Die Liebe ist eine Rose

Die Liebe ist eine Rose

In seinem jüngsten Gedichtband übersetzt Reiner Kunze tschechische Lyriker ins Deutsche

11. 11. 2015 - Text: Volker StrebelText: Volker Strebel; Foto: Schlem/CC BY 3.0

 

„Die liebe/ist eine wilde rose in uns/Sie schlägt ihre wurzeln/in den augen,/wenn sie dem blick des geliebten begegnen/Sie schlägt ihre wurzeln/in den wangen,/wenn sie den hauch des geliebten spüren (…)“

Verse wie diese aus dem legendären Bändchen „Brief mit blauem Siegel“ aus dem Jahr 1973 belegen, dass Reiner Kunze bereits in seiner frühen Schaffensphase dem Leben, der Liebe und dem Schönen zugeneigt war. Den Kulturfunktionären in der DDR hingegen fehlte auch in diesem Gedicht der „Klassenstandpunkt“ des Dichters, was Kunze die größten Schwierigkeiten einbrachte. Ein bezeichnendes Beispiel, wie unter bestimmten Umständen auch die scheinbar private Liebe politisch bedeutsam werden kann. Dem SED-Regime blieb Kunzes Lyrik ein Dorn im Auge. Um einer mehrjährigen Haftstrafe zu entgehen, siedelte der Schriftsteller 1977 mit seiner Frau in die Bundesrepublik über.

Dass es neben der Freude auch tragische Seiten im menschlichen Leben gibt, hatte Kunze vor allem in der tschechischen Poesie wiedergefunden. Über Jahrzehnte hinweg ist der 1933 im Erzgebirge geborene Schriftsteller auch als sensibler Nachdichter hervorgetreten. Den Schlüssel zur Welt der slawischen Nachbarn hatte Kunze seine im südmährischen Znojmo gebürtige Frau Elisabeth geliefert. Mittlerweile hat Kunze Texte von über 70 tschechischen Autoren ins Deutsche übertragen. So ist die Bekanntheit des bedeutenden mährischen Dichters Jan Skácel in Deutschland der hartnäckigen Vermittlung von Reiner Kunze geschuldet.

Das vorliegende Bändchen unterstreicht ein weiteres Mal das sensible Augenmerk Kunzes im Wahrnehmen von Gedichten slawischer Autoren. Zugleich belegt es seine herausragende Fähigkeit, deren Verse ins deutsche Wort umzusetzen. Neben tschechischen Klassikern der Moderne wie etwa Jaroslav Vrchlický, Josef Hora oder Jan Zahradníček nimmt Kunze auch Gedichte von Autoren wie Ludvík Středa und Blanka Švabová auf, die bislang noch nicht ins Deutsche übertragen wurden.

Auch Milan Kunderas Gedicht „Variation über den Tod“, das Ende der fünfziger Jahre in Prag in einer Sammlung erschienen war, findet sich hier erstmals ins Deutsche übersetzt. Kundera, der in der Tschechoslowakei ursprünglich als Dichter in Erscheinung getreten war, hatte in jenen Jahren eine Freundschaft mit Kunze verbunden. Beide hatten in ihren jeweiligen Ländern gegenseitig auf sich aufmerksam gemacht.

Im Gedicht „Brief an meine Frau“ denkt Jan Zahradníček, der in den Fünfziger Jahren unter furchtbaren Umständen im stalinistischen Zuchthaus eingesperrt war, mit einfühlsamer Zärtlichkeit an seine Kinder und an seine Frau: „Du weißt nicht, wo ich bin, doch bin einstweilen ich so nahe dir,/daß ich fast höre, wie du leise hin und her gehst,/vorbei an den gewohnten teuren dingen,/bedacht, die kinder nicht zu wecken. Frühmorgens ist’s,/am himmel glüht die sonne auf.“

Und während Zahradníček, der unschuldig im Gefängnis saß, vor Sehnsucht nach seiner Familie vergeht, schämt er sich zugleich vor Gott über jene Dinge, die Menschen einander antun: „Wir könnten uns nicht in die augen blicken,/wollten wir für uns das glück, während gott/an dieser menschenschande leidet“.

Neben tschechischen Dichtern präsentiert Kunze im vorliegenden Bändchen auch ein Gedicht des Slowaken Laco Novomeský und stellt Übersetzungen aus dem Polnischen und dem Russischen vor.

So ist eine kleine, schön aufbereitete Sammlung entstanden, die in einer Auflage von 500 Exemplaren mit einem farbigen Foto des Übersetzers versehen ist. Auch diese Nummer 120 der „edition toni pongratz“ ist nummeriert und vom Übersetzer signiert.

Für ein wenig Liebe. Zwölf slawische Liebesgedichte. Übersetzt von Reiner Kunze, Edition Toni Pongratz, Hauzenberg 2015, 24 Seiten, 12 Euro, ISBN 978-3-931883-95-9