Die Arche

Die Arche

In Sázava bei Prag kann man das erste autarke „Erdschiff“ Mitteleuropas besichtigen

3. 4. 2013 - Text: Nancy WaldmannText: Nancy Waldmann; Foto: www.zemelod.cz

Man könnte sich vielleicht während eines Weltuntergangs hierher zurückziehen. Doch das „Earthship“, also Erdschiff, genannte Haus ist eigentlich keine Höhle für Endzeit-Gestimmte, sondern etwas für Menschen, die gern selbst Hand anlegen. Für jene, die mit ihrer „Scholle“ verbunden sind wie der Bauer. Denn der Erdschiffbewohner lebt von dem, was vor Ort ist.

Martin und Margarita in Sázava, einem kleinen Dorf in der Nähe von Prag, gehören zu den Erdschiff-Pionieren Europas. Die beiden Mittfünziger tragen lange Haare und stellen sich nur mit Vornamen vor. Schon den ganzen Winter verbrachten sie in ihrem Haus.

Sie verkriechen sich nicht, sie betrachten ihre Arche als öffentlichen Lernort. Im Internet gibt es einen Kalender, der Besichtigungstermine auflistet. 500 Kronen kostet eine Führung. Martin erklärt, wie es funktioniert. Margarita wuselt durch das Haus, gießt die Pflanzen, kocht Tee und demonstriert dabei unauffällig, wie man das Erdschiff benutzt.

Das Erdschiff von Sázava ist in einen Hang gebaut. Man braucht Lehmerde, Holz, ein paar Fenster, Beton und – Müll: Plastik- und Glasflaschen, Dosen und Autoreifen. In Sázava isoliert die Erde des Hangs den gesamten Rücken des Hauses. Autoreifen befestigen das Fundament der seitlichen Außenmauern. Licht und Wärme kommt durch die Fensterfront von vorn. Ein geschlossener Kreislauf. Es ist das einzige dieser Art in Mitteleuropa. Es braucht keinen Wasseranschluss, keine Kanalisation, kein Fernwärmerohr und keine Stromleitung.

Das Konzept entwickelte der amerikanische Architekt Michael Reynolds, der die Häuser aus Müll bereits in den 70er Jahren entwickelte. In anderen Teilen der Welt hat Reynolds mit dieser Art des Hausbauens vielen Menschen geholfen, dringende Probleme wie Wohnungsnot und Energieversorgung zu lösen.

Um ihren Traum vom Erdschiff zu realisieren, gründeten die Martin und Margarita den Verein „Zěmeloď”. Sie sammelten Spenden, um das Grundstück zu kaufen und luden Michael Reynolds ein. Im April vor einem Jahr bauten sie zusammen mit vielen Helfern ihre Arche. Zwei Millionen Kronen (circa 80.000 Euro) hat sie gekostet, das Grundstück inbegriffen.

Zimmer wie Iglus
Die Führung durch das Erdschiff beginnt Martin mit einer Besteigung des Dachs, ein Betonbecken. Es fängt das Regenwasser auf, dann fließt es durch ein einfaches Filtersystem in einem Rinnsaal nach unten in ein künstlich angelegtes Sammelbecken.

Das Haus – vielleicht sollte man sagen Biotop – betritt man durch die Tür einer Fensterfront. Man steht in einer Art Wintergarten mit Pflanzen, Kräutern und Tomaten. Während es draußen bitterkalt ist und schneit, hat es im Erdschiff etwa 15 Grad – ohne Heizung. Geheizt wird mit der Sonne, die durch die nach Süden ausgerichtete Fensterwand fällt, reguliert mit Jalousien. Ein Gang aus Natursteinen führt durch die Beete in die vier symmetrisch angelegten Räume, die die Form und Farbe eines Erdiglus haben. Wohn- und Schlafzimmer, Küche, Bad und Toilette liegen vis a vis. Es wirkt noch wie eine Baustelle: ein Tisch voll mit Geschirr, ein paar Stühle, ein kleiner Gaskocher. Der staubige Erdboden fühlt sich wie Samt an. Im Schlafzimmer steht ein Lattenrost, Ikea mit großer Matratze und ein Schreibtisch mit Laptop. Strom kommt aus einer kleinen Solarzelle. „Der reicht für Handy, Computer und mal eine Glühbirne“, sagt Martin. Das Internet sei im Ort leider schwach.

Aus der Küchenwand ragt der Wasserhahn. Rohre transportieren Wasser aus dem Sammelbecken ins Haus, wo es Martin und Margarita zunächst zum Duschen, Wäschewaschen und Geschirrspülen nutzen, dann wird es unterhalb der Pflanzenbeete im Wintergarten gefiltert und für die Toilettenspülung genutzt, bevor es wiederum unterirdisch nach draußen in eine Biokläranlage geleitet wird. Trinkwasser filtern sie mit einem Kohlefilter. Ein äußerst effektives System. Ein Haus wie dieses mit einem autarken Energie- und Wärmekreislauf gebe es in Mitteleuropa bislang nur ein Mal, sagt Martin.

Licht ist an diesem wolkenverhangenen Tag in der Iglu-Küche spärlich, es fällt nur durch die gläsernen Eingangstüren. In die Lehmwände sind Plastikflaschen und Einmachgläser eingebaut, die wie bunte Augen leuchten. Die Flaschen zieren nicht nur, sie isolieren und lüften zugleich die Lehmwände.Während Martin spricht, fängt man doch an zu frösteln. Einen Holz beheizten Ofen werden sie sich noch zulegen, gibt er zu. Es gibt noch einiges zu tun. Wände verputzen, Fußboden legen. Und eine Hausnummer bekommen, denn das Erdschiff sprengt die gängigen Bauvorschriften. Um offiziell ein Wohnhaus zu bauen, muss man zertifizierte Baumaterialien verwenden. Bei Lehm und Holz kein Problem. Autoreifen als Baumaterial aber kennen die Gesetze hierzulande nicht.