Das Vertraute in der Fremde

Das Vertraute in der Fremde

Ein Streifzug mit dem Frankfurter Schriftsteller Andreas Maier durch die Prager Innenstadt

19. 12. 2013 - Text: Adem FerizajText: Adem Ferizaj; Foto: GI

An diesem kalten Novembertag dringt nur wenig Licht durch die milchtrüben Fenster der Kneipe „U Černého vola“ („Zum Schwarzen Ochsen“) nahe der Prager Burg. Die wenigen Gäste verteilen sich in Grüppchen um die schwarzen, in die Jahre gekommenen Tische im spärlich eingerichteten Raum. An den Wänden hängen vergilbte Bilder mit alten böhmischen Motiven und geschwungenen Schriftzeichen.

Andreas Maier betritt die Gaststätte. Er grüßt mich mit einem charmanten „Servus“, legt seine beiden Bücher auf den Tisch und geht dann in aller Ruhe und mit großer Selbstverständlichkeit zurück zum Kleiderständer, um seinen grauen Wintermantel aufzuhängen. Es scheint, als würde Maier täglich hierher kommen, als würde er die Kneipe genauso gut kennen wie sein eigenes Wohnzimmer.
„Der Schwarze Ochse ist meine Lieblingskneipe in Prag“, erklärt der Schriftsteller sein routiniertes Verhalten. „Wenn ich in Prag bin, komme ich jedes Mal hierher“, fügt er hinzu, während er sein altes Handy aus der Hosentasche fischt.

Absurdes Halbwissen
Am Abend zuvor saß Maier im Prager Goethe-Institut, um seinen Roman „Das Zimmer“ vorzustellen, der vor kurzem in tschechischer Übersetzung erschienen ist. Nun zeigt er mir auf dem Display seines Telefons Fotos seiner Stammkneipe „Zu den drei Steubern“ in Sachsenhausen, einem Stadtteil in Frankfurt am Main. Die Ähnlichkeit zum „Schwarzen Ochsen“ sei verblüffend. Nicht nur die Einrichtung, sondern auch die kauzige Art der Kellner, wie Maier hinzufügt. Er mag das Menschliche. Und das findet er in genau solchen Kneipen wieder: den dicklichen, ein wenig ungehobelten Kellner, dem jede Bierbestellung ein glückseliges Lächeln ins Gesicht zaubert.

In Kneipen wie diesen spielen sich viele Szenen aus Maiers 2005 erschienenem Roman „Kirillow“ ab, seinem gelungensten Buch, wie der Autor selbst sagt. In dessen Prolog ziehen die Bewohner eines Frankfurter Wohnhauses über ihren unbeliebten Nachbarn Frank Kober her. Ohne das geringste Interesse am tatsächlichen Leben des jungen Studenten zu hegen, stellen sie die wildesten Gerüchte über sein Dasein auf. Den Hausbewohnern zufolge gehe er keiner geregelten Arbeit nach, schließlich verlasse er ja nie seine Wohnung zu denselben Zeiten. Und dann hielte er sich auch noch für etwas Besseres. Kurzum: Es wird viel geredet, obgleich niemand wirklich etwas weiß.

Im „Schwarzen Ochsen“ erklärt mir Maier, warum dieses Thema in seinen Büchern regelmäßig auftaucht. Er habe das Grundgefühl, dass alle Menschen Lügner seien: „Der Mensch ist brutaler in der Abwesenheit anderer“. Durch den Einfluss der Medien nähme dieses Halbwissen mitunter noch wesentlich absurdere Ausmaße an. In solchen Fällen, so Maier, verhielten sich die Zeitungsredaktionen wie in „Gruppen­regression“. Sie verbreiten Dinge, über die man wenig weiß und machen sie dadurch unnötig größer. Das hat Maier vor mehreren Jahren selbst erfahren. Als er 2004 das Potsdamer Literaturstipendium erhielt, man für ihn so schnell aber keine Unterkunft finden konnte und Maier eine Plattenbauwohnung als Bleibe anbot, titelte die „Bild-Zeitung“: „Schriftsteller fordert Schloss statt Platte“. Um eine griffige Schlagzeile zu produzieren, unterschlug die Zeitung den Hintergrund der Geschichte, zumal Maier sich gar nicht gegen eine solche Wohnung gesträubt hatte.

„Gigantische Müllberge“
Die Erfahrung hinterließ ihre Spuren. Immer wieder stolpert man in Maiers Büchern über die Überzeugung: „Öffentlichkeit ist nichts anderes als eine Form von Wahnsinn“.

Nach einem Bier im „Schwarzen Ochsen“ laufen wir durch die Prager Innenstadt zur nächsten Kneipe, „U Dvou Koček“ („Zu den zwei Katzen“) unweit des Wenzelsplatzes. Eine weitere Gaststätte mit Wohnzimmercharme, die jene vertraute Atmosphäre vermittelt, so dass man sich auf Anhieb heimisch fühlt. In Prag ist Maier bereits zum dritten Mal, länger als zwei oder drei Tage konnte er jedoch nie bleiben. Durch das Schreiben käme er viel in Europa herum. Eine schönere Stadt als Prag aber habe er bisher nicht gesehen. Den Blick auf die Prager Burg gerichtet, die im Licht der letzten Sonnenstrahlen dieses Herbsttages noch majestätischer wirkt, hält er kurz inne. Ganz anders verhielte es sich mit dem Wahrzeichen seines Wohnortes, der Frankfurter Skyline. „Das sind gigantische Müllberge“, sagt er lakonisch.

Bevor er mit dem Nachtzug am frühen Abend zurück nach Frankfurt fährt, genießt Maier sein letztes Bier in den „Zwei Katzen“. Wir sprechen über den autobiographischen Bezug in seinen Werken. Besonders in seiner auf elf Bände angelegten Wetterauer Familiensaga, an der Maier gerade arbeitet. Er selbst ist in der Wetterau, einer Region in Hessen, aufgewachsen.
„Es geht mir nicht darum, mein eigenes Leben zu schreiben“, erklärt er seinen Antrieb. „Ich kann aber nur über das schreiben, was ich kenne“.