Bauernschlau zur Selbstversorgung

Bauernschlau zur Selbstversorgung

Die künftigen Koalitionspartner wollen, dass Tschechien unabhängig von Lebensmittelimporten wird

5. 12. 2013 - Text: Nancy WaldmannText: Nancy Waldmann; Foto: dullhunk

Wenn ANO, die Partei des größten Lebensmittelfabrikanten Tschechiens, eine weitgehend autarke Lebensmittelversorgung für das Land will, dann glaubt man zu wissen, woher der Wind weht. Zufällig käme das auch der Firma des Parteivorsitzenden Andrej Babiš, Agrofert, zugute. Das, was die Tschechen essen, soll aus dem eigenen Anbau kommen, so dass man möglichst unabhängig von Importen aus dem Ausland werde. Babiš sprach bereits vor den Wahlen von einer Investition in Arbeitsplätze und Versorgungssicherheit vor dem Hintergrund einer langfristig drohenden globalen Nahrungsmittelknappheit. Das Thema tauchte als eines der ersten in den Koalitionsverhandlungen zwischen Sozialdemokraten, KDU-ČSL und ANO auf und die Parteien demonstrierten Einigkeit. Denn alle drei hatten den Punkt „Selbstversorgung mit Lebensmitteln“ bereits vor den Wahlen auf der Agenda. Schärfere Kontrollen eingeführter Lebensmittel, die Förderung heimischer Bauern, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, so lauteten die Forderungen.

Tatsächlich hat sich die tschechische Landwirtschaft in den letzten zehn Jahren seit dem EU-Beitritt verändert. Dass die Bauern grundsätzlich den Bedarf im Land nicht decken, lässt sich nicht behaupten. Produziert und exportiert werden vor allem Getreide und Rüben, wie Daten des Landwirtschaftsministeriums zeigen. Milch wird zu einem Viertel mehr produziert als sie hierzulande verbraucht wird. Zurückgegangen sind die Fleischproduktion sowie der Anbau von Obst und Gemüse. Beides wird teilweise importiert. Der ANO-Fraktionsvorsitzende Jaroslav Faltýnek verdeutlicht dies am liebsten an der Anzahl der Schweine. 2003 wurden 3,5 Millionen Schweine in Tschechien gehalten, überwiegend in großen Mastviehanlagen, 2012 waren es rund 1,7 Millionen Tiere. ANO und ČSSD beschreiben dies in einem Strategiepapier als eine dramatische Entwicklung, die auf dem Land nicht nur zum Verlust von über 40.000 Arbeitsplätzen, sondern auch von kreativen Köpfen und Know-how geführt habe. Nun seien die Lebensmittel teurer und hätten an Qualität verloren. Die Schlussfolgerung: Man muss die heimische Landwirtschaft retten und den Bauern auf die Beine helfen. Besonders die Schweinefleischproduktion gilt es wieder anzukurbeln. Laut Faltýnek wolle man einfach den Zustand von vor zehn Jahren wiederherstellen.

Boden mit Potential
Wie das gehen und wer davon profitieren soll, ist noch unklar. Viele Ställe hierzulande gelten als rückständig. Mit den Vorstellungen der Christdemokraten, die auf ihrer Webseite schreiben, dass sie Familien- und Bio­betriebe sowie den Direktvertrieb fördern wollen, könnten sich ANOs Pläne beißen. Fest steht, dass Agrofert-Mitarbeiter Faltýnek, der Lobbying für Großkonzerne in Brüssel betreibt, eine zentrale Rolle in den Plänen für den Agrarsektor spielen wird. In einem Vortrag, den er 2012 vor Studenten hielt, erklärt er, welche Schritte zum erklärten Ziel Selbstversorgung führen. Die knapp drei Milliarden Euro EU-Subventionen für tschechische Bauern sollen nach einem neuen Prinzip verteilt werden: Nicht wie bisher nach bearbeiteten Hektar Land, sondern nach aufgewendeter Arbeitskraft, wie es auch in anderen EU-Staaten üblich ist. Das kommt unter anderem auch großen Mastanlagen entgegen. Agrofert hält nach eigenen Angaben 13.000 Sauen, das sind rund ein Sechstel des Gesamtbestandes, für die die Firma laut Babiš draufzahle.

Experten bezweifeln, dass sich der Versuch lohnt, die Landwirtschaft, besonders die Fleischproduktion, eines so kleinen Landes konkurrenzfähig gegenüber Großmächten wie Polen oder Deutschland zu machen. Statt die Produktion zu intensivieren, müsse man eher auf Bodenqualität achten. „Die Investition in die Zukunft und Eigenständigkeit misst sich nicht an der Menge des angebauten Gemüses, sondern am Potential des Bodens“, sagt Jozef Stehlík vom Tschechischen Verband privater Landwirte gegenüber dem Magazin „Respekt“. In zentralen Anbauregionen sei diese bereits durch Pestizide verdorben. „Gesunde Erde ist am billigsten – und am konkurrenzfähigsten“, so Stehlík.

Faltýnek gibt sich in dem Vortrag als ein entschiedener Gegner grüner Landwirtschaft und der damit verbundenen von der EU forcierten Förderung von Brachflächen. Ebenso wenig gefällt ihm die geplante jährliche Subventionsobergrenze von 300.000 Euro pro Unternehmen. Aus Sicht eines Konzerns wie Agrofert verständlich. Aber aus Sicht eines Regierungsvertreters?

Diese Politik widerspreche dem „gesunden Menschenverstand“, so Faltýnek, auf Tschechisch heißt es eigentlich „Bauernverstand“. Vielleicht könnte man das Wort mit Bauernschläue übersetzen.