Die Nachbarschaftsschmiede

Die Nachbarschaftsschmiede

Ein ostsächsisches Schulprojekt verbindet Reformpädagogik mit tschechischer Sprache und nachbarschaftlichem Austausch. Ein Besuch in der „Schkola Oberland“

14. 3. 2013 - Text: Linda LorenzText: Linda Lorenz

Die Stühle im Zimmer der Lerngruppe sind leer. Auf den Tischen verstreut liegen Buntstifte, Zettel, Schere und Leim – als hätten die Schüler hastig den Raum verlassen. An der Decke und den Wänden hängen gemalte Bilder. Immer wieder taucht die Figur des Kleinen Maulwurfs auf, als Kleiderhaken, Lineal oder Wandbehang. Hinten im Raum sitzt im Halbdunkeln eine Horde Sechs- bis Neunjähriger auf dem Teppichboden im Kreis. Sie deuten die Zeiger der Uhr, die Kristýna Šrůtková nach oben hält. Die deutschen Schüler sprechen so gewandt Tschechisch, als würden sie nie etwas anderes tun.

Šrůtková ist Tschechin, wie etwa 30 Prozent ihrer Kollegen an der Schkola Oberland. Die vor zehn Jahren gegründete Schule liegt im ostsächsischen Ebersbach-Neugersdorf, einen Steinwurf von der Grenze entfernt. Sie ist eine von vier Grund- und weiterführenden Schulen in der Oberlausitz, die ein reformpädagogisches Konzept verfolgen. Die Schkola versteht sich als eine integrative Ganztagsschule, in denen Schüler mit und ohne Behinderung in altersgemischten Gruppen gemeinsam lernen.

Der freie Schulträgerverein Schkola entstand 1993 aus einer Elterninitiative. Da vor allem junge Leute aus der Oberlausitz abwandern, soll mit der Schkola eine Verbindung zwischen ostsächsischer Grenzregion und Wirtschaft geknüpft werden. 1995 gründeten Eltern und Päda­goge die erste Schkola in Jonsdorf. In den nächsten Jahren öffneten drei weitere Schulen – in Hartau, Ostritz, Jonsdorf sowie eine Kita in Lückendorf.

Was diese Ausbildungsstätte so einzigartig macht, ist der intensive Kontakt zum Nachbarland. Von der ersten bis zur zwölften Klasse lernen die Schüler neben Englisch auch Tschechisch im Fach „Nachbarschaft und Sprache“. Die Schüler haben intensiven Kontakt zu drei nahegelegenen Partnerschulen in Rumburk und Liberec. Partnerschaft, das heißt zum Beispiel vier monatliche Begegnungstage oder zweimal im Jahr stattfindende Sprachpraxiswochen. Bei wechselseitigen Besuchen erarbeiten die Kinder und Jugendlichen gemeinsam ein Thema aus dem Lehrplan. Dabei teilen sie sich in verschiedene, bilinguale Gruppen auf und präsentieren schließlich ihre Ergebnisse voreinander. Zudem haben die Schüler die Möglichkeit, an einem freiwilligen Schüleraustausch teilzunehmen. Ab Klasse neun heißt es dann „Praxis erleben“. Ähnlich wie man es bei staatlichen Schulen kennt, schnuppern die Schüler einige Wochen in einen Beruf ihrer Wahl hinein. In der Schkola dauert das einen Monat. Diese Zeit dürfen die Jugendlichen auch im Nachbarland verbringen. Dabei spinnt die Schule ein nachhaltiges Netzwerk zu Unternehmen in der Region.

Gemeinsame Exkursionen mit den Schülern der tschechischen Nachbarschulen sollen den Kontakt untereinander verstärken. Außerdem haben die Schüler jederzeit die Möglichkeit, in den Alltag einer Partnerschule zu schnuppern.

Dominique Triemer tut das, sein elftes Schuljahr verbringt er gerade in Liberec am F.-X.-Šalda-Gymnasium. Heute ist er in der Heimat zu Besuch – zusammen mit seiner Partnerklasse aus Liberec. Seine tschechischen und deutschen Mitschüler begegnen sich zum ersten Mal. Beim gemeinsamen Frühstück sitzen sich die Jugendlichen noch schweigend und etwas ratlos gegenüber. Dominique changiert zwischen seiner Partnerklasse und den Mitschülern der Schkola. Die beiden Lehrerinnen unterhalten sich bereits angeregt, sie planen Kennenlernspiele für den Nachmittag.

Das Konzept

Gemeinschaft: Täglich gemeinsames Frühstück in der Aula; altersgemischte Gruppen: Schüler helfen sich gegenseitig und lernen voneinander; im Morgen- und Abschlusskreis werden Erlebnisse und Fragen besprochen.
Wertschätzung: Schüler und Lehrer duzen sich; keine Noten bis Klasse 8, um Vergleichen entgegenzuwirken, stattdessen Lernentwicklungsberichte.

Toleranz: Kein Ausschlussverfahren, jeder Bewerber wird aufgenommen; bei zu vielen Bewerbern gibt es eine Warteliste; Integration behinderter Kinder.

Selbständigkeit: Lernende gestalten ihren persönlichen Wochenplan selbst, der sich am Lehrplan orientiert. Für Tests gibt es Zeitrahmen, in denen der Schüler entscheidet, wann er die Arbeit schreiben möchte; er kann sie bis zu dreimal wiederholen.

Unterstützung: Erzieher, Heilpädagogen und Sozialpädagogen sind während des Unterrichts anwesend; keine Bildungsemp-fehlungen, sondern Beratung mit Eltern und Lernbegleitern.

Wohlbefinden: Lesezelte, Tischgruppen, Lernflure mit Sitzecken und Bücherregalen; individuelle Pausen möglich; Nachmittags-angebote wie zum Beispiel Töpferei, Schneiderei, Tischlerei.

Finanzierung: 60 Euro Schulgeld im Monat; diverse Förderprojekte, 60 Prozent staatliche Unterstützung.

Weitere Informationen: www.schkola.de
Schkola Bildungskongress: 20./21. September 2013;
Thema: Nachhaltigkeit, gesunde Ernährung, Bildung/Pädagogik, ganzheitliches Lernen und Interkulturelles Lernen