Brüchige Heiterkeit

Brüchige Heiterkeit

In einem Symposium in Poříčí nad Sázavou setzen sich deutsche und tschechische Künstler mit dem Vorabend des Ersten Weltkriegs auseinander

14. 8. 2013 - Text: Franziska NeudertText und Foto: Franziska Neudert

Eigentlich hatte Libuše Černá mit überhaupt keinem Ergebnis gerechnet. Für zu komplex hielt sie das Thema – zu komplex, um von den Bildenden Künsten eingefangen zu werden. Dennoch schmückten am vergangenen Samstag zahlreiche Objekte das Gelände rund um den Bahnhof in Poříčí nad Sázavou – allesamt Kunstwerke für einen Tag. Für diesen Tag: Sie bildeten den Abschluss des einwöchigen Künstlersymposiums, zu dem Černá eingeladen hatte.

Unter dem Motto „Der letzte Sommer“ trafen sich in der 1.200-Seelen-Gemeinde etwa 40 Kilometer südöstlich von Prag tschechische und deutsche Künstler, um sich mit dem geschichtsträchtigen Jahr 1913 und seiner Bedeutung für die Gegenwart auseinanderzusetzen. 1913, das ist das Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Auf dem Schloss im nahe gelegenen Konopiště herrscht Wohlstand und Unbekümmertheit. Hier leben Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-d’Este und seine Gattin Sophie Chotek von Chotkowa. Das Paar lässt sich ein Schweizer Dorf errichten, veranstaltet Seeschlachten zum Vergnügen seiner drei Kinder, der Erzherzog frönt seiner exzessiven Jagdleidenschaft. Ende Juni 1914 reist das Ehepaar nach Sarajevo. Dort fallen beide am 28. Juni 1914 einem Attentat zum Opfer, knapp einen Monat später bricht der Erste Weltkrieg aus.

Für Libuše Černá lag die Idee zum Thema des Symposiums nahe. Die gebürtige Tschechin kennt die Gegend, war als Kind oft auf Schloss Konopiště: „Ich dachte, es wäre interessant, sich damit auseinanderzusetzen, was hier in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg passierte“, erläutert die Journalistin ihre Motivation. Seit 35 Jahren lebt Černá in Deutschland. Gemeinsam mit ihrem Mann Tilmann Rothermel gründete sie 1987 die Agentur Pro-tisk, die sich der internationalen kulturellen Zusammenarbeit verschrieben hat. Seitdem realisierten sie zahlreiche deutsch-tschechische Projekte.

Für das Symposium in Poříčí nad Sázavou brachte Černá insgesamt zwölf Künstler aus beiden Ländern zusammen. In der Umgebung des Schlosses Konopiště, der Sommerresidenz des Erzherzogs Franz Ferdinand d’Este, beschäftigten sie sich mit dem Leben des jagdwütigen Thronfolgers und dem Schicksal seiner Familie. Die Teilnehmer erforschten die zugänglichen Quellen und setzten das Thema künstlerisch um. „Der letzte Sommer“ steht dabei auch für den Versuch, die brüchige Heiterkeit und instabile Grundstimmung von damals auf die gesellschaftliche und politische Situation von heute zu übertragen. Während die tschechischen Künstler mit dem Thema bereits vertraut waren, stellte es für die deutschen Teilnehmer überwiegend Neuland dar.

Rot wie Blut
Ausflüge auf Schloss Konopiště oder zur von Franz Ferdinand gegründeten Brauerei in Benešov machten die Lebensgeschichte der Herzogsfamilie nachvollziehbar und ermöglichten es den Künstlern, in die Atmosphäre der damaligen Zeit einzutauchen. In Gesprächen tauschten sie ihre Vorstellungen zum Leben vor dem Ersten Weltkrieg aus. „Das war gar nicht so einfach“, gesteht Černá. „Wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass alle Englisch sprechen. Dann stellte sich jedoch heraus, dass es nicht so ist. Em Ende haben wir viel gedolmetscht, natürlich auch Deutsch und Englisch gesprochen, und mit Händen und Füßen“, lacht Černá. Überrascht ist sie über das künstlerische Resultat der gemeinsamen Auseinandersetzung, „denn es hätte ja genauso gut sein können, dass überhaupt nichts entsteht“.

Es entstanden Gemälde, Zeichnungen, Installationen und Objekte sowie Performances. Was die meisten Arbeiten dominiert, ist die thematische Verarbeitung der Jagdleidenschaft Franz Ferdinands. Nahezu 300.000 Tiere erlegte der österreichische Thronfolger in seinem Leben. Unzählige ausgestopfte Exemplare sind in Konopiště ausgestellt. Wie ein „großes Leichenhaus“ haben die erdrückenden Räume mit den Tieren auf sie gewirkt, erzählen Angelika Sinn und Rosa Jaisli. Für die Künstlerinnen aus Bremen ergab sich dadurch auch die Frage nach der Würde der Tiere. So hat Jaisli zwei knallbunte Teppiche im Dorf aufgehängt, auf denen Hirsche abgebildet sind. In Großbuchstaben steht über ihnen geschrieben „Byli jsme tady“ – „Wir waren hier“.

Gotthart Kuppels Performance „Erschossene Hemden“ hingegen setzt sich mit dem Blut auseinander, das durch den Tod Millionen Kriegsgefallener vergossen wurde. In der Brusttasche seiner an Straßenschildern befestigten weißen Hemden befindet sich ein Beutel mit roter Flüssigkeit. Durch Zündung wird er zum Explodieren gebracht und färbt die Herzgegend blutrot.

Zeiten kreuzen sich
„Blut“ ist auch in der Arbeit von David Šlajš gegenwärtig. Auf einer roten Decke liegt ein durchschossenes Tagebuch. Wer es durchblättert, findet Skizzen und Gedanken rund um Krieg, die Jagd und Franz Ferdinand. Für das Symposium kam der Pilsener extra aus Saudi-Arabien angereist, wo er derzeit arbeitet. Sein Tagebuch soll ein Tribut an das Leben des Einzelnen sein, und an dessen Endlichkeit. Was den Verlauf der Geschichte betrifft, ist Šlajš wenig optimistisch: „Aus ihr können wir weder lernen noch lehren. Das ist sehr traurig und seltsam. Aber die Erfahrungen, die vergangene Generationen gemacht haben, bleiben Geschichten. Natürlich ist man erst einmal berührt von dem, was andere erzählen. Aber am Ende vergisst man es doch sehr schnell wieder; man hat es eben selbst nicht durchgemacht.“

Die Beiträge der Künstler wurden symbolisch an der Straßenkreuzung am Bahnhof angebracht. Wie Černá erklärt, steht dieser Ort für das Aufeinandertreffen verschiedener Aspekte: „Einerseits war das Leben in dieser Gegend vor dem Ersten Weltkrieg völlig idyllisch, andererseits bahnte sich in der Ferne bereits ein entsetzlicher Konflikt an.“ Symbolisch steht die Kreuzung aber auch für die Zeit – hier laufen Vergangenheit und Gegenwart zusammen. So war die Auseinandersetzung mit dem Thema keineswegs nur rückwärtsgewandt. Immer wieder drehten sich die Gespräche um Parallelen zur heutigen Zeit.

Im Umbruch
Auch Isabel Pauer schloss sich dem Projekt an, weil sie die Verbindung zur Gegenwart so spannend fand. „Einhundert Jahre sind eigentlich noch gar nicht so lange her und doch scheint das Jahr 1913 unglaublich fern“, erklärt die Berliner Künstlerin ihre Faszination für das Thema. „Ich frage mich, was ich persönlich mit dem Ersten Weltkrieg überhaupt zu tun habe und habe das zu meinem Arbeitstitel gemacht. 17 Millionen Tote, 70 Millionen Bewaffnete. Bin ich ein Teil dieser Geschichte? Diese Gedanken bewegen mich sehr.“

Pauer wandert eine blanke Papierbahn entlang, die sie parallel zu den Gleisen ausgerollt hat. An den Enden des weißen Bandes liegen Fotografien aus dem Ersten Weltkrieg. Erst vor kurzem seien diese im Familiennachlass der 48-Jährigen entdeckt worden; ihrem Großvater wurden die Originale einst anonym zugeschickt. Wer auf den Bildern abgebildet ist, kann sie nicht sagen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema wird so auch zur Spurensuche in einer Geschichte, die längst noch nicht ausgeleuchtet ist.

Pauer trägt die Bilder vier Stunden lang von einem Ende der Bahn zum anderen. Damit transportiert sie diese sozusagen zwischen den Zeiten, zwischen 1913 und 2013. Welche Parallelen sieht sie zwischen damals und heute? „Wie vor hundert Jahren leben auch wir in einer Umbruchszeit. Vieles ist offen. Wahrscheinlich hat 1913 niemand geahnt, was kommen wird. Das ist heute ganz ähnlich.“

Für ihre Arbeit an dem Projekt wird sie ihre Performance in Poříčí nad Sázavou als Ausgangspunkt nehmen. Die Aufgabe der Künstler ist es nun, innerhalb der nächsten vier Monate weiter am Thema zu arbeiten und für die geplante Wanderausstellung jeweils ein Exponat zu schaffen. In sechs Städten soll die Schau im nächsten Jahr, wenn sich das Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand zum hundertsten Mal jährt, zu sehen sein: Bremen, Berlin, Prag, Wien, Benešov und möglicherweise auch Sarajevo. Das ist die nächste große Herausforderung für Libuše Černá: „Denn ob auch alles klappt, ist ja gar nicht so selbstverständlich.“