Brennpunkt der Innovation

Brennpunkt der Innovation

Das Internationale Dokumentarfilmfestival in Jihlava verbindet kritisches Denken mit Unterhaltung

22. 10. 2014 - Text: Franziska NeudertText: fn; Foto: Inselfilm

Wer hätte gedacht, dass sich die Schnapsidee einiger Schüler in Jihlava einmal zu einem weltweit anerkannten Event entwickeln würde? Vor 17 Jahren riefen fünf Gymnasiasten ein Festival ins Leben, das jene Dokumentarfilme auf die Leinwand bringen sollte, für die sie selbst gern ins Kino gingen. Auf Anhieb erfreute sich das von ihnen als „Internationales Dokumentarfilmfestival Jihlava“ („Mezinárodní festival dokumentárních filmů Jihlava“, kurz MFDF) getaufte Ereignis regem Zulauf. Die Filmvorführungen in Kombination mit Diskussionsrunden, Lesungen und Konzerten zogen immer mehr Besucher an.

Inzwischen hat sich das Festival zur größten Veranstaltung rund um den nicht-fiktionalen Film in Ostmitteleuropa entwickelt. Jährlich lockt der sechstägige Anlass tausende Cineasten an; allein im vergangenen Jahr kamen mehr als 30.000 Zuschauer in die etwa 50.000 Einwohner zählende Stadt in der Böhmisch-Mährischen Höhe.

Um das Festival vorzubereiten, benötigen die Veranstalter ein ganzes Jahr. Mehr als 2.800 Beiträge haben sie in den vergangenen zwölf Monaten gesichtet, von denen wiederum 266 Streifen für das Publikum in Jihlava ausgewählt wurden. Von 23. bis 28. Oktober werden diese an fünf verschiedenen Veranstaltungsorten über die Leinwand flimmern. „Unsere Programmgestalterin Andrea Slováková ist sogar bis nach Südkorea gereist, wo sie experimentelle Dokumentationen junger Filmemacher ausgesucht hat. Sie werden nun erstmals überhaupt in Europa gezeigt“, erzählt MFDF-Sprecher Tomáš Stejskal.

Ziel der Initiatoren ist es, den Zuschauern stilistisch innovative Dokumentationen zu präsentieren, die authentische und aktuelle Themen zum Inhalt haben. Als Leitsatz galt dabei von Anfang an das Motto „Durch den Film denken!“ („Myslet filmem!“). „Durch Filme können wir die Welt aus einer anderen Perspektive betrachten als durch Literatur oder bildende Kunst. Sie zeigen die Dinge direkter, lassen zugleich aber mehr Raum zum Denken und für neue Fragen, die sich zwischen den Einstellungen ergeben“, so Stejskal. Das Festival versteht sich daher als Plattform für alle, die sich nicht nur unterhalten lassen wollen, sondern auch gerne an Diskussionen, Fachvorträgen und Workshops über das Gesehene teilnehmen.

Der Tradition gemäß werden in den Kategorien „Česká radost“ der beste tschechische Dokumentarfilm, in „Mezi moři“ die beste ostmitteleuropäische Dokumentation, unter dem Titel „Opus bonum“ der beste weltweite Beitrag und in der Rubrik „Fascinace“ der beste Experimentalfilm prämiert.

Besondere Premiere
Im Mittelpunkt des Festivals steht das Thema „Fabrik“. In drei Kategorien widmen sich Dokumentationen der Geschichte von Fabrikanlagen in der ehemaligen Tschechoslowakei sowie deren Darstellung im experimentellen Dokumentarfilm seit 1904. „Die Fabrik soll dabei auch als soziale Metapher gelesen werden, angefangen vom ästhetischen Wert, der ihr heutzutage beigemessen wird, bis hin zu den gesellschaftlichen Aspekten, die mit den Schließungen der Anlagen verbunden sind“, wie Stejskal ausführt.

Wie schon in den zurückliegenden Ausgaben erwarten die Organisatoren auch dieses Jahr wieder nahmhafte Gäste. Dazu zählt unter anderem der US-amerikanische Regisseur Godfrey Reggio, der mit seiner sogenannten „Qatsi-Trilogie“ über den Eingriff des Menschen in die Natur bekannt wurde. Außerdem werden Kidlat Tahimik, Mitbegründer des unabhängigen philippinischen Films, und der spanische Filmemacher Albert Serra, der im vergangenen Jahr den Hauptpreis des Filmfestivals in Locarno gewann, in Jihlava zu Gast sein.

Neben zahlreichen Erstaufführungen freuen sich die Veranstalter auf eine ganz besondere Premiere: Im Gebäude des Kinos Dukla eröffnet ein Zentrum für Dokumentarfilme. Als Recherche- und Forschungseinrichtung soll es sowohl Literatur zu dem Genre als auch ein umfassendes Archiv internationaler Dokumentationen beherbergen. Laut Festivalveranstaltern wird es im ersten Jahr für Besucher kostenfrei zugänglich sein. Als eines unter wenigen Dokumentarfilmzentren in Europa soll es Jihlava zu einem Brennpunkt für die Kunst des nicht-fiktionalen Films machen.

Internationales Dokumentarfilmfestival Jihlava, Donnerstag bis Dienstag, 23. bis 28. Oktober, Informationen unter www.dokument-festival.cz