Fürstin Libuše?
Literatur

Fürstin Libuše?

Libuše Moníková stammte aus Prag und lebte in Berlin. Sie schrieb auf Deutsch über ihre Heimat – und wird in Tschechien bis heute kaum beachtet. Eine Annäherung

20. 1. 2019 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: PNP

Libuše Moníková war erst 52, als sie starb. Das war im Januar vor 21 Jahren. Wer so früh diese Welt verlässt, der wird im Kunst- und Kulturbetrieb oft zur Legende erklärt. Nicht selten auch verklärt. Manchmal sogar vergöttert. Das ist bei Schriftstellern nicht anders als bei Rocksängern und Filmschauspielern. Mancher von ihnen wurde erst durch und nach seinem Tod zu einem Star. Man denke an James Dean, dem dafür gerade drei Filme reichten und der posthum für Oscars nominiert wurde.

Auch Moníková erhöhte ein Nachrufer zu „Fürstin Libuše“. Dabei war sie nicht länger als 16 Jahre literarisch tätig. Hat sie so viel Unterwürfigkeit verdient? Hätte sie das überhaupt gewollt?

Gerade erinnert eine Ausstellung auf Deutsch und Tschechisch im Haus des Lesens der Prager Stadtbibliothek (Dům čtení, Ruská 192, Prag 10) an die Schriftstellerin. Sie trägt den Titel „Im Dialog mit Libuše Moníková“. Das vorrangige Ziel ist, so die Veranstalter, endlich mehr tschechische Leser für ihre Bücher zu interessieren. Über 20 Jahre nach ihrem Tod …

Libuše Moníkovás Leben und Arbeiten war nicht alltäglich. Sie wurde im August 1945 in Prag geboren, studierte Anglistik und Germanistik, kam 1971 durch Heirat nach Deutschland und lebte ab 1982 als freie Schriftstellerin in Berlin. Dort schrieb sie Bücher in deutscher Sprache über ihre tschechoslowakische und hernach tschechische Heimat.

Das machte sie jedoch nicht außergewöhnlich. Auch andere Schriftsteller wie Jiří Gruša, Pavel Kohout oder Ota Filip emigrierten nach dem Ende des „Prager Frühlings“ in den Westen und schrieben dort (auch) auf Deutsch. Er lebe in Deutschland, seine Leser seien Deutsche und da er vom Schreiben lebe, „muss ich in der Sprache schreiben, die sie verstehen“, sagte Filip.

Nicht jeder kennt heute noch „die Moníková“. Auch nicht in Deutschland. Viele haben sie überhaupt nie gekannt. Wer sie kennenlernen will, muss nicht sofort zu ihren Büchern greifen und lesen, was sie geschrieben hat. Eine Annäherung ist auch durch Texte möglich, die über sie geschrieben wurden.

Bei Filmen geschieht das regelmäßig. Viele Kinogänger studieren zuerst Kritiken oder Lobpreisungen, kommen dabei zu dem Ergebnis, dass „der Film nicht schlecht“ sein könnte und gehen dann ins Kino. Oder sie schalten bei Netflix ein. Längst gilt das auch für die Literatur. Über den Roman „Ein weites Feld“ von Günter Grass erschienen dermaßen viele Zeitungsartikel – nämlich mehr als 10.000 –, dass sie ein eigenes Buch füllten: „Der Fall Fonty“. So viel wurde in den vergangenen Jahrzehnten über Libuše Moníková nicht veröffentlicht. Trotzdem genug, um zu wissen, ob Person und Werk auch heute noch Aufmerksamkeit verdienen.

Im Oktober 1987 beschrieb Martin Lüdke im „Spiegel“ anschaulich, wie Moníková mit ihrem Buch „Die Fassade“ den literarischen Durchbruch schaffte. „Zunächst: Gemunkel. Der Literaturbetrieb hört, bei günstiger Witterung, zuweilen das Gras wachsen. Durch einige Lesungen, von eher privatem Charakter, verstärkte sich das Raunen zum Gerücht. Noch längst nicht fertig, wurde das Buch bereits als heißer Tip gehandelt“, notierte der Literaturkritiker. Die literarische Welt war befruchtet. Ihr seltsames Eigenleben nahm Fahrt auf. Und es mündete sofort in einen Preis. Für das (fast fertige) Manuskript bekam die Autorin den von Günter Grass gestifteten „Döblin-Preis“.

Kaum auf dem Markt, eroberte das Buch schnell die viel beachtete Bestenliste des damaligen Südwestfunks. „So hat die Frankfurter Buchmesse, bevor sich ihre Tore öffnen, endlich wieder einmal eine literarische Entdeckung zu vermelden: den Roman einer deutsch schreibenden Tschechin“, so Lüdke vor mehr als 30 Jahren.

Ein Großteil der Handlung von „Die Fassade“ spielt im ostböhmischen Litomyšl. | © Michal Klajban, CC BY-SA 3.0

Mit der „Fassade“ gelang Moníková in seinen Augen „ein wunderbar reiches, kluges, komisches Buch, das viele Facetten hat und voller Anspielungen und Querverweise steckt.“ Darin setzen Restauratoren zunächst ein Renaissance-Schloss in Böhmen instand, bevor sie sich im zweiten Teil des Romans auf eine Reise nach Japan machen und in Sibirien landen. Einen „kollektiven Schelmenroman“ nannte dies der Frankfurter Kritiker, trotz kleiner sprachlicher Schnitzer durch ihr „zuweilen eigensinniges Deutsch“ mit falschen Personalpronomina („es“ anstatt „sie“) und ungewohnten Konjunktiven.

„Alle Helden der Libuše Moníková sind Verlierer“, fasste Iris Radisch im Oktober 1992 in der „Zeit“ zusammen. Verlierer und Opfer der mitteleuropäischen Geschichte zugleich. Viele von ihren Romanen spielen in Prag. Die Stadt funktioniere bei ihr „einerseits als Abbild von Wirklichkeit und andererseits als Stadt der Träume, des Imaginären“, ergänzte Eva Markvartová im „Literarischen Atlas Europas“. Ihre Figuren „leiden an ihrer Gegenwart oder Vergangenheit und fühlen sich aus verschiedenen Gründen als Opfer der Zeit“, so Markvartová. Mit Prag sei für Moníková immer ein „Heimatgefühl verbunden“.

Ihr zweiter großer Roman „Treibeis“ löste 1992 eine heftige Debatte im damals berühmt-berüchtigten „Literarischen Quartett“ im ZDF aus. Hellmuth Karasek, 1934 in Brünn geboren und später vertrieben, fand ihren Ansatz gut, einen Roman über Heimatlosigkeit zu schreiben, zeigte sich aber genervt von einem „furchtbaren Bildungsgelaber“ der Autorin.

Dagegen sah Sigrid Löffler, 1942 in Aussig geboren, darin einen „wirklich großen Heimatroman“. In dem Buch rekonstruieren ein nach der kommunistischen Revolution geflüchteter tschechischer Lehrer und ein nach dem „Prager Frühling“ emigriertes tschechisches Stuntgirl in der Fremde die Heimat. Für Löffler überließen sie sich dabei „der einzig wahren Heimat, nämlich der Heimat der Fantasie.“ Wobei sie durch den „größten Schmerz“ vereint würden, „nicht einmal die gleichen Erinnerungen daran“ zu besitzen.

Den Spielverderber gab, wie so oft, „Literaturpapst“ Marcel Reich-Ranicki. Zwar sei Libuše Moníková hoch gebildet, sagte er in der Sendung, sie könne aber nicht erzählen. Deshalb zählte sie für Reich-Ranicki zu den „Eunuchen“ unter den Schriftstellern: „Sie wissen, wie man es macht, aber sie können es nicht selber machen.“

Fast nur wörtliche Rede und alles „Kolportage, Montage, Gleichnis“. So viel Kunstfertigkeit habe „Die Fassade“ 1987 fast zusammenbrechen lassen, analysierte Iris Radisch in der „Zeit“. Dagegen erreichte „Treibeis“ für Radisch „tschechisches Ufer, wo aller Schmerz der Mühseligen und Beladenen nach den Regeln avancierter Komik kuriert wird“.

Blick in die Ausstellung | © PNP

Dies misslang Libuše Moníková in ihrem Roman „Verklärte Nacht“ von 1996. Zumindest für den Kritiker Burkhard Scherer. Die gebürtige Pragerin äußert sich darin enttäuscht über den Wandel der Stadt, einen allzu raschen Übergang vom Kommunismus in einen entfesselten Kapitalismus, den Verlust kultureller Werte. Entsetzt ist sie darüber, dass Prag zu einem Rummelplatz für charakterlose, aber erfolgreiche Ausländer geworden ist. Und ebenso für Touristen, wobei „vor allem die Ostdeutschen mit ihrer Westwährung größenwahnsinnig“ geworden seien und „denken, sie können sich hier alles erlauben“.

Libuše Moníková sah die Zustände in ihrer Heimat nach der Samtenen Revolution 1989 frühzeitig sehr kritisch und begegnete der großen Euphorie nach dem politischen Umbruch mit Skepsis. So viel Anklage gegen die Verhältnisse sei jedoch „nicht frei von Klischees und sprachlichen Schnitzern“, befand Scherer in der „FAZ“. Oft hätten Schriftsteller das Leben unter kommunistischer Repression besser analysiert als Gesellschaftswissenschaftler. „Man sollte meinen, dies gelte auch für den Blick auf die Übergangsgesellschaften“, so Scherer, „aber das ist hier verschenkt worden“.

Gleichwohl sprach Libuše Moníková in diesem Text ein heikles Thema an, nämlich die Aussöhnung zwischen Tschechen und Deutschen, wie Markéta Hájková in einer wissenschaftlichen Arbeit 2009 an der Karls-Universität ausführte. Für viele Tschechen Anfang der neunziger Jahre noch ein rotes Tuch.

Die politische Elite zeichnete Moníková hingegen für ihre Bemühungen um die deutsch-tschechischen Beziehungen aus. Kurz vor ihrem Tod erhielt sie das Bundesverdienstkreuz und den Orden des Weißen Löwen in Tschechien. Nicht die einzigen Ehrungen für sie nach dem Döblin-Preis. 1989 gab es zudem den Kafka-Literaturpreis, zwei Jahre später den Adelbert-von-Chamisso-Preis. Als sie im Februar 1994 „Mainzer Stadtschreiber“ wurde, hob Iris Radisch in einer Laudatio hervor, dass Moníková in ihren Romanen „politische Erfahrung unnachahmlich in eine literarische Form“ bringe und dabei „an Kafka und Jean Paul geschulte Liebe für den literarischen Slapstick“ erkennbar werde.

Libuše Moníková habe sich als Mittlerin zwischen Deutschen und Tschechen verstanden, Fremd- wie Feindbilder auf beiden Seiten aufdecken und Gemeinsamkeiten suchen wollen, schrieb Almut Nitzsche im September 2007 auf dem Portal „FemBio“. Ihr sei allerdings bewusst gewesen, dass sie von ihrem deutschen Publikum nicht immer verstanden werde, weil der kulturelle Hintergrund ihres Schreibens tschechisch war.

In Deutschland zu leben, sei ihr aber wichtig gewesen, weil sich Deutsche mehr mit ihrer Vergangenheit beschäftigen als andere, so Nitzsche. Und sie wollte selbst unbedingt die Erinnerung an entscheidende historische Ereignisse wachhalten. Dagegen blieb das Verhältnis zu ihrem Geburtsland schwierig, obwohl ihre tschechische Herkunft die Inhalte und Motive ihrer Bücher bestimmte. Moníkovás Bücher wurden in Tschechien erst nach ihrem frühen Tod im Jahr 1998 wahrgenommen. Dies erklärte die tschechische Literaturwissenschaftlerin Renata Cornejo damit, dass anfangs kaum Übersetzungen vorlagen. Auch weil Moníková hohe Ansprüche daran knüpfte. Nach einer misslungenen Übersetzung der „Fassade“ ließ die Autorin zunächst weitere Übertragungen sperren, „bis eine adäquate Qualität des Verlags und Übersetzers gewährleistet wird“, so Hájková in ihrem wissenschaftlichen Rückblick.

Zudem seien sich Libuše Moníková und die tschechische Germanistik nie besonders grün gewesen. Mehrfach habe sich Moníková kritisch darüber geäußert, zu sehr sah sie die Wissenschaftler laut Cornejo noch in der sogenannten „Normalisierungszeit“ nach dem „Prager Frühling“ verhaftet. Dies zitierte Karin Windt in einer Rezension für „literaturkritik.de“ über den Tagungsband, der die Ergebnisse einer internationalen Konferenz 2003 an der Universität Budweis (České Budějovice) zusammenfasste. Schon 1999 hatte eine Germanistik-Konferenz in Kravsko an den Menschen Libuše Moníková und ihr Werk erinnert.

Für „Die Fassade“ erhielt Libuše Moníková 1987 den Alfred-Döblin-Preis. | © PNP

Die Ausstellung über Libuše Moníková präsentiert nun das Prager Literaturhaus gemeinsam mit dem Institut für nationales Schrifttum (Památník národního písemnictví, PNP) und dem Haus des Lesens. Sie schließt Ende Januar und wird „zum 20. Todestag“ der Schriftstellerin durchgeführt, wie die Veranstalter verkündeten. Der war zwar schon am 12. Januar 2018, also vor einem Jahr. Doch zu „runden“ Gedenk- und Geburtstagen machen sowieso alle anderen immer irgendetwas. Ob damit das Ziel, nämlich mehr tschechische Leser für ihre Bücher zu gewinnen, tatsächlich erreicht wird, hätte Libuše Moníková selbst nicht sonderlich interessiert. „Ich bin eine deutsche Autorin“, wurde sie in der wissenschaftlichen Arbeit von 2009 zitiert. Denn sie würde „die Proportionen anders bestimmen, wenn ich über die Themen für die Tschechen schriebe“. Daher distanzierte sich Libuše Moníková selbst von ihrer Einordnung in die tschechische Literatur.

Weitere Informationen zur Ausstellung „Im Dialog mit Libuše Moníková“ auf den Seiten der Stadtbibliothek (CZ) und des PNP (EN)

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