Bei Wind und Eis
Trotz schlechtem Wetter starten mehr als 4.000 Sportler beim Isergebirgslauf. Ein Erfahrungsbericht
14. 1. 2015 - Text: Eva FamullaText: Eva Famulla; Foto: Zitronenpresse
Es ist Freitagabend, wir fahren auf der Landstraße Richtung Liberec. Der Wind drückt das Auto immer wieder zum Seitenstreifen. Angespannt und schweigend blicken wir aus dem Fenster. Der Wetterbericht für das Wochenende ist beunruhigend. Wir haben gebangt, ob wir überhaupt fahren können. Eine Januar-Prognose von zehn Grad über Null und Regen sorgt bei jedem Skifahrer für schlechte Laune.
Der Isergebirgslauf („Jizerská padesátka“) ist einer der ältesten klassischen Skilanglauf-Wettkämpfe in Europa. Beim ersten 50-Kilometer-Rennen im Jahr 1968 starteten 52 Teilnehmer. Gerade einmal sechs von ihnen kamen ins Ziel. Zwei Jahre später erlangte der Lauf Bekanntheit durch das tragische Ende einer tschechoslowakischen Peru-Expedition. Als Vorbereitung auf ihr Abenteuer hatten die 15 Expeditionsteilnehmer am Skirennen teilgenommen. Bei einem Erdrutsch in Peru kam die ganze Gruppe vier Monate später ums Leben. Der Isergebirgslauf wurde als Gedenklauf an das Unglück fortgesetzt. 1978 zählte das Rennen eine Rekordzahl von 7.800 Teilnehmern. Heute sind es jährlich 4.000 bis 4.500 Skifahrer im Hauptlauf und 1.000 bis 1.500 in den Nebenläufen.
Nahe Liberec sehen wir die ersten Schneespuren. An manchen Stellen sind sie ganz schwarz, durchzogen von Dreck. Es fängt an zu regnen. In einem Einkaufszentrum holen wir unsere Startnummern ab. Ich habe mich für den 25-Kilometer-Lauf angemeldet. Der wird am Samstag stattfinden, der 50 Kilometer lange Hauptlauf am Sonntag. Das zusätzliche 30-Kilometer-Freistil-Rennen ist bereits Freitagmorgen gestartet, sodass wir frohen Mutes sind, mehr Schnee am Start- und Zielort Bedřichov vorzufinden. Voriges Jahr musste der Isergebirgslauf abgesagt werden, aufgrund der schlechten Schneeverhältnisse. Bereits 2007 fiel das Rennen witterungsbedingt aus. Eine erneute Absage wäre schlecht für das Image des Wettkampfes.
Gulasch vor dem Rennen
In Bedřichov angekommen ist eine richtige Schneedecke auf den Hängen zu erkennen. Es regnet immer noch. Wir entladen schnell das Auto; der Boden ist spiegelglatt. Zum Abendbrot gibt es böhmische Knödel mit Gulasch. Unsere Herberge ist im Siebziger-Jahre-Stil eingerichtet, die Fenster sind undicht. Der große Aufenthaltsraum jedoch sorgt für Gemütlichkeit. Nach dem Essen wird bei ein paar Bierchen über die richtige Wachstechnik gefachsimpelt. Beim klassischen Skilanglauf muss nicht nur Gleitwachs, sondern auch Steigwachs auf den Ski aufgetragen werden, damit man bergauf fahren kann. Der Isergebirgslauf ist für seine Höhenunterschiede bekannt: Bedřichov liegt auf 742 Metern über dem Meeresspiegel, der höchste Berg auf 1.000. Das Steigwachs ist also für die Wettkämpfer entscheidend.
Samstagmorgen, das Thermometer zeigt acht Grad Celsius. Die 25-Kilometer-Wettkämpfer brechen bei leichtem Nieselregen zum Start auf. Ich habe wenig geschlafen; ein Konzert von trommelndem Regen und tosenden Windböen begleitete mich durch die Nacht. Es ist vergleichbar ruhig am Morgen. Der Ansager am Startfeld scherzt, wir sollen nicht ertrinken beim Lauf, es gäbe größere Wasserlachen auf der Strecke. Um neun Uhr ertönt das Startsignal; mehr als 800 Läufer bewegen sich hangaufwärts. Die ersten Kilometer ziehen sich.
Der lange Anstieg beginnt nach einer viertel Stunde und erstreckt sich über acht Kilometer. Auf einmal fängt es richtig an zu regnen. Gelbe Schmelzwasser-Pfützen und Rinnsale quer über die Loipe sind zusätzliche Hindernisse. Auf dem Berg angekommen sind meine Sachen komplett durchnässt; in den Schuhen schwappt es bei jeder Bewegung. Die zweite und letzte Verpflegungsstation kommt in Sicht. Es werden Getränke und Snacks an die Läufer ausgegeben. Ein Power-Gel, Tee und ein Stück Banane, weiter geht‘s. Dann kommt die belohnende Abfahrt. Die letzten neun Kilometer gehen schnell voran. Eine Tafel am Wegesrand zeigt „2 km“, die Euphorie steigt. Im Ziel angekommen, weiß ich endlich wieder, warum ich das alles mache. Nichts geht über das Ziellinien-Siegesgefühl.
Seit 1999 gehört der Isergebirgslauf zu den Worldloppet-Rennen. Der schwedische Worldloppet-Skiverband besteht aus mittlerweile 20 Skimarathons weltweit. Nur die allerbesten Wettkämpfe werden zugelassen. Beim Wettkampf müssen Elitesportler und Amateure starten. Außerdem wird nur ein Rennen pro Land zugelassen. Neben dem Isergebirgslauf sind in Europa vor allem der Wasalauf und der Engadin bekannt. In den Bayerischen Alpen findet jährlich der König-Ludwig-Lauf statt.
Start in Wellen
Sonntagmorgen messen wir minus ein Grad Celsius; der Wind hält sich beständig. Der größere Teil unserer Gruppe macht sich auf dem Weg zum Startfeld. Der Boden ist gefroren über Nacht. Keiner weiß, was ihn auf der Strecke erwartet. Die Aufregung am Vorabend des Wetterumschwungs war groß. Am Start sammelt sich jetzt eine riesige Menschenmenge, über 4.000 Skiläufer werden heute antreten. Es gibt acht „Start-Wellen“ plus der Elitegruppe.
Sie werden gestaffelt auf die Strecke geschickt, im Drei-Minuten-Takt. Die Schnellsten finden sich in der ersten Welle wieder, die Langsamsten sind hinten. Eingeordnet wird jeder Starter nach vorangegangen Wettkampfleistungen. Wer sein erstes Rennen läuft, wird in Welle acht untergebracht. Helikopter umkreisen das kleine Startfeld, der Hauptlauf wird im Tschechischen Fernsehen übertragen. 2011 gelang die erste Live-Übertragung, die auch auf schwedischen, dänischen, norwegischen und italienischen Kanälen zu sehen war.
Nach nur einer Stunde und 46 Minuten läuft der 27-jährige Sieger der Elitegruppe, Morten Eide Pedersen, durchs Ziel. Es ist der erste Triumph bei einem Lauf dieser Klasse für den Norweger. Die Strecke wurde witterungsbedingt um fünf Kilometer gekürzt. Die Spuren sind größtenteils vereist. Das macht das Rennen schnell, aber auch gefährlich. Der letzte der über 4.000 Starter wird gut fünf Stunden länger als Pedersen unterwegs sein. Auf den Gesichtern der eintreffenden Läufer im Ziel sind viele Emotionen zu lesen. Einige kommen mit nur einem Skistock an, andere stürzen kurz vor der Ziellinie nochmal zu Boden. Der Beste aus unserer Gruppe trifft nach zwei Stunden und 18 Minuten ein, der letzte nach 4 Stunden 50. Gegen Mittag fängt es an zu schneien. Als wir am späten Nachmittag den Heimweg antreten, fallen bereits dicke Flocken vom Himmel.
„So schlimm war`s nicht“
Die Messi-Show