Der Mythos des modernen Menschen

Der Mythos des modernen Menschen

Das DOX zeigt Radim Labudas „Aspects of the Great Man“

18. 9. 2013 - Text: René PfaffText: René Pfaff; Foto: DOX/Elis Unique

Entschlossenen Schrittes scheint der Mann mit der Gasmaske im Gesicht direkt auf den Betrachter zuzugehen. Doch es ist lediglich ein Treten auf der Stelle, er kommt nicht wirklich vorwärts. Nächstes Video: Ein Mann in dunklem Anzug und schwarzen Lederhandschuhen steht reglos an einem Swimmingpool. Eine weitere Szene: Eine Frau spielt obsessiv mit ihrem Kugelschreiber, gleichzeitig redet sie unentwegt. Immerfort dreht sie den Stift zwischen ihren Fingern hin und her. Sucht man nach Gemeinsamkeiten in diesen kurzen Endlosschleifen, dann drängt sich das Bild einer Sprungfeder auf, die jeden Augenblick losschnellen kann. Die verstörenden Videos sind Bild gewordene Unruhe inmitten scheinbar stiller Momente.

Die Video- und Audioinstallationen der Ausstellung „Aspekty Velkého muže“ („Aspects of the Great Man“ oder auf Deutsch „Aspekte des großen Mannes“) im Holešovicer Zentrum für Gegenwartskunst DOX sollten jedoch nicht für sich allein stehend betrachtet werden. Die Exponate verbindet wesentlich mehr als dieser vage empfundene Spannungszustand. Jener „Mr. Greatman“ (so geschrieben wird er analog zu „Herr Großmann“) ist eine Kunstfigur, die der slowakische Künstler Radim Labuda sinnbildlich für den Typus des zeitgenössischen Menschen erschaffen hat. Kalt, rational und manipulativ ist er für ihn nichts weniger als das Produkt unserer modernen Gesellschaft. „Mr. Greatman“ steht für eine Rationalität, die, wenn sie sich selbst übertrifft, der Welt gefährlich werden kann.

Faktor Zeit
Labuda, der 1976 in Bratislava geboren wurde, ist Absolvent der Akademie der Bildenden Künste in Prag (AVU). 2008 erhielt er den Jindřich-Chalupecký-Preis, eine der bedeutendsten Auszeichnungen für junge Künstler in Tschechien. Die gegenwärtige Ausstellung zeigt auch Labudas Weiterentwicklung vom reinen Video-Artist zu einem Künstler, der nun auch Texte in sein Werk integriert.

Um „Aspects of the Great Man“ wirklich würdigen zu können, sollte der Besucher allerdings ein wenig Zeit mitbringen. Wer die Ausstellung im ersten Stock des Kulturzentrums lediglich im Vorbeigehen mitnimmt, wird der Intention des Künstlers kaum gerecht – zwei Jahre lang hat Labuda an seinem Projekt gearbeitet. Die in dieser Zeit entstandenen Video- und Soundinstallationen sind aber nur die Folie zu ebenfalls in dieser Zeit entstandenen Texten des Künstlers, die sich thematisch mit „Mr. Greatman“ beschäftigen. Die Lektüre dieser Hintergrundnarrative macht die Exponate denn auch erst wirklich verständlich – und die Zeit, sie eingehend zu lesen, sollte man sich auch nehmen. Denn, wie Labudas Kuratorin Markéta Stará bemerkt, ist „Aspects of the Great Man“ nicht nur eine Reflexion auf den Mythos des modernen Menschen, sondern auch dessen Psychoanalyse – somit könne sich jeder Besucher in der Ausstellung wiederfinden.

Radim Labuda: Aspects of the Great Man. Zentrum für zeitgenössische Kunst DOX (Poupětová 1, Prag 7), geöffnet: Mo., Sa. & So. 10–18 Uhr, Mi. & Fr. 11–19 Uhr, Do. 11–21 Uhr (dienstags geschlossen), Eintritt: 180 CZK (ermäßigt 90 CZK), bis 17. Oktober

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