„Beneš war kein großer Politiker“

„Beneš war kein großer Politiker“

Otto Pick über die deutsch-tschechischen Beziehungen und die tschechische Geschichte im 20. Jahrhundert (erschienen am 10. Juli 2008)

21. 4. 2016 - Text: Christoph ReichmuthInterview: Christoph Reichmuth; Foto: APZ

Als Sonderbotschafter des tschechischen Außenministeriums prägte Otto Pick über ein Jahrzehnt die Beziehungen zu Deutschland und Österreich mit, als stellvertretender Außenminister bereitete er Ende der neunziger Jahre die Aufnahme seines Landes in die Nato vor. Der Sohn des gleichnamigen deutsch-jüdischen Schriftstellers und Übersetzers, der 1939 erst vor den National­sozialisten und 1948 vor den Kommunisten aus Prag nach England floh, war Redakteur bei der BBC, studierte Politikwissenschaft in Oxford, lehrte an zahlreichen Universitäten und leitete die tschechoslowakische Redaktion von Radio Free Europe in München. Nach der Wende ging Pick zurück in seine Geburtsstadt. An der Karls-Universität baute er den Fachbereich Politologie neu auf, 1993 übernahm er die Leitung des Instituts für internationale Beziehungen und zugleich die der Diplomatischen Akademie, an der angehende tschechische Diplomaten ausgebildet werden. Sein ganzes Leben setzte er sich für den Austausch und die Annäherung zwischen Tschechien und Deutschland, so auch als langjähriger Ko-Vorsitzender des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums und des Verwaltungsrats des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. Otto Pick starb am 20. März mit 91 Jahren in seiner Geburtsstadt Prag. Gegenüber der „Prager Zeitung“ sprach er 2008, damals noch für den Zukunftsfonds und als Berater des Außenministers aktiv, über die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts.   (mh)

Die deutsch-tschechischen Beziehungen seien so gut wie nie in der Geschichte, sagen die Politiker. Einzig im Verhältnis zwischen Prag und München gibt es Nachholbedarf. Dem ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber wird immer vorgeworfen, eine Reise nach Prag abgelehnt zu haben …

Das stimmt nicht, er hat dies nie abgelehnt. Er hat seinen Besuch immer an die Bedingung geknüpft, dass Teil seiner Delegation Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft sein sollen. Das haben die Tschechen immer abgelehnt. Stoibers Nachfolger Beckstein ist nicht mehr so an die Sudeten­deutschen gebunden.

Also gibt es Bewegung in den bayerisch-tschechischen Beziehungen?

Die bayerische Politik hat ein Spezifikum: Das ist die Pressure-Group der Sudetendeutschen. Politisch hat die CSU immer auf die Stimmen der Sudetendeutschen gesetzt und denen nachgegeben. Nur glaube ich nicht, dass die Sudetendeutschen wie ein Block abstimmen. Das war aber die Meinung der CSU seit dem Tod von Franz-Josef Strauß.

Auf dem jüngsten Pfingsttreffen der Sudetendeutschen wurde geäußert, dass es auf tschechischer Seite Gesprächsbereitschaft geben könne. Ist die Zuversicht berechtigt?

Gesprächsbereitschaft gibt es zweifelsohne, aber die Regierung lehnte es immer wieder ab, mit den Sudetendeutschen zu verhandeln. Und daran wird sich bestimmt nichts ändern. Regierungen verhandeln nun einmal mit Regierungen. (…) Als ich 1998 zum ersten Mal Vize-Außenminister wurde, bin ich nach München gefahren und habe die Spitzen der Sudetendeutschen zu einem Mittagessen eingeladen. Das war nicht offiziell, das Essen habe ich selbst bezahlt. Ich habe sie offen gefragt, was wollt ihr von uns. Da gab es vier verschiedene Antworten. Unsere Seite hat also nie eine Diskussion abgelehnt. Vor wenigen Wochen war ich beim Sudetendeutschen Rat in Marienbad, ich übe ja immer noch eine offizielle Funktion am Außenministerium aus. Dort habe ich mit Bernd Posselt gesprochen, den ich übrigens ziemlich gern habe. Er ist eine typische böhmische Figur. Wir hatten eine offene Diskussion.

In diesem Jahr erinnert sich Tschechien an die historischen Ereignisse mit der Jahreszahl 8 – also an 1918, 1938, 1948 und 1968. War das Jahr 1968 für Sie ein Einschnitt?

Für mich nicht, in dieser Zeit habe ich in London gelebt und viel in Washington gearbeitet. Für die Tschechen war das Jahr aber ein Trauma, ebenso 1938. An die Folge von 1938, die Besetzung im März 1939 kann ich mich noch gut erinnern. Ein verregneter Märztag, Tausende sahen dem Einmarsch der Deutschen auf dem Wenzelsplatz zu, und es herrschte Stille.

1938 und 1948 spielte Präsident Beneš eine wichtige Rolle. Was war er für ein Politiker?

Er war eine tragische Figur und kein großer Politiker. Er glaubte, dass man über alles mit jedem – auch mit einem Hitler oder einem Stalin – verhandeln kann. Zum Teil orientierte er seine Politik an persönlichen Gefühlen: Die Franzosen haben ihn ver­raten, die Russen nicht, deshalb fuhr er 1943 nach Moskau und schloss den Vertrag mit den Russen. Die Sudetendeutschen und Slowaken haben Verrat geübt, deshalb mussten erstere raus und der slowakische Präsident Jozef Tiso hingerichtet werden. Wobei die Vertreibung der Deutschen nicht ausschließlich auf Beneš zurückging, diese Idee haben ihm die Engländer schon Anfang der vierziger Jahre unterbreitet und der Heimatwiderstand im Protektorat verlangte dies.

Waren die Reformen von 1968 eigentlich der Versuch, dort wieder anzuknüpfen, wo kurz vor der Machtergreifung der Kommunisten das Land 1948 stand?

Auf keinen Fall, wenn, dann war es eine Anknüpfung an die Erste Republik. Die damals – und übrigens auch heute – sehr stark idealisiert wurde und wird. Denn so gut war es damals ja auch nicht.

Wäre bei einem Erfolg des Reformprozesses von 1968 die Tschechoslowakei den Weg Ungarns unter Kadar gegangen?

Möglicherweise – die Reformen von Ota Šik deuteten ja in eine solche Richtung. Nur Kadars Reformen setzten in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre ein, da saß noch Nikita Chruschtschow im Kreml. Und der hatte Verständnis für eine solche Politik. Sein Nachfolger Leonid Breschnew nicht mehr. Hinzu kommt, dass 1968 die russische Politik sehr stark von der Generalität mitbestimmt wurde.  

Interview gekürzt