Interview

„Auf dem Balken ist jeder mit sich allein“

„Auf dem Balken ist jeder mit sich allein“

Skisprung-Chefcoach Richard Schallert über Trainingsmethoden und Ambitionen mit dem tschechischen Nationalteam

4. 2. 2015 - Text: Stefan Welzel

Seit vergangenem Sommer ist Richard Schallert wieder Nationaltrainer der tschechischen Skispringer. Bereits von 2006 bis 2009 war der 50-jährige Österreicher für die Topathleten verantwortlich, bevor er den deutschen C-Kader betreute und danach Cheftrainer der russischen Nationalmannschaft war. Beim tschechischen Verband unterschrieb er einen Vertrag über vier Jahre. Das große Ziel: Bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang sollen die Tschechen eine Medaille gewinnen. PZ-Redakteur Stefan Welzel sprach mit dem Vorarlberger über Trainingsmethoden, Spitzenspringer Roman Koudelka und die Bedeutung mentaler Stärke.

Nach fünf Jahren sind Sie Mitte 2014 zum tschechischen Skisprung-Nationalteam zurückgekehrt. Was hat sich seit damals verändert?

Richard Schallert: Was die Mannschaft und das Umfeld anbelangt, fast nichts. Das hatte den positiven Effekt, dass ich schon bei Antritt wusste, wer für was zuständig ist. Die Fronten waren klar abgesteckt und jeder wusste, was er zu tun hat. Aber die Menschen selbst haben sich natürlich verändert.

In welcher Sprache kommunizieren Sie mit ihren Springern? Sprechen Sie auch Tschechisch?

Schallert: Nur ein paar Brocken. Aber die meisten Jungs beherrschen doch recht gut Deutsch. Sonst sprechen wir halt Englisch. Ich habe ihnen immer gesagt, dass es sinnvoll ist, wenn sie eine der beiden Sprachen lernen. Dann finden sie sich auch besser in der internationalen Skispringer-Familie zurecht. Das war lange ein Problem der Tschechen: Wegen der Sprachbarriere standen sie oft etwas abseits. Und das führte dazu, dass sie zu den anderen Springern, vor allem den Top-Leuten, umso mehr aufschauten.

Zu diesen Top-Leuten gehört seit kurzem auch Roman Koudelka. In diesem Winter hat er schon vier Weltcupspringen gewonnen, davor noch kein einziges. Derzeit liegt er auf Platz drei in der Gesamtwertung. Wie erklären Sie sich diese Leistungsexplosion?

Schallert: Ich kenne sein Potential und seine Professionalität nun schon sehr lange. Bevor wir uns auf die Saison vorbereitet haben, sagten wir uns, dass uns Podestplätze nicht interessieren. Denn mir war klar: Sein Ziel muss es sein, ganz oben zu stehen. Das war der Anspruch und darauf haben wir hingearbeitet. Roman hat diese Herausforderung mit viel positiver Energie angenommen. Man hat richtig gespürt, wie er das wollte. Ich hatte in meiner Laufbahn schon mit mehreren Spitzenathleten zu tun, aber eine solche Einstellung, wie sie Roman an den Tag legt, habe ich nur ganz selten erlebt. Deshalb erstaunt es mich auch nicht, dass er es nun geschafft hat.

Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die mentale Stärke. Kann man so etwas überhaupt trainieren?

Schallert: Die Psyche ist schon etwas ganz Eigenes. Da oben auf dem Balken ist jeder mit sich allein. Das ist schwer zu trainieren. Vieles hängt davon ab, welche Erfahrungen ein Athlet in jungen Jahren gemacht hat. Entscheidender ist aber die gute Basisarbeit, die man im Training legt und auf der ein Springer dann sein Selbstbewusstsein aufbaut. Daraus schöpft ein Athlet in dieser Stress-Situation kurz vor dem Sprung seine mentale Stärke. Wenn ein Athlet kurz vor dem Sprung in die Tiefe schaut, muss er einfach wissen, dass der Wettkampf keine Glückssache ist. Er muss in der Lage sein, das im Training hart Erarbeitete auf den Punkt abzurufen.

Wie sieht eigentlich die Arbeit eines Skisprung-Cheftrainers abseits des Wettkampfes aus?

Schallert: Neben dem klassischen Sprungtraining schauen wir uns unter anderem Videos an, bereiten Trainingspläne vor, legen eine Strategie für jeden einzelnen Athleten zurecht und führen natürlich viele Einzelgespräche. In unserem Schnellkraft-Sport ist auch die Regeneration äußerst wichtig. Und im Spitzensport gilt ganz generell, nicht so viel wie möglich, sondern so gut wie möglich zu trainieren. Und dabei fällt den Erholungsphasen eine zentrale Rolle zu. Für die Qualitätssicherung all dieser Abläufe bin ich verantwortlich. Aber ich habe natürlich einige Assistenten an meiner Seite, sodass ich nicht ständig bei allem dabei sein muss.

Und wie sieht der normale Trainingstag eines Springers aus?

Schallert: Das hängt davon ab, ob man gerade in einem Trainingscamp bei einer Sprunganlage weilt oder nicht. Ist das der Fall, dann stehen während einer Trainingswoche von Montag bis Freitag rund sechs bis sieben Sprungeinheiten auf dem Programm. Pro Einheit werden – je nachdem, in welcher Saisonphase man sich gerade befindet – zwischen drei bis vier und sechs bis sieben Sprünge absolviert. Parallel dazu läuft natürlich das körperliche Training weiter und es wird  fortlaufend an der Technik gefeilt. Je näher der Wettkampf rückt, desto weniger springt man im Training. Nebenbei kümmern sich die Athleten täglich in Eigenregie um ihre Körperstabilität, das heißt, sie trainieren Koordination und Beweglichkeit.

Während es bei Koudelka blendend läuft, springen die anderen im Team hinterher. Nur hin und wieder schafft es einer von ihnen in den zweiten Durchgang. Wie sehen Ihre mittelfristigen Ziele mit dem gesamten Team aus?

Schallert: Unser großes Ziel ist Olympia 2018. Bis dahin wollen wir eine Mannschaft stellen, die in der Lage ist, im Team-Springen um Medaillen zu kämpfen. Das ist natürlich ein sehr hohes Ziel, weil wir uns dabei gegen sehr starke Nationen behaupten müssen. Mit Blick auf den Kader, der seit vielen Jahren nahezu gleich geblieben ist, betreiben wir mittlerweile eine intensive Nachwuchsförderung. Wir wollen und müssen uns mehr um die Junioren kümmern. Im Moment sind wir dabei, zwei, drei ganz talentierte Leute aufzubauen. Die lernen gerade, wie man mit System trainiert. Mittelfristig ist es dann das Ziel, den einen oder anderen an das A-Team heranzuführen. Das soll dann auch für die arrivierten Springer ein Ansporn sein.

Inwiefern?

Schallert: Im Moment ist es einfach so, dass sie, egal wie gut oder schlecht sie springen, sowieso im Team stehen. Und das nur deshalb, weil von unten niemand nachrückt. Wir hoffen, dass bald mehr Druck von den Jungen kommen wird.

Welche Rolle fällt diesbezüglich einem Spitzenspringer wie Koudelka zu? Reißt er die Teamkollegen mit oder hemmt er sie eher?

Schallert: So jemand kann enorm helfen. Beim Weltcupspringen in Sapporo hatten wir gerade drei junge Athleten dabei, die sonst nur im Continentalcup springen. Von Koudelka konnten sie sich dort sehr viel abschauen. Und was auch wichtig ist: Roman ist ein sehr kommunikativer Typ, der sich nicht abkapselt, sondern den Jungen etwas mitgeben will.