„Den Schlüssel habe ich noch nicht gefunden“
Die Medienkünstlerin Barbora Kleinhamplová hat den Jindřich-Chalupecký-Preis erhalten. Mit ihrer Arbeit will sie zwar nicht die Welt verbessern, aber ein bisschen wärmer machen
9. 12. 2015 - Text: Franziska NeudertInterview: Franziska Neudert; Foto: Peter Fabo
Barbora Kleinhamplová sieht müde aus. Vor knapp zwei Wochen gewann die 31-Jährige den Jindřich-Chalupecký-Preis, die landesweit bedeutendste Auszeichnung für Künstler. Seitdem klingelt ihr Telefon öfter als ihr lieb ist. Die Jury nannte Kleinhamplová eine der wichtigsten Künstlerinnen der jungen Generation. Die Wahl-Pragerin kann über diese Bezeichnung nur schmunzeln. Im Gespräch mit PZ-Redakteurin Franziska Neudert erzählt sie, wieso sie lieber auf die Straße geht, als politische Kunst zu produzieren, weshalb sie eher Fragen aufwirft, als Antworten zu geben und warum Kunst ein brotloses Unterfangen ist.
War es eine große Überraschung für Sie, als die Jury bei der Preisverleihung Ihren Namen nannte?
Barbora Kleinhamplová: Ja, ich war ziemlich überrascht, zumal einige der fünf Finalisten schon zum zweiten Mal nominiert waren und es wahrscheinlicher schien, dass einer von ihnen ausgezeichnet wird. Den Preis zu erhalten, bedeutet aber gar nicht so viel. Das ist eine ganz wackelige Sache, die auch anders hätte verlaufen können. Die Entscheidung der Jury hängt von so vielen Faktoren ab. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Juroren anders entschieden hätten, wenn sie zum Beispiel zwei Stunden länger geschlafen hätten. Den Preis hätte auch jeder andere bekommen können. Die Auszeichnung heißt auf jeden Fall nicht, dass ich von den fünf Finalisten die beste Künstlerin bin.
Die Auszeichnung ist mit 100.000 Kronen, umgerechnet etwa 3.700 Euro, dotiert. Haben Sie Pläne, wie Sie das Preisgeld verwenden?
Kleinhamplová: Ja, ich will eine Ausstellung umsetzen. Wo genau, das steht noch nicht fest, vielleicht im Ausland.
Sie arbeiten mit verschiedenen Medien – unter anderem Video, Installation und Performance. Haben Sie eine bevorzugte Ausdrucksform?
Kleinhamplová: Nein, ich konzentriere mich nicht auf eine Form. Ich will verschiedene Medien nutzen, um meine Ideen umzusetzen. Welche ich am Ende benutze, hängt vom Thema ab, mit dem ich mich beschäftige. Allerdings verwende ich seltener Skulpturen oder Fotografien und niemals die Malerei.
Mit welchen Themen arbeiten Sie derzeit?
Kleinhamplová: Seit einer Weile beschäftige ich mich mit der Welt der Unternehmen und wie der Einzelne darin funktioniert und sich unterordnet, wie er manipuliert wird und andere manipuliert. Aber auch die virtuelle Welt des Internets und die Technik spielen in meiner Arbeit eine große Rolle. Ich finde es spannend, wie sich die Kommunikation zunehmend über das Internet abspielt und immer weniger zwischen den Menschen selbst. Sie werden zu Assistenten von Maschinen, von denen ihr Leben abhängt. Außerdem interessiert mich das sogenannte Prekariat, also Menschen, die nicht in sicheren Strukturen leben und keinen festen Job haben. Das ist mir sehr nahe, in einer solchen Welt lebe ich ja auch.
Ist es schwer, als Künstlerin über die Runden zu kommen?
Kleinhamplová: Aus einem sonderbaren Grund ist Kunst sehr attraktiv für junge Leute. Aber die wenigsten denken darüber nach, was es eigentlich bedeutet, ein Künstler zu sein. Das ist ein ziemlich harter Job. Man kann kaum Erfolg haben, weil schon so viele andere in der Warteschlange stehen, um ihre Arbeiten zu präsentieren. Und selbst wenn es gelingt, wird man kaum bezahlt. Künstler zu sein ist definitiv viel schwieriger als ein herkömmlicher Bürojob und bedeutet viel Stress.
Fällt Ihnen das Kunstschaffen selbst leicht?
Kleinhamplová: Ich bin nicht gerade der selbstbewussteste Mensch auf der Welt. Allein die Entscheidung, welches Medium für ein Projekt das beste ist, fällt mir ziemlich schwer und ich stelle sie immer wieder in Frage. Ich arbeite oft mit vielen Leuten zusammen, mit Tänzern, Schauspielern und Kameraleuten. Die Produktion zu bewerkstelligen, ist nicht ganz einfach. Schließlich erschwert das geringe Budget die Arbeit – die Diskrepanz zwischen dem, was man machen will und dem, was man umsetzten kann.
Sie haben gemeinsam mit der Autorin Tereza Stejskalová ein Buch über Kunst geschrieben und darüber, welche Rolle Künstler in der Gesellschaft spielen. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Kleinhamplová: Das ist eine gute Frage. Ich kann sie gar nicht eindeutig beantworten. Ich denke nicht, dass es da nur eine Antwort gibt. Ich habe noch nicht mal eine für mich selbst. In dem Buch haben wir verschiedene Konzepte beleuchtet, aber keine Antwort gesucht. Wir wollten eher Fragen aufwerfen, beispielsweise warum Künstler wichtig sind. Womöglich, um Alternativen aufzuzeigen – Alternativen, wie man in einer so komplizierten und problematischen Welt leben und handeln kann. Vielleicht kann Kunst wie eine Wissenschaft neue Themenfelder erschließen, nur mit einem anderen Zugang.
Spüren Sie als Künstlerin eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber?
Kleinhamplová: Ja, aber eher mir selbst gegenüber. Ich möchte mir treu bleiben und vermitteln, was mir wichtig ist. Man muss als Künstler daran glauben, dass man etwas Wichtiges zu sagen hat und mit dem, was man produziert, neue Horizonte eröffnet, Betrachtungsweisen ermöglicht, die Dinge in neuem Licht zeigt.
Kann Kunst die Welt verändern oder verbessern?
Kleinhamplová: Ich weiß nicht. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob das das höchste Ziel für einen Künstler ist. In erster Linie will ich meine Projekte umsetzen und das aussagen, was mir relevant erscheint. Und zugleich in diesem komplizierten System überleben und es vielleicht ein bisschen wärmer machen.
Würden Sie mit Ihrer Kunst denn gern etwas verändern?
Kleinhamplová: Natürlich würde ich gern die Situation ändern. Aber ich habe noch nicht den Schlüssel dafür gefunden.
Was stört Sie denn an der heutigen Welt?
Kleinhamplová: Ich finde es unglaublich, wie wir handeln, unsere Regierung und die EU-Behörden. Wir verbarrikadieren uns hinter unseren Werten und Überzeugungen, als wären es die einzig richtigen, auch wenn wir dabei den Planeten und das Leben anderer Menschen zerstören. Wir glauben, wir tun das Beste, am Ende zerstören wir aber die Welt. Im Grunde genommen sind wir die Ursache des Problems.
Sollte Kunst politisch sein?
Kleinhamplová: Ich finde es schwierig, bestimmte Themen in meiner Kunst zu verhandeln. Da unterscheide ich lieber zwischen meiner Rolle als Aktivistin und Künstlerin. Aktivistische Projekte mit einem künstlerischem Ergebnis halte ich nicht für geeignet für Galerien. Da bin ich lieber Teil einer Protestaktion und äußere meine Meinung gemeinsam mit anderen Menschen auf der Straße. Ich denke, das ist effektiver als wenn ich politische Aussagen in meine Kunst einfließen lasse.
Inwiefern sind Sie politisch aktiv?
Kleinhamplová: Ich habe beispielsweise als Fotografin für die linksorientierte Plattform „A2larm.cz“ gearbeitet und für das Magazin „A2“. Im Sommer, als sehr viele Flüchtlinge nach Europa kamen, bin ich mit einem Freund von der Obdachlosenzeitung „Nový Prostor“ nach Calais gefahren, wo wir vier Tage in einem Flüchtlingscamp verbrachten. Wir wollten über die Situation der Menschen berichten, erklären, warum sie ihre Heimat verlassen, um die Menschen hier ein bisschen zu öffnen. Die Flüchtlinge aus dem Sudan waren so großzügig und so freundlich. Sie haben für uns gekocht, uns ein Bett gemacht, alles mit uns geteilt, obwohl sie so arm sind.
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