Altersglück im Ausland

Altersglück im Ausland

Für immer mehr Deutsche ist die Pflege ihrer Angehörigen in Tschechien eine preiswerte Alternative. Vor allem private Anbieter reagieren und bauen ihr Angebot massiv aus. Ein Besuch in einem Altersheim in Pilsen

6. 8. 2014 - Text: Steffen Neumann, n-ost

„Hinter dem Haus beginnen die Berge, da geht es gleich hinauf“, beschreibt Olga Merkel ihre Umgebung. Doch am Stadtrand von Pilsen ist es flach. Hinter dem Haus sind Gärten und vorn stehen große Hallen eines Logistikzentrums. Die 88-Jährige kann den regen Autoverkehr gut von ihrem Zimmer im ersten Stock des Pflegeheims aus beobachten. „Sie denkt immer noch, sie wäre zu Hause“, klärt Rudolf Merkel die kleine Verwirrung auf. Seine Heimat und die seiner Mutter ist das von Hügeln umgebene Eckental in Mittelfranken. Dort steht das Haus seiner Mutter, in dem er immer noch lebt. Für eine Pflege zu Hause ist es nicht ausgelegt. Olga Merkel sitzt nach einem Oberschenkelbruch im Rollstuhl und leidet unter Demenz.

Wäre das Pflegeheim vor Ort nicht geschlossen worden, würde Rudolf Merkel womöglich jetzt nicht in Pilsen seine Mutter besuchen. „Mir wurde zwar ein Ausweichplatz vermittelt, aber die neue Einrichtung war frustrierend. Das erste Thema war, wie viel das kostet. Was für ein Mensch da kommt, wurde gar nicht gefragt“, ärgert sich Merkel noch heute. Trotzdem spielte auch für ihn das Finanzielle eine wesentliche Rolle. Ganze 1.000 Euro musste er in Deutschland zu den Heimkosten zuschießen. Die 440 Euro Rente seiner Mutter deckten die Kosten nicht annähernd. Auch nach dem Zuschuss der Pflegeversicherung klaffte immer noch ein großes Loch in der Haushaltskasse. Also suchte Merkel eine Alternative und fand sie im benachbarten Tschechien bei Roman Barfusz.

Der sportlich gekleidete Eigentümer des Pflegeheims in Pilsen wird von den Merkels freudig begrüßt. „Glück – selber Schuld!“ lautet seine Devise, mit der er mit Partnern bereits fünf Heime mit Plätzen für Pflegebedürftige aus Deutschland betreibt. In Pilsen leben unter 102 Bewohnern bislang drei Deutsche. Weitere zwei haben sich angekündigt. Der Rest sind Tschechen. Barfusz ist zwar gebürtiger Tscheche, verbrachte den Großteil seines Lebens aber in Deutschland. Vor etwa zwei Jahren begann er, Pflegeheimplätze in Tschechien zu vermitteln. „Unsere Preise sind individuell, ich frage, was kannst du zahlen und dann entscheiden wir“, bleibt er unbestimmt bei der Frage nach den Kosten. Er könne jedem den für ihn passenden Pflegeheimplatz vermitteln. Wenn nicht in Pilsen, dann in einer der anderen Einrichtungen.

Pflege muss nicht teuer sein
Rudolf Merkel dagegen macht aus seiner Ersparnis kein Geheimnis. „Ich zahle für meine Mutter 1.450 Euro im Monat“, sagt er. Da sei alles drin, von ärztlicher Betreuung zweimal die Woche bis zur Fußpflege. Zwar übernimmt die Pflegeversicherung keine Kosten mehr. Aber zusammen mit Pflegegeld in Höhe von 525 Euro und der Rente seiner Mutter rechnet es sich für ihn.

Für das Geld schläft Olga Merkel in einem von drei Betten in einem kleinen Zimmer. Mehr passen nicht hinein. Die Wände sind orange, rosa, gelb, hellgrün gestrichen. Über jedem Bett ist ein Brett angebracht, auf dem sich Medikamente und Pflegemittel befinden, neben den Betten stehen Nachtschränkchen. Persönliche Dinge sucht man vergebens. Das soll sich noch ändern, sagt Rudolf Merkel am Tisch im Nachbarzimmer, das zwei Dreibettzimmer verbindet.

Es ist Freitagvormittag. Die Senioren sitzen bei einer Tasse Tee, am Fenster steht ein Strauß Blumen. Olga Merkel trägt eine rote Trainingsjacke mit weißen Streifen über der Bluse und lächelt freundlich. Von den Zimmergenossen wirkt sie geistig noch am klarsten. Sie unterhält sich gern, auch wenn das, was sie sagt, häufig keinen Sinn ergibt. Dass die Türen ständig offen stehen, bereitet ihr Sorge. „Hier kann doch jeder rein“, fürchtet sie. Doch jetzt ist sie glücklich, da ihr Sohn zu Besuch ist. Der beruhigt sie, sie lebe doch im ersten Stock und müsse keine Angst haben. Das Haus sei gut bewacht.

Rudolf Merkel, selbst schon Rentner, versucht seine Mutter regelmäßig einmal die Woche zu besuchen. Seit er sie letzten Herbst in Pilsen untergebracht hat, gelingt ihm das, auch wenn der Weg lang geworden ist. 200 Kilometer eine Strecke, früher waren es nur 15. Da war er jeden Tag bei der Mutter. Das Pflegeheim in Pilsen ist ein Kompromiss, das weiß auch Merkel. Aber ein guter, davon ist er überzeugt.

„Eine Pflege im Ausland sollte wohl bedacht werden“, empfiehlt Michael Richter, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Sachsen (siehe Interview unten). Wenn jemand diesen Schritt wagt, liege das seiner Ansicht nach meistens am Geld. Dass es in Tschechien deutlich günstiger ist als in Deutschland, liegt vor allem an den Personalkosten. Der Verdienst einer Pflegehilfe abseits der Hauptstadt Prag übersteigt selten 15.000 Kronen brutto, umgerechnet also keine 550 Euro. Im Heim von Roman Barfusz betreut eine Pflegehilfe in einer Zwölfstundenschicht zwölf Personen.

Trotzdem muss Pflege in Deutschland nicht automatisch unerschwinglich sein, meint Axel Wunsch, Sprecher der Pflegekasse Barmer GEK. Er hat beobachtet, dass die Möglichkeit der anteiligen Übernahme an den Pflegekosten durch den Sozial­hilfeträger bei vergleichenden Gegenüberstellungen im In- und Ausland häufig nicht berücksichtigt wird. „Gerade dadurch kann ein beträchtlicher Teil der Kosten für den Pflegebedürftigen entfallen“, gibt Wunsch zu bedenken.

Entsprechende Modellrechnungen des Bundesgesundheitsministeriums zeigen, dass Pflegebedürftige in Deutschland sogar günstiger unterkommen können. Der Haken ist, dass keine Vermögenswerte anfallen dürfen. Außerdem gehen die Modellrechnungen von Heimkosten im EU-Ausland von 2.000 Euro aus. Das gibt es auch in Tschechien, aber meist liegen die Preise deutlich darunter. Beginnen die Kosten für Klienten je nach Ausstattung und Pflegebedürftigkeit in Tschechien bei 1.000 Euro im Monat, sind sie in Deutschland locker dreimal so hoch.

Geteilte Ansichten
Offizielle Zahlen darüber, wie viele Deutsche inzwischen in Tschechien gepflegt werden, gibt es nicht. Während Krankenkassen und Sozialverbände nur von vereinzelten Anfragen sprechen, berichten private Betreiber von Pflegeheimen in Tschechien von einer steigenden Nachfrage und bauen deshalb ihre Kapazitäten vor allem im tschechischen Grenzgebiet aus. „Bis Jahresende eröffnen wir 400 neue Plätze, davon eine Einrichtung in der Nähe von Cheb“, bestätigt Aleš Kulich, Gründer und Geschäftsführer der Gesellschaft „Alzheimercentrum“ mit Einrichtungen in Tschechien und der Slowakei. In seinen fünf Heimen werden aktuell fünf Deutsche gepflegt.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband äußert Verständnis für die Wahl eines Pflegeheims hinter der Grenze. Gerade in Sachsen und Bayern kann eine Pflege so unter Umständen wohnortnah erfolgen.

Was die Qualität angeht, sieht Rudolf Merkel seine Mutter in Tschechien sogar besser aufgehoben. Seine Schwiegertochter, selbst Pflegerin, hatte mit ihm das Heim besucht und ihn in seiner Entscheidung bestärkt. Merkel räumt zwar ein: „Ich bin für meine Mutter die einzige Bezugsperson, was gerade bei ihrer zunehmenden Demenz ganz wichtig ist.“ Aber egal ob Eckental oder Pilsen, „ins Heim wollte sie nie“.

Doch er denkt auch an die Zukunft. Merkel weiß, dass er seine Mutter irgendwann nicht mehr regelmäßig besuchen kann. Umso mehr ist es ihm wichtig, dass er sie in guten Händen weiß. „Denn das tut auch mir gut“, sagt er. Das Glück, Roman Barfusz getroffen zu haben, ist ihm anzusehen. Und wer weiß, vielleicht wird er selbst einmal Bewohner eines seiner Pflegeheime. „Wenn ich das Personal in Deutschland und hier in Tschechien vergleiche, kann ich mir das sehr gut vorstellen.“

 

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