Der Schriftsteller als Arzt

Der Schriftsteller als Arzt

Bestsellerautor Petr Šabach tröstet die tschechische Seele

10. 6. 2015 - Text: Maria SilenyText und Foto: Maria Sileny

Er schreibt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, das heißt: im echten Prager Dialekt. Vor derben Ausdrücken scheut er nicht zurück. Eines seiner erfolgreichsten Bücher trägt den Titel „Hovno hoří“ („Scheiße brennt“). Petr Šabach, Jahrgang 1951, ist ein Urgewächs aus dem Prager Viertel Dejvice. Dort kann man ihn öfter sehen, in einer der einfachen Kneipen, in die sich niemals ein Tourist verirren würde, über einem Glas Bier oder einer Tasse Kaffee, stets im Gespräch mit anderen. Überhaupt Gespräche: Ob die selbst geführten oder irgendwo auf der Straße zufällig aufgeschnappten, sie sind Material für seine Texte. Oft notiert er Gesprächsfetzen auf Zettel, auf Bierdeckel, auf Rechnungen. Eigene Lebenserfahrung kommt hinzu, fertig ist das Gemisch, aus dem seine Bücher sind. Sie handeln schlicht vom Alltag, mit all seiner Frustration, Öde, aber auch unvorhersehbaren Wendungen. Und das so, dass Leser nach jedem zweiten Satz vor Lachen prusten oder zumindest vor sich hinlächeln müssen. Sie erkennen sich selbst darin. Alles halb so schlimm, lautet Šabachs Botschaft, das Leben ist eine Komödie.

Den Rhythmus finden
„Es bringt mich in Verlegenheit, wenn mich einer als Schriftsteller bezeichnet“, sagt Petr Šabach am Kneipentisch, und nimmt einen Schluck Bier. „Da denk’ ich mir dann immer: Ach so, verdammt, das hab’ ich vergessen.“ Dabei ist er einer der wenigen tschechischen Autoren, die vom Schreiben leben können. Literaturkritiker sehen in ihm einen zeitgenössischen Bohumil Hrabal, den Šabach übrigens persönlich kannte. Ja, anfangs sei Hrabal sein Vorbild gewesen, den Rhythmus seiner Sprache findet er schön. Doch bald sagte sich Petr Šabach: „Ich pfeif’ drauf, verdammt“, und fand seinen ganz eigenen Rhythmus. Seine 14 Titel sind Bestseller, fünf von ihnen wurden verfilmt. Zum Beispiel „Občanský průkaz“ („Der Personalausweis“), in dem jugendliche Helden dem Kommunismus trotzig widerstehen. Gleich auf Seite neun begehen Fünfzehnjährige eine regimewidrige Handlung: „An einem heißen Mainachmittag des Jahres neunzehn hundert sechs und sechzig fischten wir damals alle unsere funkelnagelneuen Personalausweise aus den Hosentaschen, die uns eine gewisse Frau Růžena Nádvorníková ausgestellt hatte und in denen eine Menge fast noch nasser runder Stempel war. Und unsicher, und manche von uns nur symbolisch, rissen wir die Seite dreizehn an. Mit diesem Akt wurden wir Mitglieder einer illegalen Gruppe, die das Regime ablehnte. Erst dann machten wir die Weinflaschen auf.“ Warum Seite dreizehn? Weil, das erfährt man einige Absätze vorher, bald der dreizehnte kommunistische Parteitag anstand.

Wo einst Dickens trank
Die Tschechen lieben ihren Šabach, 400.000 seiner Bücher besitzen sie bereits. Jetzt kommt ein neuer Titel dazu: „Rothschilds Flasche“. Das Buch beginnt mit einem verärgerten alten Mann, der sich nach Karl-Valentin-Art über die Unfähigkeit in einer Prager Behörde aufregt. Doch dann schmeißt Šabach die Handlung nach London, wie er sagt. Dort hat der alte Mann nämlich eine Mission zu erfüllen: Er, ein Rutengänger, soll die Enkelin seiner neuen Liebe aufspüren. Die junge Dame, ein Au-pair-Mädchen, hat aus Versehen eine Flasche astronomisch teuren Château Lafite-Rothschild ausgetrunken, die ihrem Arbeitgeber gehört hatte. Sie flieht, die Polizei sucht nach ihr.

Warum gerade London? Petr Šabach neigt den Kopf über den Holztisch: „Ich fühl’ mich verdammt gut in London“, sagt er. Einmal im Jahr fährt er hin und verbringt dort ein erholsames Bierwochenende. Er geht in Kneipen und redet mit Leuten. Er geht ins The George Inn, dort wo Charles Dickens seinerzeit zu Gast war. Er geht ins Tabard, wo die berühmten Canterbury Tales einmal erzählt wurden. Als er letztes Mal in London war, fing er an über die Geschichte nachzudenken, die eben in Prag frisch erschienen ist.

In der traditionellen Buchhandlung Fišer, nahe dem Altstädter Ring, drängen sich Šabachs Fans, die auf die Signierstunde des neuen Buchs warten. Endlich kommt der Schriftsteller. Er trägt, wie fast immer, Bluejeans, halblange Haare und Vollbart. Gut aufgelegt, zückt er seinen Stift. Manche der Wartenden haben nicht nur die Neuerscheinung in der Hand, aus ihren Ruck­säcken und Plastiktüten holen sie ihre ganze Šabach-Sammlung hervor, türmen die Bücher auf das Pult. In jedes von ihnen soll der Star-Autor seine Unterschrift malen. Šabach verlangt Kaffee. Ältere Herren, junge Frauen, Mütter mit Kindern stehen geduldig Schlange. Pavlina, 45 Jahre, will ihrem Mann Karel „Rothschilds Flasche“ zum Fünfzigsten schenken. Karel liest keine Bücher – mit Ausnahme von Šabach, erzählt sie während des Wartens.

Mit Worten heilen
In der Kneipe sagt Šabach, eine Gymnasial-Lehrerin habe ihm neulich für seine Bücher gedankt: „Dank Ihnen lesen meine Schüler zumindest etwas“, soll die strenge Dame gesagt haben. Zumindest etwas? Bei einer von Šabachs Lesungen meldete sich ein Psychiater zu Wort: „Sie sind ein Therapeut“, sagte er, „Ihre Bücher heilen Seelen“. „Nun ja“, meint Šabach, „ein guter Arzt heilt mit dem Wort.“ Manchmal helfe das mehr als Pillen: „Wenn ein Arzt sagt, es wird gut, geht es vielen Patienten gleich besser.“ Und dann erzählt er von einer Leserin, die nach überstandener OP im Krankenhausbett so sehr über seinem Buch lachen musste, dass ihr die Nähte geplatzt sind.

Ob der Schriftsteller, der keiner sein will, jetzt schon ein weiteres Buch plane? Aber ja, etwas Multikulturelles zur Adventszeit will er schreiben, über Weihnachten, Chanukka, Halloween … Über ungeschriebene Bücher mag er eigentlich nicht reden. Andererseits: Ein gestecktes Ziel vermindere die Müdigkeit. „Es erhöht aber auch den Verbrauch von Alkohol“, soll einmal Bohumil Hrabal dem weisen Satz hinzugefügt haben. Petr Šabach lacht in seinen Vollbart und bestellt ein zweites Bier.