Auf zum Duell

Auf zum Duell

Am Samstag spielen Sparta und Slavia Prag zum 281. Mal gegeneinander. Ein Rückblick auf 118 Jahre „Großes Derby“

9. 4. 2014 - Text: Stefan WelzelText: sw/cl; Foto: M. Nejezchleba

Saison für Saison kommt der Prager Fußball-Liebhaber in den Genuss zahlreicher Derbys. Sieben Hauptstadt-Klubs spielen in den höchsten beiden Ligen Tschechiens. Während ein Zweitliga-Spiel zwischen Loko Vltavín und Viktoria Žižkov nur einen Bruchteil der Anwohner der Stadtteile Holešovice beziehungsweise Žižkov in seinen Bann zieht, elektrisiert das sogenannte „Große Derby“ die Massen – und zwar landesweit. Am kommenden Samstag ist es wieder so weit, Sparta empfängt Slavia Prag in der 24. Runde der Gambrinus-Liga. Es wird das 281.

Aufeinandertreffen der Traditionsklubs sein, die auf eine geschichtsträchtige und langjährige Rivalität zurückblicken.
1925 wurde die Erste Tschechoslowakische Fußball-Liga aus der Taufe gehoben und ein geregelter Spielbetrieb unter professionellen Bedingungen organisiert. Zu dieser Zeit hatten sich in Prag schon dutzende Vereine gegründet, die dem neuen Volkssport frönten. Eishockey war zwar ähnlich beliebt, aber erst Anfang der dreißiger Jahre entstanden die ersten Kunsteisstadien, eine halbprofessionelle Liga startete 1931.

Weit vor dieser Zeit ging ein Fußballspiel über die Bühne, das als „Mutter aller tschechischen Derbys“ bezeichnet werden kann. Es war der 29. März 1896, an dem die Mannschaften von ACOS Prag (heute Slavia) und AC Královské Vinohrady (heute Sparta) zum ersten Mal aufeinandertrafen. Gleichzeitig gilt dieses Match, das 0:0 endete, als das erste wettkampfmäßige Fußballspiel in Böhmen. Ein Mythos war geboren. Bis heute ist das „Prager Derby“ eines der meistgespielten auf der Welt.

Arbeiter vs. Intellektuelle?
Der Begriff Derby geht bis ins Mittelalter zurück, als in England zwei benachbarte Orte versuchten, einen Mühlstein in die gegnerische Endzone zu bringen. Genaue Regeln gab es nicht, sodass bis zu 1.000 Menschen für eine Mannschaft aufliefen. Heute bezeichnet man Partien zwischen zwei rivalisierenden Teams aus derselben Region oder Stadt als Derby. Das erste nachgewiesene Stadtduell trugen Nottingham Forest und Notts County im Mutterland des Sports im Jahr 1866 aus. Zu den berühmtesten und vor allem berüchtigsten Derbys der Welt zählen das „Old Firm“ der beiden Glasgower Vereine Celtic und Rangers, das mit knapp 400 Partien auch das meistgespielte Duell ist. Oder der „Superclásico“ der Stadtrivalen Boca Juniors und River Plate aus Buenos Aires, welcher immer wieder mit erschreckenden Bildern der Gewalteskalation für Aufsehen sorgt. Ein stetiger Begleiter solcher Begegnungen sind die politischen und gesellschaftlichen Reibungspunkte, die in der sozialen Zuordnung des Vereins und seiner Anhängerschaft wurzeln.

Auch in Prag verfestigten sich schnell die „Rollenbilder“, die Slavia und Sparta verkörpern. Slavia, von Studenten gegründet, gilt als Verein der Intellektuellen und des Bürgertums. Währenddessen begleitet den AC Sparta bis heute der Ruf, ein Arbeiter-Klub zu sein.

Sportlich lagen die Rivalen lange Zeit gleichauf, zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Vorteilen für Slavia. Die dreißiger Jahre waren die goldene Zeit der „Geflickten“, wie Slavia wegen seiner farbig unterteilten Trikots auch genannt wird. Sechs von insgesamt 17 Titeln holten sie zwischen 1930 und 1937. Aber auch Sparta war vor und kurz nach dem Krieg sehr erfolgreich. In den sechziger und siebziger Jahren folgte die Dominanz des vom Regime unterstützten Armeevereins Dukla Prag. Der leidenschaftlichen Rivalität der beiden großen Traditionsklubs tat dies jedoch keinerlei Abbruch. Im Gegenteil: Konnte man schon keine Meisterschaften mehr gewinnen, so maß man hüben wie drüben dem großen Derby umso höhere Bedeutung zu. Erst in den Achtzigern fand Sparta wieder zu alter Stärke zurück. Slavia dagegen schlüpfte im Windschatten allmählich in die ungeliebte Rolle des „ewigen Zweiten“. Diese Hierarchie sollte sich nach der Samtenen Revolution und der Abspaltung der Slowakei verfestigen.

Beeindruckende Atmosphäre
Auch in den direkten Duellen hatte der Verein aus dem Stadtteil Vršovice nur wenig zu bestellen und verlor nun in schöner Regelmäßigkeit. Intensität und Bedeutung hatten aber nie an Strahlkraft verloren. Horst Siegl, der zwischen 1987 und 2000 mehrmals für Sparta spielte, beschrieb es so: „Während der gesamten Saison wird der Fokus auf das Derby gelegt. Schon Wochen zuvor wird in den Medien über nichts anderes berichtet. Die Spieler bereiten sich gezielt auf das Spiel vor und die Atmosphäre ist wirklich beeindruckend.“

Aufgefrischt wurde die Rivalität dann ab Mitte der neunziger Jahre, als Slavia kurzzeitig an der Vormachtstellung Spartas rüttelte. Doch sage und schreibe neun Vize-Meisterschaften hinter Sparta ließen diesen Versuch scheitern. Lediglich in den Jahren 1996, 2008 und 2009 ging der Titel an die Rot-Weißen. Selbst in jenen Spielzeiten konnte die Derbybilanz aus Slavia-Sicht nicht verbessert werden.

Seit dem letzten Sparta-Titel 2010 wurde die Dominanz des Letna-Teams wieder deutlicher. Bezeichnend dafür ist, dass Slavia in den letzten fünf Jahren lediglich einen Sieg über den Lokalrivalen feiern konnte. Pavel Horváth, heutiger Kapitän von Viktoria Pilsen, der für beide Klubs die Stiefel schnürte, macht die Gewinner-Mentalität des Rekordmeisters dafür verantwortlich: „Man kann in den Wochen vor dem Match auf beiden Seiten spüren, dass die Anspannung größer wird. Der Siegeswille bei Sparta ist dabei jedoch viel größer als bei Slavia.“

Treffen Slavia und Sparta aufeinander, hält ganz Fußball-Tschechien den Atem an. Ausverkaufte Stadien sind vorprogrammiert. Die beiden führenden Fangruppen der Vereine, „Tribuna Sever“ (zu Deutsch in etwa „Nordkurve“) auf Slavia-Seite und „Ultras Sparta“, bemühen sich um einen ansprechenden Rahmen und zeigen auf den Rängen meist aufwändige Choreographien. Dem neutralen Gast wird ein buntes Spektakel auf und neben dem Rasen geboten. Hierzulande eher eine Seltenheit. Daher hat sogar ein regelrechter „Derby-Tourismus“ eingesetzt. Aus dem Ausland, meist aus Deutschland, kommen immer mehr Fußballfans, um sich das Prager Derby anzusehen.

Den ganz großen Nervenkitzel wird man am Samstagnachmittag aber vermissen, zu deutlich sind die Kräfteverhältnisse aktuell. Slavia rutschte nach dem Hoch vor fünf Jahren in eine sportliche und finanzielle Krise. In den vergangenen Saisons spielte man sogar gegen den Abstieg. Und auch in diesem Frühling müssen die vom neuen holländischen Coach Alex Pastoor angeleiteten „Geflickten“ wieder um den Klassenerhalt bangen. Sie kämpfen mit Klubs wie dem 1. FC Příbram oder dem 1. SC Znojmo gegen die Relegation. Das entspricht so gar nicht dem Selbstverständnis des Klubs, in dessen Annalen mit Josef „Pepi“ Bican mit 35 Derby-Toren eine Legende des Sports die Torjägerliste anführt.

Sparta hingegen steht sieben Spieltage vor Schluss mit acht Punkten Vorsprung vor Viktoria Pilsen auf Platz eins. Es winkt Titel Nummer zwölf. Davon kann Slavia nur träumen. Einzig ein Derby-Sieg, dazu noch auf „feindlichem“ Terrain, könnte den Schmerz der Unterlegenheit zumindest ein kleines bisschen lindern.