Auch Gleiches ist anders

Auch Gleiches ist anders

Milena Dopitová thematisiert die tägliche Balance des Lebens

10. 9. 2014 - Text: Eva FamullaText und Foto: Eva Famulla

 

Der Besucher steht in einem etwa 15 mal 20 Meter großen Raum – die Ausmaße einer kleinen Turnhalle. Der Fußbodenbelag besteht aus Kunststoff­faser, es riecht nach Schweiß. In der Mitte steht eine Wand, in Lebensgröße werden darauf sechs turnende Jungen projiziert, alle in Weiß gekleidet. Sie lachen hin und wieder, man sieht ihnen Verlegenheit an. Sie werfen sich einen unsichtbaren Ball zu; Musik läuft im Takt der Bewegungen.

Die Installationen von Milena Dopitová sind berührend echt. Die in Prag lebende und arbeitende Künstlerin lässt den Rezipienten ihre Kunst hören, sehen und riechen. In der Galerie der Hauptstadt Prag im zweiten Stock der Stadtbibliothek sind zur Zeit rund zwei Dutzend Installationen der auch international viel beachteten Mährerin zu sehen. Die eingangs beschriebene Szenerie trägt den Namen „Já, pojď, mám, já, jdu!“ (frei übersetzt: „Ich, komm schon, hab ihn, ich laufe!“). Sie strahlt die für Dopitová so typische, lebensnahe Dynamik aus.

Ein paar Schritte weiter taucht der Besucher in eine völlig andere Welt ein. Fotografien von Herbstlaub hängen großformatig über Eck an der Wand. Das Licht lässt die satten Farben erstrahlen, Ruhe geht auf den Betrachter über. „Zlaté časy“ („Goldene Zeiten“) ist auf einem kleinen Schild neben der Tür zu lesen. Die 50-jährige Dopitová versteht sich auf Poesie, die Titel ihrer Werke sind sorgfältig gewählt. Die Schau trägt den Namen „Miluji a přijímám“ („Ich liebe und akzeptiere“). Dopitová reflektiert in ihrer Arbeit die tägliche Balance des Lebens: die Einheit zwischen Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit, Bewegung und Tod, Vergehen und Erblühen. In ihrem Werk „I stějné je jiné“ („Auch Gleiches ist anders“) zeigt sie zum Beispiel Videoaufnahmen eines Baumes zu verschiedenen Jahreszeiten.

Poetisch und bewegend
Dopitová begann ihre Karriere Anfang der neunziger Jahre. Sie war Teil der tschechischen Künstlergruppe „Pondělí“ („Montag“). Die Gemeinschaft junger Künstler feierte nach dem Fall des Eisernen Vorhanges die radikale Befreiung von der Malerei und Bildhauerei des biederen sozialistischen Realismus. Dopitová erregte vor allem mit ihren unkonventionellen Motiven Aufmerksamkeit.

Obwohl die Künstlerin den teilweise radikalen Feminismus der neunziger Jahre ablehnte, beschäftigte sie sich in ihren Arbeiten unter anderem mit der Rolle der Frau in einer männlich dominierten Gesellschaft. Der Stuhl des Gynäkologen ist eines ihrer häufigsten Motive. Auch in der Hauptstadt-Galerie ist er in der Installation „Jana Markéta II.“ wiederzufinden. Neben dem Thema der Frauenbewegung widmet sich Dopitová in der aktuellen Ausstellung auch dem Bild des Mannes, welches in „Já, pojď, mám, já, jdu!“ abgehandelt wird. Es geht ihr dabei um den männlichen Trieb, sich gemeinschaftlich in Kampf und Sport zu messen.

Dopitovás Werke regen zum Nachdenken an. Sie sind poetisch und bewegend, aber nicht bedrückend. Es ist der besondere Blickwinkel auf Situationen des Alltags, der den Betrachter in den Bann zu ziehen vermag.

Milena Dopitová: Miluji a přijímám. Galerie der Hauptstadt Prag – Stadt­bibliothek (Mariánské náměstí 1, Prag 1), geöffnet: täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 120 CZK (ermäßigt 60 CZK), bis 30. November, www.ghmp.cz

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