„Vielleicht finde ich bei Dichtern das Besondere“

„Vielleicht finde ich bei Dichtern das Besondere“

Schauspieler Mario Adorf über Rollen in Prag, einen Kafka-Vortrag im Gefängnis und seine Nähe zu Bohumil Hrabal

13. 4. 2016 - Text: Klaus HanischInterview: Klaus Hanisch; Fotos: ČTK/DPA/Andreas Arnold und Allstar

Vor genau 20 Jahren spielte Mario Adorf die Hauptrolle in dem Fernsehkrimi „Tresko“. Gedreht wurde damals auch in Prag. Dies war seine letzte Begegnung mit der Stadt, wie Adorf im Interview mit der „Prager Zeitung“ erzählt. Der 85-Jährige gilt als Deutschlands bekanntester und beliebtester Schauspieler. Mit nahezu 200 Film- und Fernsehrollen weist er ein umfangreiches Werk vor. Doch auch als Schriftsteller und Entertainer machte sich der internationale Star einen Namen.

Waren die Dreharbeiten für „Tresko“ Ihre einzige Begegnung mit Prag?

Aber nein! Ich habe Prag zum ersten Mal 1958 besucht, nachdem beim Festival in Karlovy Vary der Film „Nachts, wenn der Teufel kam“ lief. 1964 wurde in den Barrandov-Studios der Western „Die Goldsucher von Arkansas“ gedreht. 1971 fanden die Dreharbeiten für den italienischen Film „Malastrana“ in jenem Teil Prags statt. 1988 entstand ein deutscher TV-Dreiteiler in Böhmen und in Prag. 1990 drehte der Regisseur Egon Günther den Film „Rosamunde“ in Prag. 1993 entstand hier der TV-Zweiteiler „König der letzten Tage“ von Tom Toelle. Und 1996 war der erwähnte Fernsehkrimi „Tresko“ der letzte Film, den ich in der von mir geliebten Stadt gedreht habe.

„Er liebt gutes Essen, edle Weine, und schöne Städte“, schrieb ein Magazin in einer Rezension über Ihren Erinnerungsband „Himmel und Erde“. Tschechien steht weniger für gutes Essen und Weine. Hat Ihnen Prag zumindest als Stadt gefallen?

Ich habe in Prag immer sehr gut gegessen und in hervorragenden Hotels gewohnt, die Stadt war für mich immer schon eine der schönsten Städte Europas. Selbst als die Altstadt noch nicht renoviert war und die Prager noch nicht aus ihren Wohnungen „hinaus­gekauft“ wurden.

Sie lebten lange Zeit in Rom, ihrer zweiten Heimat, wie oft behauptet wird. Erkennen Sie Ähnlichkeiten zu Prag, etwa was Bausubstanz oder Atmosphäre betrifft?

Ich glaube, man kann Prag und Rom nicht miteinander vergleichen. Rom ist nun mal die Ewige Stadt, Prag aber die Goldene Stadt. In Rom betrachtet man die bekannten Sehenswürdigkeiten mit Ehrfurcht, die Stadt ist für den Besucher ohne Geheimnisse. In Prag kann man unbekannte Orte entdecken. In Rom kann man staunen, Prag aber hat Orte von geheimnisvoller Magie, wie etwa den alten jüdischen Friedhof.

Immer wieder kamen Sie mit der Literatur Böhmens und Tschechiens in Berührung. So lasen Sie Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“ im Oktober 2001 in einem Frankfurter Gefängnis. Die Veranstalter glaubten, dass Kafkas Werke vorgelesen eine noch stärkere Wirkung entfalten würden. Sehen Sie das auch so?

Gut vorgelesen hat jede gute Literatur eine stärkere Wirkung als das Selbstgelesene. Aber bei Kafka entsteht beim Vorlesen hinter dem Wort fast greifbar die besondere kafkaeske Gefühlslage. Sei es mal das Beängstigende, mal das Absurde oder gar Hintergründige.

Erinnern Sie sich noch an die Reaktion der Gefängnisinsassen?

Ich erinnere mich noch genau: Ich bekam bei dem Lärm wirklich Angst, dass ich sie nicht zum Zuhören bringen könne. Und dann, als ich das erste Wort sprach, spürte ich eine so unglaubliche Stille und Aufmerksamkeit, wie ich sie bei einem „normalen“ Publikum noch nie erlebt habe.

Kafkas Texte gelten als düster, deprimierend, tragisch. Kam man auf Sie, weil Sie die Rolle des Bösewichts über Jahrzehnte spielten und auch Ihre Lesereise kürzlich unter das Motto „Schauen Sie mal böse“ stellten?

Nein, das Programm war meine eigene persönliche Wahl.

Sie haben unter anderem Germanistik studiert. Waren die Werke Kafkas damals schon ein Thema für Sie?

Durchaus. Es waren ja noch die Nachkriegsjahre, in denen man sich auf die sogenannten verbrannten Dichter stürzte. Und Kafka wurde sofort als ein besonderes Juwel unter allen anderen erkannt.

Im ersten Teil von „Winnetou“ (1963) spielte Adorf den Bösewicht Frederick Santer.

Die Kritik schrieb nach Ihrem Auftritt im Frankfurter Gefängnis, sich Kafka von Adorf vorlesen zu lassen, sei ein Genuss par excellence. Tatsächlich haben Sie auch viele Hörbücher veröffentlicht. Ist das für Sie Ausdruck der Vielseitigkeit eines Schauspielers oder ein eigenständiges Genre mit ganz eigenen Ansprüchen?

Ich glaube, das Vorlesen ist, genauso wie das Spielen und Erzählen, Teil der Aufgaben, die sich der Schauspieler gerne stellt.

Vor einigen Jahren sprachen Sie den Roman „Schöntrauer“ von Bohumil Hrabal für ein Hörbuch ein. Die Kritik nannte Sie eine besonders glückliche Wahl, weil Sie in den Schalk und Übermut von Hrabal eine Portion Poesie mischen würden – und gerade diese Melange mache „Schöntrauer“ zu großer Literatur. Hrabal galt zu Lebzeiten immer als etwas kauzig. Sehen Sie in ihm eine artverwandte Seele?

Das würde ich für mich nicht in Anspruch nehmen. Ich spüre oder finde vielleicht bei einem Dichter, einem Schriftsteller das Besondere seiner Art des Ausdrucks, das den Unterschied ausmacht.

Es hieß, dass dieses Hrabal-Buch zu Ihren Lieblingsbüchern zähle. War das nur ein PR-Gag?

Ganz bestimmt nicht. „Schöntrauer“ ist einer meiner Favoriten, wenn da auch schon einiges zusammenkommt an Lieblingsbüchern.

Sie haben selbst mehrere Bücher publiziert. Wie ambitioniert sind Sie als Schriftsteller?

Ich sehe mich selbst überhaupt nicht als Schriftsteller. Mir ist nicht gegeben, einen Roman zum Beispiel zu konstruieren. Ich sehe mich bestenfalls als einen Erzähler einfacher Geschichten, die möglichst mit einer guten Pointe enden.

Sie spielten auch in der ARD-Verfilmung des Romans „Die lange Welle hinterm Kiel“ von dem in Prag geborenen Schriftsteller Pavel Kohout. Ihre Figur wuchs im Sudetenland auf, verlor seine Jugendliebe an den besten Freund, der sich zu einem glühenden Nazi verwandelte und den Bruder ermorden ließ. Am Kriegsende lässt der Tscheche Martin Burian den Nazi Sepp liquidieren, obwohl dessen Frau schwanger war und Rache schwor. Ein schweres Stück Geschichte und Vergangenheitsbewältigung – wie kamen Sie mit dieser Rolle zurecht?

Ich habe ja noch die unmittelbare Nachkriegszeit selbst erlebt und damals gab es kein gültiges geschriebenes Gesetz. In dieser leeren, einige Jahre andauernden gesetzlosen Zeit galt eben – wenn überhaupt – das Gesetz der Bibel oder das Gesetz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Daher habe ich ein großes Verständnis für das Verhalten Burians, der in dieser Zeit Urteile in diesem Sinn verhängte und ausführen ließ. Das machte ihn nicht zum Verbrecher.

Im vergangenen Jahr führten Sie in deutschen Städten eine sehr erfolgreiche und viel beachtete Lesereise mit dem Titel „Schauen Sie mal böse!“ durch. Kommen Sie auch wieder einmal nach Prag?

Das kann ich jetzt nicht sagen, aber ich käme sehr gerne wieder einmal nach Prag – und lieber beruflich denn als ein Tourist. Laden Sie mich ein!

 

 

Super-Mario – Schauspieler, Buchautor, Entertainer
Buschige Augenbrauen, volle Lippen und eine tiefe Stimme sind seine Markenzeichen. Lange Zeit gab er in Filmen vor allem den Schurken. Doch von Mario Adorf sind viele Filmszenen in Erinnerung geblieben. Etwa jene in „Kir Royal“, in der er als schwerreicher Klebstoff-Fabrikant um die Aufmerksamkeit des Klatschreporters Baby Schimmerlos mit dem legendären Spruch buhlt: „Ischscheißdischzumitmeinemjeld“. Oder in der Winnetou-Folge, in der er dessen Schwester Nscho-tschi erschießt und damit zu einem lebenslangen Feind für alle Fans des Apatschen-Häuptlings wird. Ebenso im TV-Vierteiler „Der große Bellheim“ unter der Regie von Dieter Wedel.

Adorf wurde 1930 in Zürich als Sohn einer Röntgenassistentin aus dem Elsass und eines italienischen Chirurgen geboren und wuchs als uneheliches Kind in Mayen bei Koblenz auf. In Mainz und Zürich studierte er später Germanistik und Theaterwissenschaften. An der renommierten Münchner Otto-Falckenberg-Schule entdeckte ihn der deutsche Film für die Landser-Trilogie „08/15“. Bald darauf spielte er in dem Streifen „Nachts, wenn der Teufel kam“ und erhielt dafür den Bundesfilmpreis als bester deutscher Nachwuchsschauspieler 1957 – die erste von zahllosen Auszeichnungen in seiner Karriere. An den Münchner Kammerspielen lernte er von großen Theatermännern wie Fritz Kortner und Hans Schweikart und wurde später festes Ensemblemitglied. Auf der Bühne spielte Adorf in Richard Nashs „Der Regenmacher“, in Tennessee Williams Drama „Endstation Sehnsucht“ oder im „Othello“. Beim Film arbeitete er mit weltberühmten Regisseuren wie Sam Peckinpah, Franco Rossi, Claude Chabrol, Billy Wilder und Sergio Corbucci, einem Vater des Italo-Western. Ab den sechziger Jahren lebte der Kosmopolit in Rom, wirkte aber weiterhin in jungen deutschen Filmen mit. So in Volker Schlöndorffs „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ und „Die Blechtrommel“. Ebenso in Rainer Werner Fassbinders „Lola“ oder als „Rossini“ in Helmut Dietls gleichnamigem Münchner Schickeria-Portrait.

Adorf ist jedoch auch ein glänzender Entertainer und Chansonnier. Damit überzeugte er bei seinen bundesweit ausverkauften Tourneen „Al Dente“ und „Ciao!“. Zudem schreibt er seit vielen Jahren Bücher – mit großem Erfolg. 1992 erschien sein Erstlingswerk „Der Mäusetöter“. In dem Band „Mit einer Nadel bloß“ erinnerte er 2005 an seine Mutter. „Ein Mann spielt um sein Leben“ war eine Sammlung mit seinen schönsten Geschichten zu seinem 80. Geburtstag. Und auch mit 85 Jahren steht Mario Adorf weiter vor der Kamera. In einer TV-Neuverfilmung von Karl Mays „Winnetou“-Romanen erneuert er gerade sein Image als größter Bösewicht im deutschen Film. Die Trilogie soll an Weihnachten vom deutschen Privatsender RTL ausgestrahlt werden. Der vielsprachige Akteur lebt inzwischen in Saint Tropez, ist aber oft in Deutschland zu Besuch.   (khan)