„Das Instrument ist die Verlängerung meiner Seele“

„Das Instrument ist die Verlängerung meiner Seele“

Die argentinische Cellistin Sol Gabetta gastiert an drei Abenden im Rudolfinum

10. 1. 2013 - Interview: Klaus Hanisch

Die Cellistin Sol Gabetta hat schon als Kind Stücke von Bohuslav Martinů gespielt. Jetzt füllt sie regelmäßig große Konzertsäle. Vom 16. bis 18. Januar macht Gabetta Station im Prager Rudolfinum. Dann geht sie mit den Tschechischen Philharmonikern auf Tournee in Spanien, Luxemburg und Deutschland. Mit Klaus Hanisch spricht sie über die tägliche Arbeit des Musikers, den Vergleich mit Anne-Sophie Mutter und die Vorteile des Singens. Gabetta spricht sechs Sprachen, darunter Deutsch mit einem schönen spanischen Akzent, der zuweilen ins Schwyzerdütsch übergeht.

Sol Gabetta, zuletzt war zu lesen, dass Sie unglaubliche 200 Konzerte im Jahr spielen würden. Sieht man bei diesen vielen Terminen etwas von Städten und Ländern oder immer nur Konzertsäle?
Gabetta: Ich gebe nicht mehr als 120 bis 130 Konzerte im Jahr, das ist schon sehr viel, aber noch machbar mit Spaß, Kraft und Überlegenheit. Mehr, denke ich, ist schon fast unmenschlich. Trotzdem bleibt leider wenig Zeit, Städte zu besuchen. Aber ich organisiere mir immer zwei zusätzliche Tage in den Städten, die mich interessieren, meistens nach dem Konzerttag. Zeit zu haben zum Beispiel in London, Paris, Barcelona oder eben auch in Prag ist immer eine Freude.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Prag? Sie haben schon einmal mit der Tschechischen Philharmonie gespielt.
Gabetta: Ja, es ist ein wunderbares Orchester mit einer sehr großen Tradition! Unser Konzert war damals in Wiesbaden, aber die Proben haben zum Glück in Prag stattgefunden. In diesem Jahr verbringen wir wieder ein paar Tage in Prag und darauf freue ich mich besonders. Prag hat Kultur, wo man geht, in der Architektur, der Musik, der Geschichte, überall sieht man die Tradition. Für mich als Argentinierin ist das auch ein Grund, warum ich in Europa mein Zuhause gefunden habe. Wo lebt es sich besser, als auf einem Kontinent, auf dem so vieles geschehen ist und woher unsere Musik, Literatur und die meisten Interpreten kommen? Politische Schwierigkeiten und Kriege haben hier die Geschichte der Welt beeinflusst und damit auch die Geschichte der Musik.

Im Rudolfinum spielen Sie unter anderem das Cello-Konzert von Dvořák, op. 104. Sollte man prinzipiell immer Stücke eines Landesmusikers auswählen, der zum Konzertort passt?
Gabetta: Es ist natürlich immer interessant für uns als Interpreten, ein Stück zu spielen in dem Land, in dem das Stück komponiert wurde und in dem der Komponist gelebt hat, in dem er die gleiche Straßen entlang spaziert ist und die Luft des Ortes geatmet hat. Hinzu kommt, dass das Rudolfinum eine außergewöhnliche Akustik hat, und auch die Größe des Saales ist perfekt. Er ist groß, aber nicht übertrieben groß. Er hat den Fokus im Klang, der Artikulation und der Sprache. Und damit bekommt die Musiksprache eine ideale Plattform, um im besten Licht gespielt werden zu können.

Der amerikanische Schriftsteller T.C. Boyle, in seiner Jugend selbst Musiker, sagte, dass Dvořáks Cello-Konzert Hörer geradezu in den Wahnsinn treiben könne. Empfinden Sie das ähnlich dramatisch?
Gabetta: Das Konzert enthält eine melancholische Geschichte Dvořáks im Hauptthema des zweiten Satzes: Dvořák hat diese Melodie für seine Geliebte geschrieben. Er hat diese Frau geliebt, und da fühlt man eine große Intensität. Die Musik von Dvořák ist gleichzeitig grandios und besitzt eines der schönsten Themen der romantischen Musikgeschichte.

Sie ergänzen Ihr Programm mit Werken aus dem 20. Jahrhundert, so auch mit dem Cello-Konzert von Bohuslav Martinů. Was schätzen Sie an tschechischen Komponisten wie Dvořák oder Martinů?
Gabetta: Als Kind habe ich schon viel von Martinů gespielt. Zunächst kleinere Stücke, und vor etwa sechs Jahren habe ich das Cellokonzert entdeckt. Damit werde ich auch in große Säle gehen, ich finde die Musik kompositorisch sehr gut: Das Cello ist immer präsent ohne kämpfen zu müssen, die Orchestrierung ist perfekt. Gleichzeitig sind immer wieder sehr viele rhythmische Wechsel und interessante Strukturen zu entdecken. Die Musik beider Komponisten enthält viele folkloristische Themen, dies macht es wahrscheinlich für den Zuhörer einfacher, diese Musik zu verstehen. Man erkennt, was man kennt, und so fühlen sich viele Menschen in dieser Musik heimisch. Die Harmoniewechsel sind grandios.

Sie spielen eines der seltenen Violoncellos von Guadagnini. Es stammt aus dem Jahr 1759. Hat man da nicht bei jeder Berührung Angst, dass etwas passieren oder kaputtgehen könnte?
Gabetta: So ein Instrument ist eine Persönlichkeit, ein Charakter. Man muss jeden Tag lernen, wie man damit umzugehen hat, genauso wie mit Menschen. Angst habe ich nicht, aber ich bin sehr vorsichtig, wenn ich reise und mich damit bewege. Das Instrument ist schlussendlich die Verlängerung meines Körpers und meiner Seele. Damit kann ich meine Emotionen durch die Musik hinaustragen, selbst vibrieren und dadurch wohl auch leben.

Ist dieses Cello quasi Ihr bester Freund, weil Sie mit ihm mehr Zeit verbringen als mit jedem Menschen?
Gabetta: Freund weiß ich nicht. Ich habe Freunde, mit denen die Kommunikation anders ist. Mein Cello ist ein Lebenspartner, mit dem ich Emotionen, Reisen, Erfolge, Enttäuschungen, Schwierigkeiten, Freude, warm und kalt erlebe. Ein Instrument ist keine Marionette, kein Spielzeug.

Eine Kontrabassistin erklärte kürzlich, ein Muskel, den man zum Spielen brauche, schmerze schon durch den Transport des Instruments immer, ob in den Armen oder im Rücken. Ist dies das Los eines Musikers?
Gabetta: Muskeln schmerzen, wenn man sie falsch benutzt oder überanstrengt. Man muss seine Grenzen kennen und wissen, wie viel Leistung die Muskeln noch haben. Es ist wichtig, seine Energie von Anfang bis zum Ende eines Konzertes einzuteilen und aufzusparen. Und natürlich auch vom Anfang bis zum Endes eines Lebens.

Muss ein internationaler Star wie Sie eigentlich anders üben als ein erst aufstrebender Musiker von 17 oder 18 Jahren?
Gabetta: Es ist nachgewiesen, dass das Gehirn in jungen Jahren viel besser speichert und damit auch die Koordination der Muskelarbeit besser lernt. Alles, was ich in jungen Jahren über Stunden gemacht habe, ist heute noch da. Aber ich muss täglich „Hygiene“ betreiben, langsam üben, meine Bewegungen analysieren, alles was automatisch ist, mechanisch nachprüfen. Man muss sehr aufpassen, dass sich die Musik nie wie von einer Maschine gespielt anhört. Und dafür wird diese tägliche Arbeit gemacht, die ständige Suche nach neuen Horizonten. Natürlich ist es sehr spannend, neue Musik zu lernen, zu lesen und auszuprobieren, zum Beispiel das Spielen auf Darmseiten, das Cello piccolo, Gesangstunden nehmen, Klavier spielen. Ehrlich gesagt, das Studieren endet bei Musikern nie.

In einem Magazin stand, nach einem Konzert habe man nicht mehr gewusst, ob man lieber Anne-Sophie Mutter oder Sol Gabetta mit Schuberts a-Moll-Sonate D 821 hören wollte. Hat Sie dieser persönliche Vergleich über all die Jahre begleitet, auch wenn Sie Cello und Mutter Geige spielen?
Gabetta: Man versucht immer wieder, junge Künstler mit bekannten Namen der klassischen Musik zu vergleichen, weil man glaubt, damit ein Kompliment zu machen. Und es ist sicher auch so gemeint. Nur: Alles was Kopie ist, ist für mich schlechter als das Original! Wie kann man Musik messen? Nur durch den Vergleich oder dadurch, dass etwas besser oder schlechter, spannender oder langweiliger, rosa oder schwarz-weiß ist? Worin besteht unser Interesse, Musiker zu sein? Wenn man Komponist ist, im Schaffen. Wenn man selber Kadenzen für die Mozart-, Haydn- und Beethoven-Konzerte komponiert. Und als Interpret? Wenn man ein Unikat ist! Wenn man etwas hat, das noch nie gehört wurde, noch nicht gesehen wurde und immer wieder eine eigene Brillanz hat, eine Persönlichkeit. Das ist das Wichtigste: etwas Eigenes zu finden mit der Interpretation eines Stückes, ohne den Text zu modellieren.

Trotzdem die Nachfrage: Anne-Sophie Mutter wurde von Karajan entscheidend gefördert. Wer war Ihr Karajan?
Gabetta: Niemand. Ich habe mich langsam bewegt, aber immer auf eigenen Füßen. Ich wusste, egal wie schnell, es werden immer meine eigenen Schritte sein. Und die werden mich immer tragen.

Sie sangen mit drei Jahren und scharten schon im Kindergarten Gleichaltrige für einen eigenen Chor um sich. Wird es eines Tages die Sängerin Sol Gabetta geben?
Gabetta: Das glaube ich nicht (lacht). Aber ich fange jetzt mit Gesangsstunden an. Ich weiß, ich habe von Natur aus eine saubere Stimme. Wie eine Kinderstimme, die man trainieren muss, und das interessiert mich jetzt. Aber ich werde nie eine Opernstimme haben können. Ich will das, was mir gegeben wurde, eine reine schöne Stimme, einfach aus ihrem eigenen Potenzial heraus entwickeln. Nichts forcieren, aber ihr eine Chance geben, das Maximum herauszuholen. Immer wenn ich singe, fühle ich mich wie ein freier Mensch und spüre eine starke Vibration in mir – und das befreit mich von meinen täglichen kleinen Problemen.

Sol Gabetta
Geboren 1981 als Tochter französisch-russischer Eltern in Cordoba (Argentinien), lebt mittlerweile in der Schweiz. Gewann bereits als Zehnjährige einen Musikwettbewerb in Argentinien und erhielt danach viele Preise, etwa beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau oder beim ARD-Wettbewerb in München. Ihre internationale Karriere begann Gabetta 2004 mit dem renommierten „Crédit Suisse Young Artist Award“, eine der höchst dotierten Auszeichnungen für junge Musiker. Die Preisträgerkonzerte mit den Wiener Philharmonikern öffneten ihr wichtige Türen in die internationale Musikwelt. Im Herbst 2007 wurde die Cellistin mit einem „Echo“-Preis als Instrumentalistin des Jahres ausgezeichnet. Weitere „Echos“ erhielt sie 2009 und 2011 für „beste Konzerteinspielungen“. Sie tritt regelmäßig bei großen Festivals auf, zahlreiche namhafte Orchester schätzen die regelmäßige Zusammenarbeit mit ihr, so das Royal Philharmonic Orchestra London oder das Sinfonieorchester St. Petersburg. Viele ihrer Aufnahmen landeten auf Anhieb in den deutschen Klassik-Charts. Seit Herbst 2005 hat Sol Gabetta eine Assistenz-Professur an der Musikhochschule Basel. Eine große Leidenschaft verbindet sie mit ihren eigenen Projekten wie dem Solsberg-Festival in ihrer Schweizer Wahlheimat oder der „Cappella Gabetta“.

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