„Die EU finanziert hier Luftschlösser“
Seit dem Beitritt sind Milliarden aus Brüssel nach Tschechien geflossen. Nicht immer werden die Gelder sinnvoll eingesetzt
6. 8. 2014 - Text: Silja Schultheis, n-ost
„Alles aus Edelstahl, nur vom Feinsten“, sagt Věra Bunganičová. Stolz zeigt sie auf den blank polierten Tresen und die silberglänzende Espressomaschine in der hinteren Ecke des hellen Lesesaals. „Schätzungsweise drei Gäste pro Monat“, fügt die Bibliothekarin trocken hinzu. Die meisten Besucher holen sich ihren Kaffee lieber einen Stock höher am billigen Kaffeeautomaten als in der modernen Café-Bar.
Die im Herbst 2012 eröffnete Stadtbibliothek ist eines von mehreren Projekten, die die nordböhmische Stadt Děčín aus EU-Strukturfonds bezahlt hat. 6,4 Millionen Euro hat der Bau gekostet, 5,3 Millionen übernahm die EU. Eine Nummer kleiner hätte es auch getan, findet Markéta Lakomá, Sprecherin der Stadtverwaltung. „Allerdings hätten wir das eingesparte Geld ohnehin nicht für andere Projekte nutzen dürfen.“
Die Bibliothek in Děčín stehe für so manche Absurdität in den Fördervorgaben der Europäischen Kommission, erklärt Martina Štajnerová. Sie ist bei der Stadtverwaltung für die EU-Projekte verantwortlich. Acht Monate nach der Eröffnung der Bibliothek überflutete das Elb-Hochwasser das Infozentrum im Untergeschoss. Die Stadtverwaltung wollte daraufhin den völlig zerstörten, teuren Holzfußboden durch eine robustere, kostengünstigere Variante ersetzen, die künftigen Überschwemmungen besser standhalten sollte. Doch die Vertreter der Europäischen Union zeigten dafür wenig Verständnis: „Das können Sie machen, aber dann müssen Sie das Geld für den ursprünglichen Holzboden zurückzahlen“, erinnert sich Štajnerová an die Antwort aus Brüssel.
Dass die Kommission penibel auf Details in einmal bewilligten Bauvorhaben beharre und Verstöße hart sanktioniere, schrecke viele Antragsteller in Tschechien ab, meint Štajnerová. Auch Děčín habe anfangs länger gezögert, ob man überhaupt Gelder aus den Strukturfonds beantragen solle. Als weiteres Problem haben sich für Děčín und andere tschechische Städte die langen Wartezeiten erwiesen. Bis die Kommission ein Projekt geprüft und bewilligt hat, kann über ein Jahr vergehen. So lange müssen die Städte aus eigener Kasse vorfinanzieren.
Probleme wie diese führen dazu, dass die Mitgliedstaaten längst nicht alle Mittel aus den EU-Fonds abrufen, die ihnen zur Verfügung stehen – obwohl der Bedarf hoch ist. Aus dem EU-Etat für die Jahre 2007 bis 2013 riefen die Länder im Schnitt nur etwas über die Hälfte der Gelder ab. Staaten wie Tschechien, Bulgarien oder Rumänien sogar noch weniger.
Überdurchschnittlich gut ist die Abrufquote dagegen in Polen. Das Land hatte 2013 bereits über zwei Drittel der ihm zustehenden Gelder abgerufen und lag damit weit über dem Durchschnitt. Nur Deutschland, Portugal und Griechenland nutzen die EU-Mittel besser aus. Spitzenreiter ist die westpolnische Stadt Posen, der die Fußball-Europameisterschaft im Jahr 2012 zudem einen finanziellen Schub gab.
Mit EU-Geldern errichtete die Stadt ein neues Flughafenterminal. Rund 80 umweltfreundliche Busse rollen über neu ausgebaute Straßen, für rund 100 Millionen Euro kauften die Verkehrsbetriebe neue Straßenbahnen. Eine bis vor kurzem verfallende ehemalige Druckerei im Stadtzentrum wurde kunstvoll restauriert und heißt jetzt „Concordia Design-Zentrum“. Es organisiert Veranstaltungen und Ausstellungen, in den Räumen gibt es ein Kindertheater und eine Kinder-Uni. Die Hälfte der Kosten, rund acht Millionen Euro, deckte der Investor mit Geld aus einem EU-Fonds.
Zusätzlich zum Geldsegen aus Brüssel hat Polen von allen neuen EU-Mitgliedern die robusteste Wirtschaft und kann allein deshalb viele Projekte mit eigenen Mitteln anstoßen, die dann von Brüssel mitfinanziert werden. Doch nicht überall funktioniert das System so gut wie in Polen.
In anderen Ländern kommen hausgemachte Hürden hinzu. Die tschechischen Förderstrukturen für EU-Mittel beispielsweise sind unübersichtlich und hochkompliziert. 27 verschiedene Förderprogramme mit jeweils eigenen Regeln gab es für die Periode 2007 bis 2013. Die schleichende Korruption im Land hat dazu geführt, dass EU-Mittel wiederholt gesperrt wurden. Ein spektakulärer Fall ereignete sich 2012 in der Stadt Hostivice: Dort wurde der Kreishauptmann Mittelböhmens, David Rath, mit einem Koffer voller Banknoten im Wert von 280.000 Euro festgenommen. Jahrelang soll Rath EU-Subventionen veruntreut und öffentliche Aufträge an befreundete Firmen vergeben haben. Der Fall Rath verzögerte die Vergabe weiterer EU-Mittel um mehr als ein Jahr.
Das alles hat dazu geführt, dass das Abrufen von Geldern aus den EU-Fonds in Tschechien schleppend vorangeht. Noch Ende September 2013 vermeldete das Ministerium für Regionalentwicklung, dass das Land erst ein gutes Drittel der bereitstehenden 27 Milliarden Euro abgerufen habe. Alarmiert von diesen Zahlen verfielen die Verantwortlichen in Prag in hektisches Umschichten der Gelder. Ende November 2013 hatte Tschechien dann gut die Hälfte der Gelder abgerufen.
In Děčín fällt die Bilanz trotz aller Kritik positiv aus: „Ohne die EU-Gelder wären hier viele Dinge gar nicht entstanden“, sagt Markéta Lakomá. Gut wäre ihrer Meinung nach, wenn die Europäische Kommission in Zukunft die Antragsteller stärker mitentscheiden ließe. „Die EU finanziert hier lieber Luftschlösser als die Ausbesserung von Straßen und Plätzen oder Beschäftigungsmaßnahmen“, bedauert Martina Štajnerová. „Dabei könnte Nordböhmen genau das besonders gut gebrauchen.“
Silja Schultheis, Marcin Rogozinski (n-ost)
Gelder aus Brüssel
Für Tschechien stehen in den in den Jahren 2014 bis 2020 etwa 600 Milliarden Kronen (rund 22 Milliarden Euro) aus EU-Fonds zur Verfügung. Der größte Teil soll für regionale Entwicklung und Infrastruktur eingesetzt werden, außerdem sollen Unternehmen unterstützt werden, die Investitionen und Arbeitsplätze schaffen. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres sind insgesamt bereits 83 Milliarden Kronen (etwa drei Milliarden Euro) aus dem EU-Haushalt nach Tschechien geflossen, 27 Milliarden Kronen hat das Land an die Union gezahlt. Es bleibt damit ein Nettoempfängerland. Seit dem EU-Beitritt im Mai 2004 hat Tschechien rund 370 Milliarden Kronen in den EU-Haushalt eingezahlt und knapp 760 Milliarden Kronen bekommen. (ca)
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