Aus dem Container ins Schloss

Aus dem Container ins Schloss

Akrobatik und ein Mittelklassewagen: Enikő Eszenyi inszeniert Rossinis „Aschenbrödel“ im Ständetheater

27. 1. 2016 - Text: Jan NechanickýText: Jan Nechanický; Foto: Patrik Borecký

Nach über 80 Jahren ist in der vergangenen Woche ein Stück auf die Prager Bühne zurückgekehrt, in dem Herzensgüte über eitles Streben nach Ruhm und Reichtum siegt. Gioachino Rossinis Oper „La Cenerentola“ („Aschenbrödel“) wurde von der ungarischen Regisseurin Enikő Eszenyi neu inszeniert und feierte am Freitag im Ständetheater zweite Premiere.

Die Geschichte von Aschenputtel schrieb der Neapolitaner Giambattista Basile bereits im 16. Jahrhundert nieder. Als Kunstmärchen von Charles Perrault findet sie sich auch in Frankreich wieder; in Deutschland ist wohl die Variante der Gebrüder Grimm aus dem 19. Jahrhundert die bekannteste – inzwischen vielleicht nach Disneys „Cinderella“ und dem deutsch-tschechischen Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.

Heute ziehen zwar kaum noch Prinzen auf der Suche nach einer geeigneten Braut durch ihr Reich. Mit der Neuinszenierung, die zugleich Eszenyis Debüt für die Opernsparte des Nationaltheaters ist, versucht die Regisseurin jedoch, eine Brücke in die Gegenwart zu bauen. Dazu macht sie blinden Promi-Kult und die vordergründig visuelle Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram zum Thema. Aschenbrödels Stiefschwestern Tisbe und Clorinda himmeln unbeirrt einen in Robe gehüllten falschen Prinzen an, obwohl sie doch ein Porträt des wahren Don Ramiro in ihrem Wohncontainer hängen haben. Der falsche Prinz läuft stets mit Kamera in der Hand über die Bühne und lichtet die Damen wie auch sich selbst in allen möglichen Posen ab, damit er später in seinem Palast in Ruhe entscheiden kann, mit welcher er wohl das beste Bild abgebe.

Der „Amore“-Aufdruck auf der ledernen Tarnjacke des echten Prinzen entfaltet allerdings schon beim ersten Auftritt seine Wirkung und Aschenbrödel verliebt sich in ihn. Er findet sie ebenso unwiderstehlich und beide kommen sich schon bei der ersten Begegnung auf einer Holzleiter sehr nahe.

Rossinis "Aschenbrödel" im Ständetheater

Akrobatische Szenen gibt es in dieser Oper einige. Jiří Sulženko darf seinen Belcanto als Vater Don Magnifico beim Hockey-Spiel auf Inlinern präsentieren, Aschenbrödel fliegt im Moment ihrer Verwandlung im Mondschein durch die Luft und auch ihre Schwindelfreiheit wird mehrfach auf die Probe gestellt. Zuletzt wird sie in einem weißen Mittelklassewagen vom Bühnenhimmel direkt ins Schloss herabgesenkt und damit ihr Aufstieg aus der Welt der Container und Wäscheberge besiegelt.

Solche Extravaganzen sind schwer nachzuvollziehen und stören das sonst sehr gelungene Bühnenbild. Das Licht stimmt; mit einfachen Mitteln werden Atmosphären geschaffen. Gelungen sind auch die Pantomime-Einlagen, die keinen Zweifel daran lassen, dass es sich um eine komische Oper handelt. Leider tauchen sie erst im zweiten Akt auf. Die Kostüme sind dagegen nur mäßig komisch, die Witze oft flach oder inkonsequent. Vieles wird in dieser Inszenierung nur angedeutet, wenig ist extrem genug, um zu überzeugen.

Ähnliches gilt für die Musik. Das Orchester des Nationaltheaters unter Jan Kučera spielt solide, jedoch wird der Zuhörer selten von Extremen gepackt. So erfüllt zum Beispiel die Ouver­türe ihre Funktion als Einleitung, zur feierlichen Eröffnung des Abends wird sie aber nicht. Erst im turbulenteren zweiten Akt sind die Instrumentalisten eingespielt und ziehen endlich auch die Zuhörer in den hinteren Reihen in den Bann ihrer Musik. Bis dahin haben Solisten, Chor und Orchester auch rhythmisch zueinandergefunden.

Herausragend gut ist das Ende. Neben den ansprechenden Darbietungen der hauseigenen Solisten – Martin Šrejma als Prinz Don Ramiro oder Jiří Brückler als Diener Dandini – sticht Kateřina Hebelková als Gast des Nationaltheaters in der Rolle des Aschenbrödels hervor. Sie singt ein schlichtes Lied ebenso betörend wie das große virtuose Schluss-Rondo, das den Stimmumfang einer Mezzosopranpartie in beide Richtungen deutlich überschreitet. Als leuchtender Stern des Abends erntet sie verdient lang anhaltenden und lauten Applaus.

La Cenerentola. Stavovské divadlo, nächste Aufführungen: 12. und 24. Februar, 9. März, 12. Mai, jeweils 19 Uhr, Eintritt: 150–1.100 CZK