„Das Schöne an der tschechischen Literatur zeigen“

„Das Schöne an der tschechischen Literatur zeigen“

Im Oktober 1916 erschienen erstmals die „Schlesischen Lieder“ von Petr Bezruč auf Deutsch. Für den Übersetzer Rudolf Fuchs war es der Beginn einer lebenslangen tschechisch-deutschen Vermittlungstätigkeit

27. 10. 2016 - Text: Konstantin KountouroyanisText: K. Kountouroyanis; Fotos: K. Kountouroyanis, Nachlass Roy Fox

Am 1. März 1940 schrieb Hermon Ould, der damalige Vorsitzende des Londoner Ablegers des internationalen Autorenverbandes P.E.N., an Rudolf Fuchs: „Ich vernahm von Herrn Otto Pick, dass sie am 5. März Ihren 50. Geburtstag feiern und sende Ihnen dazu meine herzlichsten Glückwünsche. […] An diesem Tag wird es im ,London Centre‘ ein Mittagessen geben, […]. Wenn Sie uns freundlicherweise Gesellschaft leisten werden, würden wir uns freuen, sie zu empfangen.“ Was wie eine beiläufige Offerte zu einem gemeinsamen Mittagessen aussieht, muss wenige Tage später eine größere Feier gewesen sein, denn im Nachlass von Rudolf Fuchs lässt sich eine Einladung in das damals bei Literaten und Künstlern sehr beliebte Pagani’s Restaurant finden.

Wer war der Mann, auf dessen Geburtstag der Prager Schriftsteller Otto Pick seinen Bekannten Ould hinwies? Rudolf Fuchs, der am 5. März 1890 im mittelböhmischen Städtchen Poděbrady – unweit von Prag – geboren wurde, wuchs zunächst rein tschechischsprachig auf. In seiner Autobiografie, die er auf Veranlassung der tschechoslowakischen Kulturkommission in London zu seinem 50. Geburtstag schrieb, merkte Fuchs an: „Ich hatte schon als Kind Neigung zur Poesie.“ Im Alter von zehn Jahren musste er auf „Ratschlag der Familie“ nach Prag umziehen. Erst hier begann er Deutsch zu lernen. In Prag besuchte er die Realschule in der Nikolandergasse, in die auch der 15 Jahre ältere Rainer Maria Rilke und der fünf Jahre ältere Egon Erwin Kisch gingen.

„In Prag war es für mich nicht leicht. Die deutsche Sprache machte mir Schwierigkeiten. Zum Glück war ich bei einer kunstsinnigen Familie untergebracht.“ Es war die Familie Thierberger, deren Tochter Gertrude 1922 Johannes Urzidil heiratete. „Ich besuchte häufig das deutsche Theater, las deutsche Bücher, fasste leise den Vorsatz, meinen Freunden zu zeigen, was es Schönes in der tschechischen Literatur gebe, indem ich es ins Deutsche übersetzte.“ Dieser Vorsatz sollte Rudolf Fuchs’ gesamtes Leben prägen. So übersetzte er später tschechische Klassiker wie Karel Jaromir Erben, František ­Ladislav Čelakovský, Jan Neruda­, Jaroslav Vrchlický, Otokar Březina und Jiří Wolker.

Politische Motivation
Zu einem Dichter pflegte Rudolf Fuchs jedoch eine ganz besonders intensive und lebenslange Freundschaft: dem 1867 im mährisch-schlesischen Troppau geborenen und heutigen Nationaldichter Petr Bezruč, mit bürgerlichen Namen Vladimír Vašek. Mit Bezruč ging es Fuchs nicht mehr nur darum, seinen Freunden das „Schöne in der tschechischen Literatur“ zu zeigen, sondern durch seine Übersetzungsarbeit indirekt politisch aktiv zu werden. Petr Bezruč galt schon lange als „Anwalt“ der Bergleute in Mährisch-Schlesien, die unter schwersten Bedingungen und gegen geringe Entlohnung unter Tage ihr Leben oder ihre Gesundheit hergaben. In kaum einem anderen Gedicht tritt dieser Umstand so deutlich zutage wie in „Ostrau“:

„Ein stummes Jahrhundert im Schachte verlebt, bei Kohle auf schwarzen Geleisen; […] Kohlenstaub ess’ ich mit meinem Brot, und andere feiern Feste; aus meinem Blut, aus meiner Not baut man in Wien Paläste. […] Ein stummes Jahrhundert im Schachte verbracht – wer wird mir die Jahre entgelten? […] Ihr alle in Schlesien, hebt euch heran, […] Ihr alle in Schlesien, seid auf der Hut, ihr Herren, ihr grausamen, kalten: einst hüllt sich die Stunde in Feuer und Glut, einst kommen wir Abrechnung halten!“

Diese, von Rudolf Fuchs übersetzten Zeilen beschreiben, wie Bezruč und seine Leserschaft die österreichisch-ungarische k.u.k. Monarchie sahen: als Besatzer und Ausbeuter. Eine klare Botschaft in einer Zeit, in der Wien schon länger Probleme damit bekundete, die aufkommenden Unabhängigkeitsbestrebungen und Nationalitätenkonflikte in den einzelnen Kronländern unter Kontrolle zu halten.

Die Werke von Petr Bezruč zu übersetzen, war für Fuchs eine Herzensangelegenheit.

Im Oktober 1916 war es dann so weit. Rudolf Fuchs’ Übersetzung der „Slezské písně“, der „Schlesischen Lieder“ von Bezruč erschien im Kurt-Wolff-Verlag Leipzig mit einem epochalen Vorwort von Franz Werfel: „Unser Herz fühlt connational mit allen Unter­drückten aller Völker.“ Doch beinahe wäre es nie zu der Veröffentlichung gekommen, denn zuvor wurde eine Sendung an den Herausgeber der expressionistisch-fortschrittlichen Zeitschrift „Die Aktion“ Franz Pfemfert von der österreichischen Militärzensur abgefangen.

Überraschender Erfolg
„Ich wurde“, schreibt Rudolf Fuchs in seiner Autobiografie, „von der Politischen Polizei in Prag verhört und kurz darauf zum Militär eingezogen. Aber noch in der Kaserne in Nagy Kanvzca in Kroatien las ich den Kameraden die Korrekturbogen der ‚Schlesischen Lieder‘ von Bezruč vor. Und während ich des Kaisers Rock trug, erschien der Band bei Kurt Wolff in Leipzig.“ Der Erfolg war überraschend groß, und „die erste Auflage war binnen kurzem vergriffen. Das Buch wurde verboten. […] In Ermangelung der tschechischen Ausgabe, die von der Polizei aufgekauft worden war und im Keller der Prager Polizeibehörde eingelagert wurde, wurde die deutsche Übersetzung auch von den Tschechen gelesen.“

In den Folgejahren überarbeitete und publizierte Rudolf Fuchs seine Bezruč-Übersetzungen mehrere Male. 1926 erschien bei Kurt Wolff München dann der Sammelband „Ein Erntekranz aus hundert Jahren tschechischer Dichtung“, übersetzt und herausgegeben von Rudolf Fuchs und mit Gedichten der eingangs erwähnten tschechischen Klassiker – und mit Gedichten von Petr Bezruč.

Fuchs arbeitete in den Jahren zwischen den Weltkriegen sehr produktiv; schrieb für das „Prager Tagblatt“ und die „Prager Presse“, übersetzte weiterhin tschechische Literatur ins Deutsche, bearbeitete das Libretto zur Oper „Verlobung im Traum“ von Hans Krása und schrieb selbst zahlreiche Gedichte, Kurzerzählungen und Romane. Viele davon blieben bis heute unveröffentlicht.

Nach dem Münchner Abkommen emigrierte Fuchs, der Jude war, mit seiner Familie nach London. Auch dort wurde Fuchs nicht müde, zwischen der deutschen und der tschechischen Kultur zu vermitteln. Eine Auswahl der „Schlesischen Lieder“, diesmal auf Tschechisch, ging mit seinem Vorwort vom Dezember 1941 im Londoner Exil in Druck. An dem „Almanach aus der Czechoslowakei“ arbeitete er bis zum Februar 1942. Zwei Jahre nach seinem 50. Geburtstag kam Rudolf Fuchs am 17. Februar 1942 in den verdunkelten Straßen Londons bei einem Verkehrs­unfall ums Leben. Der Almanach wurde nie veröffentlicht.