Nicht nur für Fernseheulen

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Tschechische Klassiker auf DVD

19. 12. 2014 - Text: Peter Huch

Skurrile Detektiv-Parodie
Eine böhmische Baronin verliert unter mysteriösen Umständen ihren riesenhaften Hund. Sie engagiert niemand geringeren als den berühmten US-Detektiv Nick Carter (Michal Docolomanský), der den Auftrag und die Reise nach Prag gerne annimmt. Am Ziel angekommen, trifft er auf fleischfressende Pflanzen, die er in Handschellen zu legen versucht, und tobsüchtige Liliputaner. Carter gerät nicht nur an dunkle Machenschaften verrückter Wissenschaftler, sondern muss sich auch mit seltsamen böhmischen Gepflogenheiten befassen.

„Adele hat noch nicht genachtmahlt“ („Adéla ještě nevečeřela“) ist eine überdrehte Slapstick-Komödie, die Jules Vernes Erfindungsreichtum mit einem altertümlichen Prag kombiniert. Hinter ihrer Verwirklichung verbergen sich bedeutende Filmkoryphäen. Oldřich Lipský („Limonaden-Joe“) führte Regie. Luboš Fišer, der die schönsten Märchen-Klassiker vertonte, war für die Musik verantwortlich und Animationsspezialist Jan Švankmajer für die spektakuläre Tricktechnik. Die unpolitische Parodie auf Detektivfilme erinnert mit ihren skurrilen Einfällen an US-amerikanische Groschenromane. Präsentiert wird der Film ohne O-Ton, dafür in der legendären DEFA-Synchronfassung. 

Adele hat noch nicht genachtmahlt (1977), deutsche Fassung, Länge: 101 Minuten, Label Icestorm, Preis: circa 10 Euro

Dämonen der Vergangenheit
Vor gerade einmal drei Jahren erschien der Animationsfilm „Alois Nebel“, in Tschechien genießt er seitdem Kultstatus. Basierend auf der gleichnamigen Graphic Novel von Jaroslav Rudiš und Jaromír Švejdík erzählt er von einem eigenbrötlerischen Bahnwärter im polnisch-tschechischen Grenzgebiet. Alois Nebel arbeitet Ende der Achtziger als Fahrdienstleiter der Tschechoslowakischen Eisenbahn in Bílý Potok, einem kleinen Ort im früheren Sudetenland. Dunkle Visionen überdecken seinen Alltag: Er sieht Geister, die vom Zweiten Weltkrieg erzählen, von der Vertreibung der Deutschen und von der sowjetischen Besatzung. Nebel kann sich der Alpträume nicht erwehren und landet schließlich in einer psychiatrischen Anstalt. Dort lernt er einen geheimnisvollen Stummen kennen, der ihm bei der Bewältigung seiner Dämonen hilft.

Nicht nur als Comic begeisterte die melancholische Geschichte auf Anhieb Jung und Alt. „Alois Nebel“ wurde 2012 mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet, außerdem wurde er für einen Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ und„Bester animierter Film“ nominiert. Nun ist der Schwarz-Weiß-Film auch in Deutschland und Österreich auf DVD und Blu-ray erhältlich. 

Alois Nebel (2011), tschechisches Original mit deutschem Untertitel, Länge: 82 Minuten, Label Neue Visionen, Preis: 14,99 Euro

Irrsinn und Schauder
Das Label „Bildstörung“ versorgt das deutsche Publikum bereits seit einigen Jahren mit den eher unbekannten Meisterwerken des Kinos, darunter viele tschechische Klassiker. In diesem Jahr hat es einige in einer preisgünstigen Edition neu aufgelegt.

„Tausendschönchen“ („Sedmikrásky“) ist ein frivoler, lustiger und bunter Film. Marie und Marie (Ivana Karbanová, Jitka Cerhová) sind zwei junge Frauen, deren Leben nur aus Schabernack und Streichen besteht. In ihren Augen ist die Welt verdorben, also wollen sie es ihr gleichtun. Nach ihren irrwitzigen Attacken gegen das Establishment ist am Ende nicht einmal der Film selbst vor ihnen sicher. „Tausendschönchen“ ist eine Art Pippi-Langstrumpf-Abenteuer für Erwachsene. Die 2014 verstorbene Regisseurin Věra Chytilová drehte diesen alle Normen attackierenden Film 1966. Es gab in diesem Jahrzehnt wohl, trotz der tschechischen Neuen Welle, keinen anderen Film, der besser geeignet wäre, dem westlichen Zuschauer die Idee von einem grau-grauen Ostblock aus dem Kopf zu treiben. Ein quietschbuntes Vergnügen!

Der zwei Jahre später entstandene „Leichenverbrenner“ („Spalovač mrtvol“) von Regisseur Juraj Herz, geriet dagegen um einiges morbider. Rudolf Hrušínský spielt darin Karl Kopfkringl, einen buddhistischen Bestatter, der die Zeit der Machtergreifung Hitlers in der damaligen Tschechoslowakei als Chance auf einen Karrieresprung sieht. Seine vordergründige Normalität kippt in Wahnsinn um und schlussendlich schreckt er weder vor Mord noch Denunziation zurück. Die düster-expressionistische Gruselkomödie mit Zirkuselementen begeistert durch poetische Bilder.

Der Leichenverbrenner (1968), Tschechisch mit deutschen Untertiteln, Label Bildstörung, Länge: 96 Minuten, Preis: 10 Euro

Tausendschönchen (1966), Tschechisches Original mit deutschen Untertiteln, Label Bildstörung, Länge: 74 Minuten, Preis: 10 Euro

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