Wo Herrscher Geschäfte machten

Wo Herrscher Geschäfte machten

Jan Sedláček hat ein ungewöhnliches Hobby: Er sammelt historische Nachttöpfe und Toiletten. Mehr als 2.000 Exponate zeigt er in seinem Prager Museum

25. 9. 2014 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton

Was haben Napoleon Bonaparte, Abraham Lincoln und die Passagiere der Titanic gemeinsam? Die  Frage führt zu Jan Sedláček. Der 59-Jährige ist Bauingenieur und Jurist, außerdem hat er Soziologie studiert. Alles drei hängt ein wenig mit der Antwort zusammen. Vor allem aber hat Sedláček eine Leidenschaft: Er sammelt historische Toiletten und Nachttöpfe. Etwa 2.000 Exemplare hat er in den vergangenen zehn Jahren zusammengetragen, seit Januar zeigt er sie in seinem eigenen Museum unterhalb der Festung Vyšehrad in der Prager Neustadt.

„Das Thema ist noch immer tabuisiert“, sagt der Toilettensammler, bevor er durch seine Ausstellung führt. Er selbst beschäftigt sich seit 2003 mit der Geschichte des Aborts. Damals rekonstruierte er die Festung Třebotov in der Nähe von Prag. Er wollte so viele architektonische Details des Kulturdenkmals erhalten wie möglich und entdeckte unter anderem die Überreste einer steinernen Toilette, die wohl schon im Mittelalter genutzt wurde, sowie eine Vorrichtung aus der Barockzeit, die dem selben Zweck diente. Die beiden Fundstücke weckten die Neugierde des Ingenieurs. Er begann, alles zu sammeln, was er zum Thema aufstöbern konnte. Fachliteratur oder schriftliche historische Quellen zu finden, gestaltete sich jedoch als äußerst schwierig. „Es gibt Untersuchungen über die Geschichte der Seife, der Prostitution oder des Haareschneidens, aber kaum etwas über menschliche Exkremente“, sagt Sedláček. Er suchte in religiösen Schriften – Fehlanzeige, in griechischen Gedichten – dort fand er Hinweise darauf, dass Nachttöpfe 2.000 Jahre vor Christus die Form eines Schiffes hatten – und in Gesetzestexten. „Erst 1848 wurde in Großbritannien ein Gesetz über die öffentliche Gesundheit erlassen, mit dem versucht wurde, den Umgang mit Exkrementen zu regeln.“

Gleichzeitig begann der Prager damit, Toiletten und Nachttöpfe aus aller Welt zu sammeln. Meist erwirbt er sie auf Auktionen, was nicht ganz billig ist. Von seiner Familie bekommt er deswegen zu Weihnachten oder zum Geburtstag schon mal einen historischen Nachttopf geschenkt. „Mittlerweile ist es ein Hobby für die ganze Familie geworden“, erzählt der WC-Experte. Frau und Tochter helfen bei der Gestaltung der Ausstellung mit, der Sohn sitzt gerade an der Museumskasse, als der Vater durch die Exponate führt und eine asiatische Touristin den Raum betritt. In gebrochenem Englisch fragt sie nach einer Toilette, sichtlich überrascht vom Anblick der Porzellan-Nachttöpfe in den Regalen. Die Frau will nichts über die Geschichte des Water Closets wissen, das 1596 in London für Königin Elisabeth I. konstruiert wurde, wie auf einer Wandtafel im Museum zu lesen ist. Die Touristin muss offensichtlich mal. Doch Sedláčeks Sohn schüttelt den Kopf. „Ein öffentliches WC haben wir nicht.“

Suppe aus dem Nachttopf
Zumindest keines, das in Gebrauch ist, müsste man hinzufügen. Denn wer das Museum betritt, steht vor der Replik eines steinernen Brückenklos. Das Original war im 17. Jahrhundert in Frankreich im Einsatz. Wer auf der Brücke ein dringendes Bedürfnis verspürte, konnte es nutzen. Eine Tür hatte es nicht. „Die Menschen waren damals nicht so“, erklärt der Sammler. Die Frauen hätten außerdem ja lange Kleider gehabt, so wäre ohnehin nichts zu sehen gewesen.

Ebenfalls im Erdgeschoss befindet sich ein Nachttopf, auf den Sedláček besonders stolz ist: Er wurde vor dem Jahr 1815 für Napoleon in Auftrag gegeben, aus Porzellan angefertigt und mit Lorbeerblatt-Mustern aufwendig verziert. Doch als er fertig war, war der Kaiser schon geschlagen, der Nachttopf erreichte ihn nie. Zur Auswahl der kostbarsten Exemplare gehören für Sedláček außerdem ein Nachttopf, der im Schlafzimmer des US-Präsidenten Abraham Lincoln stand und wahrscheinlich auch genutzt wurde, sowie ein Nachttopf, der für die Titanic gefertigt und dann doch nicht mit an Bord genommen wurde. Die Liste der besonders edel gestalteten Nachttöpfe und Toiletten ließe sich fortführen mit reich verzierten Exemplaren aus China, einem mit integrierter Spieluhr aus Großbritannien oder einem mit Nägeln umrandeten „Nachttopf für Fakire“. Oft ist es für den ungeübten Besucher schwierig, einen bemalten Nachttopf aus Porzellan von einem Tischservice für Feiertagsessen zu unterscheiden. „Daraus haben wir bisher immer unsere Suppe gegessen“, hört Sedláček daher gelegentlich Besucher sagen. Sein geschultes Auge dagegen erkenne den Nachttopf sofort, erklärte der Sammler: An der Wölbung, der Kante, dem Muster. Auch für den Laien deutlich zu erkennen ist dagegen, dass sich aus dem Nachttopf meist auch auf das Vermögen seines Besitzers schließen lässt.

Ähnliches gilt für die Sammlung historischer Toiletten, die die Entwicklung vom einfachen Loch im Boden über das umfunktionierte Nachtkästchen bis zum WC dokumentiert. Dazu zeigen Fotos das WC, auf dem amerikanische Astronauten am Cape Canaveral für ihren Einsatz im All trainieren. In der Schwerelosigkeit sei der Gang zur Toilette eine Herausforderung, meint der Ingenieur. Aber auch auf der Erde sei der richtige Umgang mit Exkrementen bis heute nicht gefunden. In den ärmeren Regionen dieser Welt fehle es an Toiletten und Kanalisation, beklagt Sedláček. In den reicheren gebe es neue Probleme, etwa mit chemischen Stoffen aus Medikamenten, die in herkömmlichen Kläranlagen nicht gefiltert werden können und so über die Toiletten ins Grundwasser gelangen.

Sedláček will sich weiterhin dafür einsetzen, das Thema zu enttabuisieren, wie er sagt. Sein Museum in der Prager Neustadt kann er bei Gelegenheit erweitern, die Räumlichkeiten dazu besitzt er schon. Außerdem hat er anlässlich des Welttoilettentags am 19. November gerade zum zweiten Mal einen Wettbewerb ausgeschrieben. Die Teilnehmer sind aufgefordert, Geschichten und Fotos einzureichen, die sich thematisch auf die Ausstellung beziehen. Die Beiträge sollten lustig sein – und so jugendfrei, dass sie vor 22 Uhr im Fernsehen gezeigt werden können.

Museum historischer Toiletten und Nachttöpfe, Vyšehradská 12, Prag 2, geöffnet: täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 150 CZK (ermäßigt 100 CZK), www.museum-toilet.com