Die Ära der jungen Wilden
Für die Fußballnationalmannschaft brechen nach der EM-Enttäuschung neue Zeiten an
7. 9. 2016 - Text: Helge HommersText: Helge Hommers
Der Trainer? Nahm ein finanziell interessantes Angebot aus Russland an. Der Torhüter? Wie vier weitere etablierte Kräfte zurückgetreten. Der Kapitän? Aktuell verletzt und vor einer ungewissen Zukunft.
Von einem Umbruch in der tschechischen Fußballnationalmannschaft zu sprechen, wäre untertrieben: Es ist der Beginn einer neuen Ära, in der eine junge Generation von international weitgehend unbekannten Spielern die schwachen Ergebnisse der vergangenen Jahre (WM-Qualifikation 2014 verpasst, EM-Vorrunden-Aus 2016) vergessen machen soll.
Das ist der neu formierten Auswahl unter der Leitung von Trainer Karel Jarolím bei ihren ersten beiden Bewährungsproben nur teilweise geglückt. Dem 3:0-Testspielsieg gegen Armenien am Mittwoch vergangener Woche folgte am Sonntag zum Auftakt der WM-Qualifikation ein mageres 0:0 gegen Nordirland. „Die zweite Hälfte gegen Nordirland hat aber gezeigt, dass wir uns auf einem guten Weg befinden“, resümierte Jarolím, der erst Anfang August zum Nachfolger von Pavel Vrba ernannt worden war.
Aus dem 23-köpfigen Kader, der nach enttäuschenden Leistungen und mit nur einem Punkt von der Europameisterschaft in Frankreich zurückkehrte, nominierte der 60-Jährige für sein Debüt 14 Spieler. Neben dem an einer Oberschenkelverletzung laborierenden Tomáš Rosický fielen auch Mittelfeldmann Bořek Dočkal und Routinier Tomáš Sivok kurzfristig aus. Ob Rosický, der das Nationalteam seit zehn Jahren als Kapitän aufs Feld führt, überhaupt zurückkehren wird, ist fraglich.
Jarolím jedenfalls stellt dem 35-Jährigen eine Nominierung in Aussicht: „Wenn er gesund ist und seine Leistung bringt, ist er ein Spieler, der den Unterschied ausmachen kann.“ Nicht mehr auflaufen werden hingegen Petr Čech, Roman Hubník, Jaroslav Plašil, David Limberský sowie David Lafata, die nur noch auf Vereinsebene spielen werden. Zusammen blickt das Quintett auf mehr als 300 Länderspiele zurück. Der einzige einsatzbereite EM-Teilnehmer, der nicht nominiert wurde, war Pilsens Daniel Kolář.
Zwei Debütanten
Zu ihrem ersten Einsatz in der Nationalmannschaft kamen der 23-jährige Verteidiger Lukáš Pokorný von Slovan Liberec und sein 22-jähriger Vereinskollege Jan Sýkora, der im defensiven Mittelfeld auflief. Beide Debütanten spielten beim 3:0-Sieg gegen Armenien in Mladá Boleslav jeweils 45 Minuten. Jarolím schickte in der ersten Halbzeit das A-Team aufs Feld und wechselte zur Pause komplett durch.
Neben dem gewohnt starken Vladimír Darida überzeugte vor allem Rückkehrer Václav Kadlec, der nach mehr als anderthalb Jahren wieder im Aufgebot stand. Der 24-Jährige, der vergangene Woche für die Rekordsumme von 74 Millionen Kronen (2,7 Millionen Euro) vom dänischen Erstligisten FC Midtjylland zu Sparta Prag gewechselt war, spielte die armenische Abwehrreihe ein ums andere Mal schwindelig. Nutznießer war nach bereits vier Minuten Flügelspieler Ladislav Krejčí (neu bei Bologna unter Vertrag), der nach präziser Vorarbeit von Kadlec das 1:0 erzielte. Nach etwas mehr als einer halben Stunde war es der Angreifer selbst, der per Außenrist sehenswert aus 17 Metern traf (34. Minute). Zahlreiche weitere Torchancen blieben ungenutzt, was sich gegen ängstliche Armenier nicht rächen sollte. In der zweiten Halbzeit trug sich aus der zweiten Garde einzig Jan Kopic (Viktoria Pilsen) in seinem dritten Länderspiel in die Torschützenliste ein (86.).
Im Vergleich zu seinem Vorgänger Vrba, der vorwiegend im 4-2-3-1-System spielen ließ, setzte Jarolím auf ein 4-4-2 mit zwei Mann im zentralen defensiven Mittelfeld. Weiter vorne ließ sich Václav Kadlec immer wieder zurückfallen, um als klassischer „Zehner“ die Fäden in der Offensive zu ziehen. So agierte sein Sturmpartner Milan Škoda oft als einziger Angreifer. Haperte es im Spielaufbau, versuchten es die Tschechen mit langen Bällen in die Spitze, die der groß gewachsene Škoda auf seine Mitspieler ablegte. Für den Torjäger von Slavia Prag kam in der zweiten Hälfte Tomáš Necid (Bursaspor) in die Partie, der seinen Torriecher in der Türkei – ebenso wie Škoda in der tschechischen Liga – Woche für Woche unter Beweis stellt, aber international nicht die nötige Spielstärke mitbringt.
Gegen Nordirland sollte die erfolgreich geteste Taktik nicht aufgehen. Kadlec und Škoda traten in Halbzeit eins – bis auf ein gutes Zusammenspiel in der siebten Minute – so gut wie gar nicht in Erscheinung. Bezeichnend, dass mit Pavel Kadeřábek zunächst ein Defensivmann die einzige gute Möglichkeit in der Prager Generali Arena hatte (3. Minute). Überhaupt war der Hoffenheimer einer der Aktivposten im Spiel des jungen tschechischen Teams, dessen Altersdurchschnitt 26 Jahre betrug und das im Mittel weniger als 20 Länderspiele aufwies. Als Rechtsverteidiger aufgeboten, interpretierte der 24-jährige Kadeřábek seine Rolle sehr offensiv und sorgte ein ums andere Mal für Gefahr in der nordirischen Defensivzone. Ebenso Filip Novák, Kadeřábeks Pendant auf der linken Seite, der jedoch die Genauigkeit in seinen Flanken vermissen ließ. Durch die weit aufgerückten Verteidiger zog es die Flügelspieler Ladislav Krejčí und Jiří Skalák (Brighton & Hove Albion FC, zweithöchste englische Liga) häufig in die Mitte, wo aber am dichten Bollwerk des Gegners kein Vorbeikommen war.
Die Nordiren kamen nur selten zu Tormöglichkeiten – und wenn, dann begünstigt durch Konter oder Fehler im tschechischen Spielaufbau. Vor allem die Innenverteidigung um Kapitän Marek Suchý und Michal Kadlec (seit dieser Saison bei Sparta Prag) leistete sich grobe Fehlpässe, die Trainer Jarolím als „völlig unnötig“ bezeichnete. Čech-Nachfolger Tomáš Vaclík zeigte aber eine überzeugende Leistung und agierte in den wenigen gefährlichen Situationen souverän.
Schwach im Abschluss
Nach der Pause fing sich Verteidiger Kadlec, mit 67 Einsätzen erfahrenster Akteur im Team, und überzeugte mit sicherem Stellungsspiel. Angeführt vom überragenden Darida, dem Dreh- und Angelpunkt, kamen die Tschechen nun vermehrt zu Tormöglichkeiten. In der 63. Minute bot sich Novák aus sechs Metern die Chance zum 1:0. Doch der 26-Jährige verzog freistehend. Weitere gute Chancen wie ein überhasteter Kopfball von Krejčí (75. Minute) blieben ebenfalls ungenutzt, sodass es beim torlosen Remis blieb. „Wir hatten genug Möglichkeiten, uns selbst zu belohnen. So sind es zwei verlorene Punkte“, gestand Jarolím und ergänzte: „Hätten wir uns die Chancen gar nicht erst erspielt, wäre es schlimmer gewesen.“
Zumindest hat das tschechische Team gegen einen direkten Konkurrenten um Relegationsrang zwei nicht verloren. Denn dass Platz eins und das direkte Ticket für die WM an den Gruppenfavoriten Deutschland geht, scheint beschlossene Sache zu sein. Der Titelverteidiger gewann in Oslo mit 3:0 gegen Norwegen, das erschreckend schwach spielte und kein Gegner ist, vor dem sich Darida und Co. verstecken müssen.
Als nächste Aufgaben in der Qualifikationsgruppe C warten auf die Tschechen am 8. Oktober Weltmeister Deutschland (in Hamburg) und drei Tage später – erneut in Prag – Aserbaidschan. Spätestens gegen den zweiten Gegner, die Nummer 136 der Weltrangliste, sollten Jarolíms Mannen drei Punkte einfahren, um im Rennen zu bleiben. Im November folgt das Heimspiel gegen Norwegen, ehe im Frühling 2017 die Reise nach San Marino den Abschluss der Hinrunde bildet.
Gegen Deutschland mit einem veränderten Team aufzulaufen, ist für Jarolím denkbar: „Für jeden, der in den kommenden Wochen starke Leistungen zeigt, steht die Tür weit offen“, sagte der 60-Jährige. Zur Zeit wissen vor allem die Jungen zu überzeugen. Allen voran der erst 20-jährige Patrik Schick, der vor der Saison für 100 Millionen Kronen (vier Millionen Euro) zu Sampdoria Genau wechselte und regelmäßig für das U21-Nationalteam trifft. Oder der 24-jährige Verteidiger Jakub Brabec, der Sparta Prag nach überragenden Leistungen in der Europa-League-Qualifikation kurz vor Transferschluss in Richtung Belgien zum KRC Genk verließ. Und da wäre auch noch der offensive Mittelfeldspieler Václav Černý, der trotz seiner erst 18 Jahre bereits im Profikader von Ajax Amsterdam steht. Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, wie und ob sich diese „junge Garde“ für höhere Aufgaben und Karel Jarolíms Team empfiehlt.
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