Abwägen und abwarten

Abwägen und abwarten

Trotz sinkendem Interesse soll der Deutschunterricht an tschechischen Grundschulen zum Pflichtfach werden

18. 4. 2013 - Text: Peggy LohseText: pl; Foto: Thomas Keilhack

An einem winterlichen Samstagmorgen Anfang April trafen sich im Prager Goethe-Institut rund 130 Deutschlehrer aus Tschechien, Deutschland und Österreich zum „Tag des Deutschlehrers 2013“. Unter dem Motto „(M)EinFACH Deutsch“ kamen außerdem Verlage und Referenten für insgesamt 21 Workshops zusammen. Diese sollten den Deutschlehrern frische Ideen für den täglichen Unterricht geben.

Trotz dicker Wolkendecke über der Moldau herrschte unter den Organisatoren und Teilnehmern eine zuversichtliche Stimmung. Der Grund: Das tschechische Schulministerium entschied, ab kommendem Schuljahr an den hiesigen Grundschulen eine zweite Fremdsprache einzuführen. Sie soll spätestens ab dem 8. Schuljahr zum Pflichtfach werden. „Nach der Wende hat das Interesse an Deutsch stark nachgelassen. Alle wollen natürlich Englisch lernen“, erklärt die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes der Germanisten und Deutschlehrer (Spolek germanistů a učitelů němčiny) Dana Hrušková, „jetzt hoffen wir jedoch, dass als zweite Fremdsprache wieder häufiger Deutsch gewählt wird.“

Eine Untersuchung des Instituts für Information und Ausbildung (UIV) ergab, dass im Schuljahr 2003/04 noch rund ein Drittel aller tschechischen Grundschüler Deutsch lernte. Im Schuljahr 2009/10 waren es nur noch 17 Prozent. Mit den Gründen für das schwindende Interesse hat sich im vergangenen Jahr eine Studie des Germanistik-Instituts an der Karls-Universität auseinandergesetzt. Als Hauptgründe stellten sich die Bevorzugung der englischen Sprache durch das Schulministerium, Vorbehalte der Eltern gegenüber Deutsch und eine unzureichende fachliche und materielle Ausstattung der Schulen heraus. Letzteres belegen auch Zahlen aus dem Bericht der tschechischen Schulinspektion von 2010, denen zufolge an den Grundschulen nur knapp 40 Prozent der Deutsch unterrichtenden Lehrer eine entsprechende Hochschulausbildung in dem Fach vorweisen können. Außerdem fanden die Deutschstunden bisher lediglich als zusätzliches Wahlfach statt, das meist in die unattraktiveren Randzeiten am Nachmittag verlegt wurde.

Auf der anderen Seite steht der ausbleibenden Nachfrage ein großes Interesse der Wirtschaft an Deutsch sprechenden Arbeitskräften gegenüber. Laut einer Übersicht des Karriereportals Profesia.cz erwarten an zweiter Stelle nach Englisch fast 20 Prozent aller tschechischen Unternehmen Deutschkenntnisse von ihren Mitarbeitern. Über die Hälfte dieser Firmen beschwert sich jedoch, dass es immer schwieriger sei, Angestellte mit soliden Sprachkenntnissen zu finden.

Um diese Interessenskluft zu schließen wurde 2011 die Kampagne „Šprechtíme“ ins Leben gerufen, die Vorbehalte abbauen und neues Interesse am Deutschlernen wecken soll. Im Rahmen der Initiative wurde in diesem Jahr auch erstmalig der Deutschlehrerpreis ausgelobt, für den sich engagierte Deutschlehrer noch bis zum 3. Mai mit einem innovativen Unterrichtsprojekt bewerben können.

An Initiative fehlt es also nicht, auch nicht an wirtschaftlichen Reizen. Die Deutschlehrer verließen den Deutschlehrertag voller neuer Ideen und Materialien. Trotzdem heißt es abzuwarten, wie sich die Eltern und Schüler ab September tatsächlich entscheiden werden.