Der Reiz des Ungewissen

Der Reiz des Ungewissen

Zu Fuß durch Afrika oder mit dem Rad um die Welt: Auf den Spuren tschechischer Weltenbummlerinnen

1. 4. 2015 - Text: Sabina PoláčekText: Sabine Poláček; Foto: Society of Malawi

Es sind nur zwei Fotografien aus dem Jahr 1893, die von den Abenteuern der Tschechin Hlaváčková berichten. Ihr Vorname blieb unbekannt, ihre Herkunft und ihr Leben ein Rätsel. Lediglich ein erhaltener Brief berichtet davon, dass die aus Österreich-Ungarn stammende Frau als Gouvernante bei einer Familie in Südafrika lebte. Aus unbekannten Gründen gab sie ihre Stellung auf, um sich auf einen gefahrvollen Weg zu begeben: von Kapstadt nach Kairo – zu Fuß. Als die dunkelhaarige Frau zusammen mit zwei Trägern ihrer spärlichen Habseligkeiten den Berg Mulanje im Süden Malawis erreichte, hatte sie bereits 3.000 Kilometer hinter sich gebracht. Weiter kam die Tschechin nicht, deren Alter zu diesem Zeitpunkt auf etwa Mitte Dreißig geschätzt wird. Hlaváčková erkrankte an Malaria und starb. Seitdem ist ihr Schicksal nahezu vergessen.

Fasziniert von den beiden Fotografien begab sich die Journalistin und Autorin Eda Kriseová vor rund zehn Jahren auf ihre Spuren. Entdeckt hatte sie die Bilder in einem Beitrag über tschechische Weltenbummler in der Zeitschrift „National Geographic“, verfasst vom ehemaligen tschechischen Botschafter in Malawi, Jaroslav Olša. Die heute 74-Jährige schrieb ein Buch über das „Fräulein H.“, aber auch über ihre eigenen Erlebnisse auf dieser Reise. „Eine Mischung aus Fiction und Non-Fiction“, wie es Kriseová selbst beschreibt. „Ich habe versucht, ihren Weg, ihr Leben und ihre Persönlichkeit zu rekonstruieren“, erinnert sich die Pragerin heute.

Bereits seit dem 16. Jahrhundert begaben sich nicht nur Holländer, Portugiesen oder Engländer, sondern auch Tschechen als Missionare, Kartografen, Soldaten, Ärzte oder schlichtweg als Abenteurer auf den Weg nach Afrika. Zu den bekanntesten Forschungsreisenden des 19. Jahrhunderts zählt Emil Holub, der an zahlreichen Expeditionen teilnahm und die Viktoriafälle an der Grenze von Sambia und Simbabwe kartierte. Zum Gedenken an ihn wurde im sambischen Livingstone 2005 seine Büste enthüllt.

Unvergessen sind auch die berühmten Globetrotter Miroslav Zikmund und Jiří Hanzelka, die von 1947 bis 1950 sowie von 1959 bis 1964 mit einem Auto der Marke Tatra die Welt erkundeten und deren spannende Radio- und Fernsehberichte ihre Landsleute zuhause in Atem hielten.

Nichts für Zimperliesen
Die meisten Weltenbummler waren Männer. Dabei haben auch tschechische Frauen viel erreicht. Die beiden Fotografien von Hlaváčková seien laut Kriseová womöglich der Beweis, dass die kleine Frau mit dem Tropenhelm von Kapstadt aus sogar nördlichere Gebiete Afrikas erreichte als damals Emil Holub. Und dass sie – vermutlich als erste Tschechin – zu Fuß von Kapstadt nach Malawi gelangte.

Nicht nur Fräulein Hlaváčková, auch andere europäische Frauen packte im 19. Jahrhundert die Abenteuerlust, gesellschaftlichen Konventionen zum Trotz. Im Korsett erklommen sie hohe Berge, erkundeten in langem Kleid und Unterrock den Nahen Osten oder gelangten als männliche Reiter verkleidet nach Tibet. Die erste Frau, die 1894 mit dem Fahrrad die Welt umrundete, war die bereits als Kind mit ihrer Familie in die USA emigrierte Litauerin Annie „Londonderry“ Cohen Kopchovsky. In ihre Fußstapfen – oder besser gesagt in die Pedale – trat viele Jahre später die Tschechin Lucie Jonová.

Nachdem sie und ihr Partner Michal ihr ganzes Hab und Gut verkauft und ihre Jobs gekündigt hatten, begab sich die Weltenbummlerin auf ihre tollkühne Reise, mit 30 Kilo Proviant auf ihrem Fahrrad festgeschnürt und einem Fotoapparat in der Tasche. Von 2002 bis 2005 durchquerte das Paar 34 Länder und legte 68.175 Kilometer mit dem Fahrrad zurück. Damit ist Jonová – damals noch Kovaříková – laut dem Tschechischen Buch der Rekorde (Česká kniha rekordů) die erste Tschechin, die die Welt mit dem Rad umrundete. „Am schönsten fand ich die Begegnung mit fremden Kulturen und mit Tieren wie Bären oder Walen. Auch das Polarlicht in Kanada war ein tolles Erlebnis“, erzählt die heute 42-Jährige.

Zu den tschechischen Abenteuerinnen zählt auch die Bergsteigerin Dina Štěrbová. Im Jahr 1977 bezwang sie den Berg Noshak im afghanischen Hindukusch. Während der Zeit der Normalisierung in der Tschechoslowakei, waren solche Expeditionen zwar schwierig, dennoch gelang ihr mit Věra Komárková 1980 auch die Reise nach Nepal, wo sie den 8.201 Meter hohen Cho Oyu bis zum Gipfel bestiegen. Štěrbová war damals bereits 44 Jahre alt.

Hlaváčková erreichte nach 3.000 Kilometern den Berg Mulanje in Malawi, wo ihr langer Weg jäh endete. „Ich werde nicht mehr nach Malawi zurückkehren“, weiß Kriseová, die dort auch Hlaváčkovás Grab besuchte. Aber immer, wenn sie die Augen schließt, wird ihre eigene Abenteuerreise wieder lebendig und sie erinnert sich. An das leuchtende Grün der Eukalyptusbäume und der Lianen nach dem Regen im Urwald – und an die Leopardenspuren in roter Erde.