Wo ist die Party?

Wo ist die Party?

Es ist Sommer. Trotzdem sind in vielen Prager Straßen die Bürgersteige hochgeklappt, besonders am Abend. Hohe Gebühren und der streng kontrollierte Zapfenstreich um 22 Uhr machen Kneipenbesitzern zu schaffen. Aber es gibt Hoffnung

31. 7. 2013 - Text: Nancy WaldmannText: Nancy Waldmann; Foto: APZ

Eine Riesenparty – so beschrieb der Künstler David Černý einmal die frühen neunziger Jahre in Prag. Aber wenn man an den nur langsam kühler werdenden Sommerabenden durch die Straßen der Stadt läuft, hat man in vielen Gegenden das Gefühl, man ist zu spät dran. Selbst in Ausgehvierteln wie Vinohrady oder Holešovice kann man länger geöffnete Biergärten an einer Hand abzählen. Die größeren und schickeren Restaurants bauen hier zwar Straßenterrassen auf, aber im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen – beispielsweise Berlin oder Kopenhagen – wo Karaoke und Trommeln zum Sound eines öffentlichen Parks gehören, wo der Sonnenuntergang bei einem Bier auf der Brücke begrüßt wird, wo man vor vollbesetzten Cafés und Kneipen kaum die Bürgersteige passieren kann – da wirken sie in Prag wie hochgeklappt.

Die atemberaubenden Häuserfassaden in der Abendsonne – eine weitgehend unbespielte Kulisse. Das Erbe der Partystadt der neunziger Jahre, findet man allenfalls noch in Prag 1, mehr oder weniger als touristisches Biertrink- und Knödelmuseum, oft genug überteuert. Spätestens um zehn Uhr abends aber ist Zapfenstreich und der öffentliche Raum der Hauptstadt wie abgeschaltet. Fast nirgendwo wird er wohl so streng von der Polizei kontrolliert. Anderswo wird darüber gestritten, wem die Stadt gehört und auf Konflikte mit den Nachbarn lässt man es ankommen – in Prag aber bestimmen diejenigen den öffentlichen Raum, die ihre Ruhe haben wollen.

Biergärten in Parks gewinnen
Vielen Restaurant- und Barbetreibern stinkt das schon lange. Zum Beispiel Claudia Gutejová von dem gut gehenden böhmischen Restaurant „Euforie“. 25 Personen können in dem umzäunten Biergärtchen in der Veletržní-Straße sitzen. Bis Punkt 22 Uhr, auch am Wochenende, andernfalls drohten 500.000 Kronen Strafe, sagt Gutejová. Mit der Lage in der Letná-Gegend, die sich in den letzten Jahren zu einem Szeneviertel gemausert hat, wäre für das „Euforie“ mehr drin. Nicht selten müssen Gastronomen hier am Abend ihre Gäste mitten im Plausch unterbrechen und hineinbitten. Das „Euforie“ hätte seinen Straßenbereich gern länger geöffnet. „Wir hatten mal eine Genehmigung bis 23 Uhr“, sagt Gutejová. Das machte sich bezahlt, trotz der höheren Gebühren. Aber inzwischen mache die Stadt keine Ausnahmen mehr.

Ähnliches beklagt man um die Ecke bei der Pizzeria „Riccardo“, Milady Horákové 63, Biergarten mit 40 Plätzen. Pavel, ein Stammgast, wohnt nebenan und liebt sein „Riccardo“. Mit den Nachbarn gebe es hier überhaupt keine Probleme, sagen die Wirtsleute. Auch ohne Beschwerden über Ruhestörungen kontrolliert die Polizei penibel die Einhaltung der Nachtruhe. Wer danach noch draußen sitzen will, dem bleibt nur der große Biergarten im Letná-Park.

Das gleiche Bild in Vinohrady, ein Viertel mit verhältnismäßig vielen Straßenterrassen. Wenn um 22 Uhr die Lokale ihre Stühle reingestellt haben, wird es im Biergarten des Rieger-Parks (Riegrovy sady) voll und laut.

In Žižkov liegt der Biergarten an der unbebauten Seite der Kreuzung Ohrada, am unteren Ende des Vítkov. Auch in der Woche um Mitternacht ist er noch gut besucht, es läuft Musik. An Ausgehwilligen mangelt es nicht in Prag. Gerade das alte Arbeiterviertel bietet schöne Ecken zum Verweilen, ein punkiges Flair und günstige kleine Kneipen. Für diese aber sind die Gebühren für die Nutzung öffentlicher Gehsteige zu teuer. „Wir haben überlegt, aber das würde uns mindestens 30.000 Kronen im Monat kosten“, winkt Irena Pávličková, Kellnerin im „Pohádka“, ab. Das Lokal mit Mittagstisch liegt im Souterrain und damit ganzjährig abgeschottet vom Tageslicht. Dabei wäre die Lage am grünen und ruhigen Náměstí Barikád ideal und der Gehsteig breit genug, um im Sommer draußen einige Tische aufzustellen. Eine Bushaltestelle weiter findet man die nächste Straßenterrasse. Obwohl an der viel befahrenen Koněvova gelegen, ist sie meist voll besetzt. Dennoch, glaubt Pávličková, ein Straßenbereich würde sich nicht rentieren.

Wenn Gastronomen ihren Betrieb in der warmen Jahreszeit nach draußen verlegen wollen, zahlen sie eine Art Miete oder Nutzungsgebühr für den öffentlichen Raum an die jeweilige Bezirksverwaltung. Prag 3 verlangt zehn Kronen pro Tag und Quadratmeter. Im Vergleich zu anderen Stadtteilen ist das günstig. Je näher an der Innenstadt, desto höher die Gebühren. In Prag zahlen Restaurantbetreiber 20 bis 60 Kronen pro Quadratmeter und Tag, je nachdem, wie belebt die Straße eingestuft wird. Entsprechend mehr zahlt in der Regel auch der Gast.
Ort zum Leben: die „Straße“

„Diese Mieten sind in Prag deutlich höher als in Städten wie Wien oder Berlin“, sagt Martin Kontra, Mitbetreiber des „Bajkazyl“, einer Kombination aus Fahrradwerkstatt, Open-Air-Bar und Konzertort. Kontra muss es wissen. Er gehört zu einer Gruppe Aktivisten, die glauben, dass „die Straße der beste Ort zum Leben“ sei und die angetreten sind, dies auch in Prag unter Beweis zu stellen. Kontra ist natürlich international vernetzt, Links auf seiner Website verweisen zu ähnlichen Projekten in anderen europäischen Städten. Vor drei Jahren mietete er einen Keller am Rašín-Ufer (Rašínovo nábřeží), in er eine Fahrradwerkstatt und Verleihstelle einrichtete. Die eigentliche Bühne ist die „Náplavka“, die Uferpromenade, eine Bar, Tische, Stühle und fast jeden Abend Live-Konzerte. Das „Bajkazyl“ ist momentan einer der angesagtesten Orte in Prag, eine Insel des Street life.

„Wir konnten das Ganze nur machen, weil wir als Projekt starteten und Geld von der Vodafone-Stiftung bekommen haben“, sagt Kontra. „Anders hätten wir die fatal hohe Miete gar nicht zahlen können.“ Seine Kollegen mit einem Lokal auf der Prager Kleinseite könnten sich erst gar keinen Außenbereich leisten. Aber Kontra ist optimistisch, die Situation bessere sich gerade deutlich. Früher sei die „Náplavka“ in den Händen einer korrupten Firma gewesen, die mit der alten Regierung im Rathaus zusammenhing. Die neue Stadtregierung sei gegenüber Orten wie dem „Bajkazyl“ sehr aufgeschlossen. „Das perfekte Public-Space-Projekt“, fand das Rathaus. Obwohl in Prag 2 gelegen, wo die Nutzungsgebühren hoch sind, zahlt man durch eine spezielle Abmachung nur noch 10 Kronen pro Tag und Quadratmeter. Im letzten Jahr waren es noch 25 Kronen. Stark profitiert das „Bajkazyl“ von der Lage am Ufer. Es ist zwar inoffiziell, aber den Zapfenstreich könne man hier bis Mitternacht ausdehnen. Solange man es nicht zu wild treibe, so Kontra. „Dafür sind wir komplett vom Wetter abhängig.“ Aber so ist das Leben auf der Straße. Wer dachte, zu spät dran zu sein, den rettet die „Náplavka“.