingezeichnet sind. Auf welchen Wegen sie dorthin gelangen, ist den Wettkämpfern selbst überlassen. Etappenweise festgelegt ist nur das Fortbewegungsmittel.

Gastgeber des Anlasses ist in diesem Jahr die kleine Stadt Jeseník in Ostböhmen. Hier starteten die Teams am Donnerstagmorgen vom schmucken Marktplatz aus. Während des Laufes erkundeten sie die umliegenden Berge bis ins kleinste Detail. Es ist eine friedliche, zauberhafte Landschaft: grün bewaldete Hügel so weit das Auge reicht.

„Je schlimmer, desto besser“
Zum Zieleinlauf am Samstagnachmittag scheint die Sonne. Radka und ihre Teamkollegen haben in den 55 Stunden 56 von 58 Checkpoints geschafft. Damit haben sie sich den ersten Platz erkämpft – keines der Teams hat dieses Jahr alle Etappen absolviert. Das Team mit dem zweiten Platz kommt nahezu drei Stunden vor ihnen ins Ziel, sammelte aber nur 54 Checkpoints. Kurz nach Einlauf des letzten Teams fängt es wieder an zu regnen.

Das Wetter war in den vergangenen drei Tagen erbarmungslos. Den Wettkampf komplett abzuschließen, sei unmöglich gewesen, da sind sich alle einig. Nasse Felswände machen das Klettern gefährlich. Fließendes Wasser auf dem Asphalt lassen die Inlineskates zu Wackelpudding unter den Füßen werden. Eines der zwölf Teams brach vorzeitig ab. Ein zweites Team, das außer Wertung mit nur zwei Mann lief, musste nach zwei Tagen wegen Verletzung aufgeben. Aber wie Radkas Teamkollege Roman lachend sagt: „Je schlimmer, desto besser.“ Die Herausforderung ist das Ziel. „Mein Antrieb ist die ständige Verbesserung“, so Roman.

Die Wurzeln des Abenteuerwettkampfes liegen in Neuseeland. 1980 fand dort der erste „Alpine Ironman“ statt, der Laufen, Paddeln und Skifahren miteinander verband. Heute gibt es überall auf der Welt Multi-Sportwettkämpfe. Klassischerweise unterscheidet man zwischen Winter- und Sommerläufen. Im Winter ist Skilanglauf eine wichtige Disziplin. Außerdem kann man die Wettkämpfe nach Zeit unterteilen. Vom Sprint über zwei bis sechs Stunden bis hin zur Expedition über drei bis elf Tage ist alles möglich.

Als Radka ein paar Stunden später zur Siegerehrung aufgerufen wird, kann sie kaum noch laufen. Ihr rechter Knöchel nimmt langsam die Größe eines Tennisballes an. Aber sie lacht trotzdem noch. Bei einem Bier verrät sie, was sie an Abenteuerwettkämpfen so reizt: „Es geht darum, seine Kräfte komplett auszuschöpfen.“ Radka kommt eigentlich vom Orientierungslauf. Den ersten Abenteuerwettkampf machte sie nur mit dem Gedanken „einmal und nie wieder“ mit.

Aber das hat offenbar nicht funktioniert. Das „Wenger Czech Adventure Race“ ist längst nicht der einzige Wettkampf, an dem sie teilgenommen hat. „Nach dem Lauf schätzt man die Dinge, die im Alltag selbstverständlich sind, viel mehr. Schlaf, Essen und ein trockenes, warmes Bett.“ Sie trainiert fünf bis sechs Mal wöchentlich. „Auf so einen Wettkampf muss man sich gut vorbereiten.“ Radka ist 30, vier Mal hat sie bereits am tschechischen Abendteuerrennen teilgenommen. Mit ihrem Team will sie dieses Jahr vielleicht noch zur Weltmeisterschaft nach Ecuador reisen, wenn der Terminkalender es erlaubt. Sie ist Ärztin, da ist es manchmal schwierig, kurzfristig Urlaub zu bekommen.

Ihr Teamkollege Roman hat bei den Europameisterschaften 2013 den vierten Platz belegt. Er ist vor allem froh, dass das Team die Strapazen ohne größere Verletzungen überstanden hat. „Der Wettkampf hat uns Spaß gemacht, wir haben ihn trotz aller Widrigkeiten genossen.“ Das einzige, was ihn ein wenig ärgert, ist die niedrige Teilnehmerzahl. „Es grämt mich, dass so wenig Menschen hier in Tschechien diesen Sport betreiben.“

Nach der Siegerehrung wird gefeiert. In der Gaststätte geht es hoch her. „Das Rennen geht weiter! Bier-Pong ist die letzte Disziplin“, scherzt der Sprecher am Mikrofon. Auch hier wird in Vierer-Teams gespielt, mit mindestens einer Frau. Das Team, das zuerst seine Biergläser geleert hat, gewinnt. Die Stimmung ist gut. Spätestens nach der zweiten Runde verschwinden jedoch die meisten Wettkämpfer von den Bänken. Auch Radka, Roman, Marek und Jan können sich nicht länger auf den Beinen halten. Ihre Freunde und die Organisatoren werden noch mindestens eine dritte Runde Bier-Pong einlegen, aber für sie ist das ja auch die erste Disziplin.

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