„Bei uns hat das klassische Buch längst nicht ausgedient“
Interview

„Bei uns hat das klassische Buch längst nicht ausgedient“

Die Deutsche Schule Prag feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Ab der zehnten Klasse bereiten sich dort Kinder aus deutschen und tschechischen Familien gemeinsam auf das Abitur vor. Ein Gespräch mit Direktorin Monika Beuerle

23. 9. 2015 - Text: Stefan Welzel

Die Institution im Prager Stadtteil Jinonice hält auch 25 Jahre nach ihrer Gründung an dem Ziel fest, die ihr anvertrauten Heranwachsenden zu „leistungsfähigen und toleranten jungen Europäern“ auszubilden. Monika Beuerle leitet die internationale Schule seit 2010. Mit PZ-Redakteur Stefan Welzel sprach sie über Anforderungen an eine moderne Schule, internationale Kooperationen und gegenseitiges Vertrauen.

In ihrem Leitbild beschreibt sich die DSP als deutsch-tschechische Begegnungsschule. Was bedeutet das im Schulalltag?

Monika Beuerle: Deutsche und tschechische Kinder werden zunächst getrennt in zwei Zweigen unterrichtet. In der fünften Klasse bieten wir den tschechischen Kindern einen Deutsch-Vorkurs an, um die nötigen Sprachkenntnisse für den weiteren Schulweg zu erlangen. Zusammengeführt werden die beiden Zweige dann ab der zehnten Klasse, um gemeinsam Abitur zu machen. Der regelmäßige Kontakt findet aber schon vorher statt. Unter anderem im Unterricht, auf Klassenfahrten oder bei anderen Aktivitäten. Wir sind stolz darauf, dass so viele tschechische Kinder und solche aus inter­nationalen Familien bei uns Deutsch lernen und die Hochschulreife erlangen. Und das alles auf Muttersprachen-Niveau.

An welchen Bildungsstandards orientiert sich Ihre Schule?

Beuerle: Wir richten uns nach den Bildungsplänen des Landes Baden-Württemberg und bieten zusammen mit Partnerschulen wie zum Beispiel in Budapest, Bukarest, Warschau oder Bratislava eine einheitliche Abiturprüfung an, die an allen Schulen gleichzeitig absolviert wird. Die Vorgaben kommen aber wie in Deutschland auch von der Kultusministerkonferenz.

Deutschland ist Europas Wirtschaftsmotor und das bevölkerungsreichste Land der EU. Dennoch lernen immer noch verhältnismäßig wenige Menschen in Europa die deutsche Sprache. Wie schätzen Sie den Stellenwert des Deutschen gegenüber dem Englischen oder Französischen hier in Tschechien ein?

Beuerle: Sehr hoch. Das merken wir nicht zuletzt durch die steigenden Anmeldezahlen. Immer mehr junge Tschechen sind daran interessiert, in Deutschland zu studieren. Das hat natürlich auch viel mit der Wirtschaftskraft des großen Nachbarn zu tun. Unsere Ausbildung hier vor Ort ermöglicht ihnen, einen Studien- oder Arbeitsplatz in Deutschland zu finden.

Welche Kooperationen unterhalten Sie mit anderen internationalen Schulen in Prag?

Beuerle: Wir pflegen eine enge Zusammenarbeit mit dem Französischen Gymnasium in Smíchov und bereiten die Schüler auf das DELF vor, den offiziellen Nachweis über Sprachkenntnisse und damit Gegenstück zum deutschen DHS/PNDS. Es besteht auch ein reger Austausch zwischen den Klassen der beiden Gymnasien. Dieses Jahr gab es die erste Austauschfahrt nach Nizza. Und wir kooperieren mit der International School of Prague in Prag 6, die Schüler zu uns schickt, damit sie einen Tag auf Deutsch unterrichtet werden. Umgekehrt machen wir dasselbe, um unseren Schülern mehr Englisch-Praxis zu ermöglichen.

Welche Schwerpunkte setzt Ihre Schule?

Beuerle: Das ist naheliegend der sogenannte sprachsensible Unterricht, damit der interkulturelle Austausch durch gute Kenntnisse der deutschen Sprache breit gefördert und vorangetrieben wird. Aber wir wollen unsere Schüler natürlich auf allen Ebenen und in allen Fächern optimal auf das Abitur vorbereiten.

Die Deutsche Schule Prag ist eine Privatinstitution und kostenpflichtig, nicht so wie die öffentlichen tschechischen Schulen. Gibt es für tschechische Kinder, deren Eltern sich das Schulgeld nicht leisten können, überhaupt die Möglichkeit, Ihre Schule zu besuchen?

Beuerle: Es gibt in der Tat Bestrebungen, Stipendien zu vergeben. Insgesamt kann ich aber sagen, dass unsere Schule im Vergleich zu anderen internationalen Bildungseinrichtungen sehr günstig ist. Außerdem zahlen die tschechischen Schüler in ihrem Zweig weniger als die deutschen. Jeder hat die Möglichkeit, die Schule zu besuchen, wenn er die Aufnahmeprüfung besteht.

Im vergangenen Vierteljahrhundert hat sich der Bildungssektor stark verändert. Haben die digitale Revolution und die Fülle an Informationskanälen die Arbeit der Schulen einfacher oder komplizierter gemacht?

Beuerle: Die digitale Revolution beeinflusst natürlich auch den Schulsektor stark. Wir machen diese Entwicklung in sinnvollem Maße mit. In diesem Schuljahr haben wir zum Beispiel sämtliche Klassenräume mit Beamern ausgestattet. In der International School of Prague ist es für Kinder sogar Einstiegsbedingung, über ein eigenes Notebook zu verfügen. Moderne Schulen müssen in der Lage sein, zeitgemäße Technik anzubieten, weil Kinder heutzutage schon mit drei oder vier Jahren mit Smartphones oder Computern in Kontakt kommen. Das ist ein Fakt, ob wir das wollen oder nicht. Das bedeutet auch, dass wir auf zahlreiche computergestützte Lernprogramme zurückgreifen. Aber nicht nur. Bei uns haben das klassische Buch und die Kreidetafel längst nicht ausgedient. Die Grundschul-­Abteilung hat sich zum Beispiel alte Tafeln gewünscht, damit Kinder das Schreiben auch manuell und nicht nur auf der Tastatur erlernen. Man muss den gesunden Mittelweg aus traditionellen und modernen Hilfsmitteln finden.

Und was hat sich im pädagogischen Bereich verändert? Vor 25 Jahren, als die Deutsche Schule in Prag entstand, dominierten noch überwiegend klassische Lernvorstellungen. Schüler sollten auf die akademische Laufbahn und den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Was macht die DSP, um die Kinder auch auf das Leben vorzubereiten?

Beuerle: Trotz all der didaktischen und technischen Neuerungen steht bei uns der Schüler im Mittelpunkt. Konkret heißt das: Im Unterricht zieht sich die Lehrperson zurück und nimmt verstärkt eine Vermittlerrolle zwischen den Lernenden ein. Der Lehrer ist immer mehr Moderator, der den Kindern die Möglichkeit gibt, sich auszutauschen. Zudem betreuen wir die Kinder meist vom Kindergartenalter bis zum Abitur. Im Verbund mit der überschaubaren Größe der Schule entsteht somit ein Gemeinschaftsgefühl, das auch die einzelnen Schulübergänge leichter gestaltet. Wir sind keine Bildungsfabrik, sondern fördern den Schüler individuell und differenziert. Natürlich ist das Abitur anspruchsvoll. Doch wir versuchen den Stoff so zu vermitteln, dass die Schüler das Erlernte in allen möglichen Lebensbereichen anwenden können. Uns ist es wichtig, dass die Kinder für das Leben lernen und nicht einfach nur büffeln, bis sie nicht mehr können.

Ihre Schule betont besonders den interkulturellen Dialog. Wie stark machen sich kulturelle Unterschiede zwischen deutschen und tschechischen Schülern bemerkbar?

Beuerle: Im Alltag merkt man das nicht. Wir sind es gewohnt, bei allen Unterschieden aufeinander zuzugehen. Ganz im Sinne der typisch deutschen und tschechischen Eigenschaften: „perfekt geplant und genial improvisiert“. Selbst aktuelle politische Debatten werden auf der Basis gegenseitigen Vertrauens geführt, sei es auf Lehrer-, Eltern- oder Schülerebene. Auch bei unterschiedlichen Ansichten stehen immer die Gemeinsamkeiten im Vordergrund.

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