Gegen den Fremdenhass

Gegen den Fremdenhass

Tschechien erlebt vor der Europawahl eine Welle des Rassismus auf Plakaten und in Wahlspots. Zu spüren bekommen das auch Kandidaten, die selbst einen Migrationshintergrund haben. Die PZ hat mit drei von ihnen gesprochen

21. 5. 2014 - Interview: Martin Nejezchleba, Titelbild: Christoph Scholz, CC BY-SA 2.0

„Wir Vietnamesen müssen uns stärker beteiligen“

Cong Hung Nguyen möchte ein Zeichen setzen. Er ist Sohn vietnamesischer Einwanderer und findet, es sei an der Zeit, dass sich die Vietnamesen in Tschechien am politischen und gesellschaftlichen Geschehen beteiligen. Er kandidiert für die Bürgerdemokraten (ODS) und sammelt Unterschriften gegen die Euro-Einführung. Wenn ihn jemand am Petitionsstand fragt, was ihn das als Vietnamesen eigentlich angeht, dann antwortet er, dass er sich eher als Tscheche denn als Vietnamese fühle. Mit acht Jahren zog er mit seinen Eltern von Hanoi an die sächsisch-tschechische Grenze, sie verkaufen Gartenzwerge, Weidenkörbe und Zigaretten an deutsche Touristen. Nguyen ist Jahrgang 1984 und studiert an der Wirtschaftshochschule.

Herr Nguyen, warum kandidieren Sie ausgerechnet für die ODS?

Cong Hung Nguyen: Weil mich der Spitzenkandidat Jan Zahradil angesprochen hat. Er setzt sich im Europaparlament für die vietnamesische Minderheit ein. Da dachte ich mir, ich probiere das einmal. Ich kandidiere, weil ich der tschechischen Gesellschaft zeigen möchte, dass wir Vietnamesen, vor allem die zweite Generation, uns als integralen Bestandteil dieser Gesellschaft wahrnehmen. Wir stehen den Tschechen gegenüber in einer Pflicht und sollten uns in die Gesellschaft einbringen – sowohl politisch als auch sozial.

Was würden Sie gerne als EU-Abgeordneter erreichen?

Nguyen: Ich möchte betonen, dass das für mich eine symbolische Kandidatur ist.

Sie möchten also nicht gewählt werden?

Nguyen: Natürlich gibt es bessere Kandidaten auf der Liste, Jan Zahradil zum Beispiel. Ich möchte vor allem zeigen, dass wir Vietnamesen uns hier dauerhaft niederlassen möchten. Da wir hier aufwachsen, sollten wir auch etwas für dieses Land tun. Aber für die ODS kandidiere ich, weil ich das Wahlprogramm gut finde. Ich bin vor allem gegen die Euro-Einführung. Das hätte schreckliche Auswirkungen auf die Bürger und die Wirtschaft.

Wenn Sie nun doch ins Parlament kommen, was würden Sie dort durchsetzen wollen? Gibt es einen Punkt im Programm der ODS, der Ihnen besonders am Herzen liegt?

Nguyen: Ich war vor kurzem in Straßburg. Im Europaparlament werden Steuergelder zum Fenster hinausgeworfen; da wird überhaupt nicht gespart. Ich würde ganz bestimmt gerne den Haushalt der EU und vor allem den des Europaparlaments senken.

Denken Sie, dass Einwanderer eine Gefahr für die Tschechische Republik darstellen?

Nguyen: Das glaube ich nicht…

Im ODS-Programm klingt das aber so. Im Kapitel „Wir sind gegen Einwanderungsquoten“ steht: „Migration darf nicht dazu führen, dass Ghettos in Form städtischer Enklaven von Einwanderern entstehen, dass kulturell-zivilisatorische Spannungen entstehen oder dass es gar zu Gewalt kommt.“

Nguyen: Das bezieht sich auf die Einwanderungsquoten. Wir möchten nicht, dass zum Beispiel aus Italien Einwanderer auf der Grundlage irgendwelcher Brüsseler Quoten zu uns geschickt werden. Jeder Staat muss selbst zusehen, dass es nicht zu Schwierigkeiten kommt, er muss die Gruppen gut integrieren können.

Europa fußt auf dem Prinzip der Solidarität. In andere Staaten kommen mehr Flüchtlinge als nach Tschechien…

Nguyen: Dafür gibt es doch Asyl- und Visapolitik.

Die im Falle Tschechiens sehr restriktiv ist. Vietnamesen zum Beispiel haben es im Moment schwer, hierher zu kommen…

Nguyen: Geringqualifizierte Einwanderer wären eine Belastung für die Wirtschaft und den Haushalt. Ich würde es lieber sehen, wenn Leute hierher kommen, die eine gute Ausbildung haben. Es gibt eine Menge arbeitsloser, gut ausgebildeter junger Menschen, zum Beispiel in Vietnam. Diese Leute wären aus demografischer und wirtschaftlicher Sicht eine Bereicherung.

Was bedeutet Europa eigentlich für Sie?

Nguyen: Für mich ist Europa ein Symbol, die Wiege der Kultur. Und für mich persönlich bedeutet Europa Bildung und Neuanfang.

„Wir müssen gemeinsam Probleme lösen“

Reda Ifrah kandidiert auf Listenplatz Nummer 16 für die TOP 09. Ihr Motto lautet „Europa sind wir, nicht die“. Ifrah kam in einem Vorort von Algier zur Welt. Seine Mutter hat ihm von klein auf Tschechisch beigebracht, die Ferien verbrachte er oft bei den Großeltern in Tschechien. 1995 zog die Familie dann nach Mähren um, Ifrah studierte in Brünn und Olomouc. Weil er während seiner Kampagne für die Europawahlen immer wieder mit Fremdenhass konfrontiert wurde, hat er auf seiner Homepage einen Artikel veröffentlicht. Er trägt den Titel „Ich heiße Reda Ifrah und möchte die tschechischen Werte verteidigen“.

Herr Ifrah, Sie kommen ursprünglich aus Algerien, nun machen Sie in Tschechien Politik. Wie reagieren die Leute auf Sie?

Reda Ifrah: In der Kommunalpolitik waren die Leute immer neugierig, aber auch etwas vorsichtig. Ich sehe aus wie ein Tscheche – die Leute würden bestimmt anders reagieren, wenn ich etwa dunkelhäutig wäre. Aber sie fragen eigentlich immer, wo ich herkomme und warum ich das mache. Im Internet kann es aber auch anders zugehen.

Wie denn?

Ifrah: Sehr vulgär, die Leute schreiben mir, ich solle dahin abhauen, wo ich hergekommen bin. Ich möchte nicht über diese Leute urteilen; ich schreibe ihnen dann, dass ich mich als Tscheche fühle.

Warum ist die Stimmung vor diesen Wahlen derart ausländerfeindlich und antimuslimisch?

Ifrah: Die Parteien versuchen sich zu verkaufen und denken nicht darüber nach, was das für Auswirkungen haben kann. Ihr Verhalten kann die Gesellschaft radikalisieren. Und was dann? Sie schüren Angst vor irgendwelchen Migrationsquoten aus Brüssel, sagen aber nicht, dass wir an dem Tisch sitzen können, wo darüber entschieden wird. Es ist doch logisch, dass Leute aus armen Ländern versuchen, in die EU zu kommen. Wir können doch nicht erwarten, dass uns die Union nur Geld und erfreuliche Nachrichten beschert. Wir haben gemeinsame Sorgen und müssen gemeinsam Lösungen finden. Und was Muslime und das Aufhetzen gegen sie betrifft: Bestimmt sollten keine Ghettos entstehen, Einwanderer sollten die Möglichkeit haben, sich mit ihrem Herkunftsland zu identifizieren. Das kann man ihnen nicht verbieten. Ich bin hier auch mit Leuten aus Algerien und anderen arabischen Staaten in Kontakt. Und der Großteil hat Tschechien als neue Heimat angenommen, sie identifizieren sich mit tschechischen Gesetzen und Werten. Wenn Einwanderer das akzeptieren, dann kann das auch die Panikmache eindämmen.

Warum wollen Sie eigentlich ins Europaparlament?

Ifrah: Ich spezialisiere mich seit langem auf Außenpolitik, ich habe Europäische Studien und Internationales Recht studiert. Als Tschechien 2004 der EU beigetreten ist, habe ich festgestellt, dass es einen Informationsmangel gibt. Die Medien ziehen die Dinge aus dem Kontext und verzerren. An der Uni haben wir mit Freunden eine NGO gegründet, wir haben Bildungsprogramme zur EU gemacht. Politisch sehe ich mich eher rechts der Mitte und die TOP 09 ist bemüht, ihre Wahlliste mit Experten zu besetzen. Sie haben mich gefunden und ich bin dankbar für die Unterstützung. Ich will eine auf Fakten basierende Kampagne machen und dazu beitragen, dass die Leute mehr über die EU erfahren.

Was bedeutet Europa für Sie?

Ifrah: Für uns Tschechen war Europa lange ein Ort, an den wir zurückkehren wollten. Dann sind wir der EU beigetreten und auf einmal bedeutet Europa für die Leute irgendein Brüsseler Diktat. Europa ist die Chance auf Zusammenarbeit. Und gleichzeitig ist Europa im globalen Rahmen ein Ort der Hoffnung.

„Hier wird Politik mit Angst gemacht“

Šadí Sanaáh kam in Prag zur Welt. Der Vater stammt aus Jordanien, die Mutter aus Tschechien. Einen Teil seiner Schulzeit verbrachte er in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Irbid – zwei Jahre wurde er dort unterrichtet. Nicht erst seitdem er für die Grünen ins Europaparlament einziehen will, bekommt er aggressive E-Mails: Er gehöre zur Fünften Kolonne des Islamismus und solle daran denken, welches Schicksal etwa die sudetendeutschen Landesverräter ereilt hat.

Herr Sanaáh, auf Facebook schreiben Sie, dass Sie der erste tschechische Grüne im Europaparlament werden wollen. Warum?

Šadí Sanaáh: Ich spiele ein wenig mit meinem Namen, der alles andere als tschechisch klingt. Ich habe das Wort Tscheche hervorgehoben und möchte damit der xenophoben Kampagne entgegenwirken, die zum Beispiel die Partei Úsvit führt. Ich wollte zeigen, dass auch ein Mensch, der Šádi Sanaáh heißt, ein Tscheche sein und für dieses Land im Europaparlament sitzen kann.

Woher kommt diese Islamophobie in einem Land, das einen verschwindend geringen Anteil an muslimischer Bevölkerung hat?

Sanaáh: Wenn ich das aus der Perspektive eines Politologen betrachte, dann ist das eine verständliche Entwicklung. Politiker schlagen Kapital aus der unterbewussten Angst, die es hier zweifellos gibt. Die Politiker haben sich die Wahlsegmente angesehen und festgestellt, dass hier noch keiner so richtig das Segment ausgeschöpft hat, das etwa Le Pen in Frankreich oder Jobbik in Ungarn bedienen. Sie haben festgestellt, dass man damit fünf bis zehn Prozent der Wähler ansprechen kann. Dank der Medien sehen die Leute hier Bilder spektakulärer Probleme aus Westeuropa, die mit dem Islam in Verbindung gebracht werden – brennende Autos in Pariser Vorstädten etwa. Auch bei Leuten, die nicht grundsätzlich islamfeindlich sind, spricht das unterbewusste Ängste an. Aber mit genau diesen Leuten muss die Politik arbeiten und ihnen komplexe Informationen geben. Politiker sollten diese Emotionen eher dämpfen, statt sie anzuheizen.

Wie denn?

Sanaáh: Wichtig ist es, die Debatte auf die individuelle Ebene zurückzuholen. Es gibt verschiedene Definitionen von Islamophobie. Ein Symptom ist der Glaube daran, dass der Islam eine absolut einheitliche und unveränderbare Angelegenheit ist und dass sich Muslime irgendwie objektiv definieren lassen.

Was würden Sie gerne in Brüssel durchsetzen?

Sanaáh: Ich würde gerne im Ausschuss für Auslandsbeziehungen sitzen. Da werden Dinge diskutiert, die mich sehr interessieren und bei denen das Parlament bislang sehr geringe Befugnisse hat. Das ist ein Gebiet, wo viele Dinge erst im Entstehen sind und es wäre wichtig, dass ein Grüner mit am Tisch sitzt, der ein Gefühl für die zivilgesellschaftlichen Dimensionen, etwa bei der Verteidigungspolitik hat. Wichtig ist es, die Dinge komplex anzugehen. Nehmen Sie die Entwicklungshilfe, die muss viel enger mit der Sicherheits- und Energiepolitik abgestimmt werden. Klimaveränderungen werden in Zukunft zu mehr Migration führen. Schon weil entwickelte Länder mehr zur Klimaerwärmung beitragen, sollten wir Solidarität mit den Entwicklungsländern zeigen. Mir hat immer imponiert, dass die Grünen die Dinge an der Wurzel packen und nicht nur Symptome bekämpfen.

Letzte Frage, was bedeutet für Sie Europa?

Sanaáh: Oft vergessen wir, dass die Europäer nur durch das enorme Blutvergießen in unzähligen Kämpfen und Kriegen gelernt haben, dass es auch anders geht, dass wir unseren Nachbarn nicht töten müssen, nur weil er Protestant oder Franzose ist. Wir haben angefangen, miteinander zu reden, Kompromisse und Konsens zu suchen. Das ist für mich das Wichtigste an Europa.