Zum Leben zu wenig

Zum Leben zu wenig

Tschechiens Rentner müssen mit rund 400 Euro im Monat auskommen. Oft reicht das nicht einmal für die Miete. Von der Politik der sozialdemokratischen Regierung haben Senioren bisher kaum profitiert

1. 7. 2015 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: APZ

Es gibt Wein und Kuchen, aber Ludmila Hiršlová ist nicht nach Feiern zumute. Einmal die Woche hat sie sich in den vergangenen Jahren mit ihren Freundinnen im Prager Seniorenzentrum Elpida zum Englischkurs getroffen. Gerade ist ihre letzte gemeinsame Stunde zu Ende gegangen. „Ich werde nach Krásná Lípa ziehen, das ist ganz nah an der deutschen Grenze“, sagt die 77-Jährige und schluckt. In Prag ist sie geboren und aufgewachsen, hier hat sie Tschechisch und Russisch unterrichtet und später eine Grundschule geleitet. Dann wurde das Mietshaus renoviert, in dem sie mit ihrem Mann lebte.

Plötzlich sollten sie 17.000 Kronen (etwa 620 Euro) im Monat für die Wohnung zahlen. Doch Hiršlová bekommt nur 11.000 Kronen Rente, ihr Mann ein bisschen mehr. „Wir mussten sehr schnell ausziehen und sind erst einmal bei Bekannten untergekommen“, erzählt die Lehrerin im Ruhestand. Sie trifft sich gern mit ehemaligen Schülern, zu denen sie gute Kontakte hat, liebt das Leben in der Hauptstadt. „Dort gibt es bestimmt herrliche Natur, aber zuhause bin ich hier“, sagt sie über Krásná Lípa, 130 Kilometer nördlich von Prag im Schluckenauer Zipfel gelegen. Vor allem aber gibt es dort bezahlbare Wohnungen für Senioren. „Wir haben etwas für 5.000 Kronen gefunden – das war in Prag nicht möglich.“

Hiršlová ist kein Einzelfall. In Tschechien bekommen derzeit knapp 2,4 Millionen Menschen Altersrente. Das sind 22,5 Prozent der Bevölkerung. Durchschnittlich beziehen sie umgerechnet rund 400 Euro im Monat, etwa so viel wie die ehemalige Grundschuldirektorin. Acht Prozent der Rentner müssen mit weniger als 295 Euro im Monat haushalten, sagt Zdeněk Pernes, Vorsitzender des Tschechischen Seniorenrates. Doch selbst wenn die Bezüge knapp über dem Mittelwert liegen, müssen viele im Alter Abstriche machen.

„Ich spare meistens an der Kultur“, erzählt Marie, die ihren Nachnamen nicht verraten möchte. Auch sie ist 77 und besucht einen Englischkurs, „um geistig fit zu bleiben“, wie sie sagt. „Die Zeitung kaufe ich mir nur noch einmal die Woche, ins Theater gehe ich vier Mal im Jahr und ins Kino gar nicht.“ Ihr ganzes Leben hat sie in der Wissenschaft gearbeitet, 40 Jahre lang Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Auch ihre Tischnachbarin kommt nicht mit dem aus, was der Staat ihr monatlich überweist. „Ich arbeite noch für eine Firma, damit ich mir zum Beispiel diesen Kurs leisten kann.“ 150 Kronen bezahlen die Senioren für 90 Minuten – einige müssen da schon rechnen, ob sie sich das leisten können. Warum ihnen nun so wenig übrig bleibt – die Frauen zucken mit den Schultern. „Gerecht ist das nicht.“ Dass die Regierung ihnen im Dezember einmalig 600 Kronen zahlen will, sei zwar schön. Große Sprünge können sie mit umgerechnet 22 Euro aber nicht machen. „Im Parlament hat jemand gesagt, wir Senioren können sparen. Das ist doch Blödsinn.“

Seit die Sozialdemokraten mitregieren, habe sich die Lage zwar gebessert, meint Pernes. Im Alltag haben die Rentner davon aber bisher kaum etwas gemerkt. Im kommenden Jahr sollen die Bezüge der Senioren um durchschnittlich 100 Kronen (knapp vier Euro) steigen. Die für Arbeit und Soziales zuständige Ministerin Michaela Marksová (ČSSD) kündigte Mitte Juni außerdem Änderungen für die Senioren mit den geringsten Renten an. Sie sollten künftig 3.410 Kronen im Monat erhalten – den Betrag, der hierzulande dem Existenzminimum entspricht. Bisher haben alle Rentner Anspruch auf einen Festbetrag, der bei 2.400 Kronen liegt – unabhängig davon, was und wie lange sie gearbeitet haben.

Die Behörden ermitteln nun, wie viele Menschen derzeit die niedrigste Rente beziehen und welche zusätzlichen Sozialleistungen sie bekommen. Erste Ergebnisse sollen noch in diesem Sommer vorgelegt werden. Dann soll auch feststehen, was die geplante Erhöhung kosten würde. Für die Empfänger würde sie einem Anstieg von umgerechnet 88 auf 125 Euro im Monat entsprechen – theoretisch. Denn tatsächlich bezieht bisher kaum jemand nur den Festbetrag. Die niedrigsten Renten lägen bei 3.170 Kronen, rechnet Pernes vor. So oder so könne von diesen Summen niemand leben. Allein um den Grundbedarf – das heißt zum Beispiel Wohnen, Essen und Kleidung – zu decken, bräuchten ältere Menschen hierzulande 8.300 Kronen (etwa 300 Euro) im Monat, so der Vorsitzende des Seniorenrates. Vielen bleibt also, vor allem wenn sie keine eigenen Immobilien besitzen, nichts anderes übrig, als sich etwas dazuzuverdienen oder – wie im Falle von Ludmila Hiršlová – umzuziehen.