Wo die Prinzessin zu Haaren kommt

Wo die Prinzessin zu Haaren kommt

Marionetten sind im Zentrum in fast jedem Souvenirladen zu finden. Zu Besuch in einer Werkstatt

17. 11. 2015 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton

In einer Schachtel liegen die Holzfüße bereit, auf dem Tisch stehen die Lederschuhe. In Rot für den Clown, in Schwarz für die Damen. Allesamt etwa zwei bis zehn Zentimeter lang. Welche Schuhgröße die Prinzessin dort hinten hat? Lucie Kuklíková lacht. „Nein, verschiedene Nummern haben wir nicht. Aber für jeden Fuß gibt es einen passenden Schuh.“ Die 26-Jährige führt durch die Werkstatt ihres Vaters unterhalb des Vyšehrad. Bis zu 400 Marionetten werden dort pro Woche gebaut, eingekleidet und frisiert, bevor sie an Touristen verkauft oder in Länder wie die USA, Frankreich und Großbritannien exportiert werden.

„So groß wie sie war ich auch einmal“, sagt Kuklíková und zeigt eine Hexe, die es auf etwa 70 Zentimeter bringt – die toupierten Haare nicht mitgerechnet. Die Pragerin ist mit den Marionetten ihres Vaters aufgewachsen. Er begann, seine ersten beweglichen Puppen zu entwerfen, kurz nachdem sie zur Welt kam. Vor 24 Jahren machte er sich selbstständig. Nun arbeitet auch die Tochter im Atelier, zu fünft malen und schrauben sie dort an den Marionetten. Außerdem helfen etwa zehn Externe, die in Heimarbeit an den Piratenkörpern und Königskleidern basteln.

In der Werkstatt werden keine Einzelstücke gefertigt. Wenn Vater Richard Kuklík einen Prototyp entwirft, dient er als Vorlage für eine Serie von etwa 40 bis 100 Puppen. Für Lucie hat trotzdem jede Marionette ihren eigenen Charakter. „Es ist schön, wenn in den eigenen Händen etwas entsteht“, sagt die Puppen­macherin. Auf ihrem Arbeitsplatz steht gerade ein Kopf neben dem anderen. Zu ihren Aufgaben gehört es, ihnen mit Pinsel und Acrylfarbe Mund und Augen zu verleihen. Anschließend reicht sie die Köpfe an den Nebentisch weiter, wo sie mit Haaren versehen werden. Wolle oder Hanf sind nur zwei von vielen Materialien, die dabei zum Einsatz kommen.

Etwa 50 Modelle haben die Kuklíks im Angebot, die Preise für die handgefertigten Mario­netten liegen bei etwa 750 bis über 4.000 Kronen (etwa 30 bis 150 Euro). Gekauft werden sie vor allem von Amateur-Puppen­spielern und Sammlern aus dem Ausland und von Touristen. Man könne davon leben, sagt Kuklíková. „Aber so wie es in den neunziger Jahren war, wird es nicht mehr.“ Als nach dem Fall des Eisernen Vorhangs viele Touristen aus dem Westen nach Prag kamen, kauften die meisten auch Souvenirs. Marionetten, die an Märchengestalten erinnerten, waren dafür gut geeignet, sie galten als typisch tschechisch. „Heute ist der materielle Wert den Leuten nicht mehr so wichtig. Sie schauen sich die Puppen lieber im Theater an, als sie mit nach Hause zu nehmen.“

Sinkende Nachfrage
In der Branche gehe es eher abwärts als aufwärts, meint Kuklíková, aus der Mode gekommen seien Marionetten aber nicht. „Wenn Kunden unseren Laden betreten, interessieren sie sich oft mehr für das Drum­herum. Sie wollen wissen, wie die Puppen gemacht werden, wer als Vorlage diente, welche Geschichte dahintersteckt.“ Darin sieht die 26-Jährige Potenzial. „Man könnte zum Beispiel Workshops veranstalten, in denen die Menschen ihre eigenen Marionetten herstellen. Das würde vielleicht funktionieren.“ Noch sind das aber nur Ideen.

Mehr Zeit für neue Pläne haben die Puppenmacher ohnehin erst wieder nach Weihnachten. Von August bis Dezember ist Hochsaison, auch wenn sich die Mario­netten nicht als Geschenk für Kinder eignen. „Wir verkaufen sie nicht als Spielzeug. Etwas anderes ist es, wenn die Eltern mit den Marionetten für ihre Kinder spielen“, sagt Kuklíková, die zwar das Handwerk von ihrem Vater gelernt hat, aber selbst keine Puppenspielerin ist.

Ein paar Lieblingsmarionetten hat sie allerdings schon. Die Hexe, der sie als Kind auf Augenhöhe gegenüberstand, gehört ebenso dazu wie der grüne Wassermann mit roten Schuhen, Frack und Wasserpfeife, der ihren Worten zufolge alles hat, was ein typisch tschechischer Wassermann haben muss. Bei den Kunden kommt der allerdings weniger gut an als sein deutlich schlankerer Mitstreiter, der im Atelier gleich daneben hängt: „Der Pirat wird am häufigsten verkauft“, so Kuklíková. Das könnte auch daran liegen, dass er mit seinen langen braunen Haaren und dem Tuch um die Stirn ein wenig an Johnny Depp in „Fluch der Karibik“ erinnert.