Die Handschrift des Meisters

Die Handschrift des Meisters

Die Nationalgalerie wirft einen Blick hinter die Bilder von Lucas Cranach dem Älteren

29. 6. 2016 - Text: Franziska Neudert, Bilder: Nationalgalerie Prag

Als „pictor celerrimus“ – schnellster Maler – wurde Lucas Cranach der Ältere (1472–1553) auf seinem Grabstein in Weimar gewürdigt. Der Künstler verfügte über eine so gut organisierte Werkstatt, dass er bereits zu Lebzeiten für seine Schnelligkeit und Qualität gelobt wurde. Bis heute gilt er als einer der bedeutendsten und produktivsten Maler der Renaissance. Etwa 1.500 Gemälde werden seiner Werkstatt zugeschrieben – und vermutlich sind sie nur ein Bruchteil seines gesamten Œuvres.

Einen Eindruck vom Schaffen des Malers und seiner Mitarbeiter vermittelt die Ausstellung „Cranach von allen Seiten“ (Cranach ze všech stran) im Sternberg-Palais. Im Mittelpunkt stehen etwa 30 Werke, die Cranach für Auftraggeber in Böhmen schuf. So zum Beispiel die Fragmente eines Altars, den Cranach wahrscheinlich für den Veitsdom schuf.

Zu sehen sind nicht nur berühmte Bilder wie „Adam und Eva“ und „Gesetz und Gnade“, das zu einem Inbegriff der lutherischen Reformation wurde, sondern auch Bilder, die sein Sohn Lucas Cranach der Jüngere malte. Außerdem sind Gemälde des sogenannten Meisters IW ausgestellt. Er war in der Werkstatt des Malers ausgebildet worden und einer der wichtigsten Mitarbeiter Cranachs. Um 1525 machte er sich jedoch selbstständig und ließ sich wahrscheinlich in Nordböhmen nieder.

„Adam und Eva“ (um 1538)

Besonders interessant ist, dass Besuchern zudem ein Einblick in die Ergebnisse kunsthistorischer Forschung gewährt wird. Seit 2009 widmet sich das internationale Projekt „Digital Cranach Archive“ dem Werk der Cranach-Werkstatt. Mithilfe von Infrarotreflektografie konnten die Kunsthistoriker der Prager Nationalgalerie zum Beispiel einen Blick hinter die Bildoberfläche werfen und in tiefere Farbschichten blicken.

Die Untersuchungen gaben nicht nur Aufschluss über den Entstehungsprozess der Bild­tafeln, sie ermöglichten auch neue Zuschreibungen. Viele Malereien aus Cranachs Werkstatt in Wittenberg entstanden als Gemeinschaftsarbeit eines eingespielten Teams. Nun wurde eine Gruppe von Werken bestimmt, die Cranach nachweislich nicht selbst schuf.

So konnte „Salome mit dem Haupt des Täufers“ eindeutig Meister IW zugeordnet werden. Die Handschrift des Cranach-Schülers ist unverkennbar vom nahezu eingefrorenen Schönheitsideal des Renaissance­malers geprägt, verrät seine Vorliebe für kostbare Draperie und aufwendige Inszenierung, bleibt jedoch weniger lebendig. Die Ausstellung fungiert dabei auch als eine Schule des Sehens, indem sie die Werke des Meisters IW mit denen Cranachs vergleicht.

Begleitend zur Schau bietet die Nationalgalerie Führungen auf Deutsch an. Am 9. Juli, 11. September und 10. November wird Marius Winzeler, Leiter der Sammlung Alte Kunst, Neugierigen mehr über die Werke der Cranach-Werkstatt erklären.

Cranach ze všech stran. Šternberský palác (Hradčanské nám. 15, Prag 1), geöffnet: täglich außer montags 10–18 Uhr, Eintritt: 150 CZK (ermäßigt 80 CZK), bis 22. Januar, www.ngprague.cz; Informationen zum Forschungsprojekt unter www.lucascranach.org