Wo alles einen Käufer findet

Wo alles einen Käufer findet

Auf dem Flohmarkt Kolbenova werden Stahlhelme und Schaukelpferde verkauft. Angeblich ist er der größte in Europa

1. 7. 2015 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton

 

Ein Kupferstich der Stadt Pforzheim steht zwischen Stahlhelmen der Tschechoslowakischen Armee. Daneben wird deutsches Markenklopapier angeboten und ein Kühlschrank von AEG. Ein Teller mit Hitler-Porträt und der Aufschrift „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ liegt zwischen Wildschweinfellen und eingewecktem Obst. Es gibt fast nichts Absurdes, was es auf dem Flohmarkt Kolbenova nicht gibt. Mit 50.000 Quadratmetern ist er der größte der Stadt und auch einer der größten Europas – behaupten jedenfalls die Betreiber. Jedes Wochenende werden im neunten Prager Bezirk Kleidung und Lebensmittel, Blumen, Anti­quitäten und allerlei Kitsch angeboten. Für 20 Kronen Eintritt kann man sich von sieben Uhr bis halb zwei sattsehen an Kuriosem, Kunst und Krempel – und dabei Schnäppchen und wahre Schätze entdecken.

Nach letzteren ist eine Besucherin mit Sonnenbrille und rot lackierten Fußnägeln auf der Suche. An einem Tisch mit Stoffresten bleibt sie stehen. Die junge Frau greift nach etwas Weißem, was aussieht, als könnte ihre Oma damit den sonntäglichen Kaffeetisch decken. „How much?“, fragt sie auf Englisch nach dem Preis. „Hundert“, antwortet der Verkäufer auf Deutsch. „Fifty?“, hakt die Kundin nach. „Hundert“, wiederholt der alte Mann. „Hundert, no Schrott, nix kaputt. Hundert.“ Die junge Frau geht freundlich lächelnd weiter, zögert. Auch am Stand nebenan liegen Fetzen, Deckchen und Vorhänge. Dann dreht sie sich noch einmal um, kramt nach ihrem Geldbeutel und reicht einen grünen Schein über den Tisch mit den gehäkelten Spitzen.

Kunst und Krempel
„Ich werde den Stoff für eine Installation verwenden“, verrät die Käuferin beim Einpacken. Sie heißt Maryam und ist Künstlerin. Nach Prag ist die Iranerin aus Chicago für eine Studienreise gekommen. „Es gibt schon viel Müll hier“, sagt sie über den Markt, aber er sei ihr empfohlen worden. Und allein wegen des Fundes gerade eben habe sich der Besuch gelohnt. In den nächsten Tagen werde er bei einer Gruppenarbeit an der Akademie der musischen Künste zu sehen sein, meint sie noch, bevor sie zwischen Kuchenformen aus Gusseisen, Katzen­klos und Pendeluhren im Gewühl der Menge verschwindet.

Am Stand nebenan gibt es ein Waffeleisen und Telefone mit Wählscheiben, dazu Bücher und Radios. Aus einem davon singt Miley Cyrus aus voller Kehle „I came in like a rainbow“. Die Stimme des Verkäufers durchdringt die Popmusik kaum. „Sie ist sehr dekorativ, wunderbar gearbeitet, Erste Republik“, sagt er zu einem Kunden, der kritisch eine Mohnmühle begutachtet. Er nickt anerkennend, über den Preis sind sich beide einig: 500 Kronen kostet das Stück. „Vielen Dank für die Zusammenarbeit. Und geben sie ihr einen Ehrenplatz“, ruft der Rentner an der Kasse dem neuen Besitzer noch nach. Aber der schüttelt den Kopf: „Das nicht. Ich stelle sie in den Küchenschrank.“

Sperrmüll aus Deutschland
Seit zehn Jahren komme er jede Woche auf den Markt, erzählt der Verkäufer, ein Hobby-Sammler aus Prag. Porzellan und Elektronik sind seine Spezialitäten, aber er mag schon immer alles, was alt ist. „Die Mohnmühle war aus dem Jahr 1925“, erklärt er ein wenig stolz, ein wenig wehmütig. Ob er an manchen Gegenständen besonders hänge? „Eigentlich sind das alles unsere Lieblingsstücke“, schaltet sich seine Frau ins Gespräch ein. „Manchmal zerreißt es mir das Herz, wenn wir etwas verkaufen. Aber wissen Sie, wir haben eine kleine Wohnung – und eine kleine Rente.“ Dann reicht sie ein Buch über den Verkaufstisch. „Robinson Crusoe“ auf Deutsch, erschienen in Leipzig vor sehr langer Zeit – eine genaue Jahreszahl fehlt. „Wir haben es bei meiner Oma auf dem Dachboden gefunden, als sie vor 20 Jahren gestorben ist. Sie konnte nämlich noch Deutsch.“

Auch viele der gebrauchten Möbel und Elektrogeräte auf dem Markt seien aus Deutschland, behauptet ein paar Schritte weiter ein anderer Verkäufer. Einige Händler würden über die Grenze fahren, wenn die Menschen dort ihren Sperrmüll zur Abholung auf die Straße stellen, und die Waren dann hier zu Geld machen. Er selbst verkauft heute Cowboyhüte aus Asien, einen davon lässt der Wind gerade durch die Luft fliegen. Dazu schallt Countrymusik aus einem tragbaren Radio. Ein batterie­betriebenes Spielzeugauto fährt unermüdlich auf einem Spiegel im Kreis. Seit fast zehn Jahren komme er her, erzählt der Händler. „Die Geschäfte gehen immer schlechter.“ Die Preise für den Stand seien gestiegen, die große Konkurrenz drücke die Einnahmen nach unten. „Aus wirtschaftlichen Gründen“ habe er seine Wohnung verkaufen und aufs Land ziehen müssen, sagt der 69-Jährige, der bis vor einem Jahr in Prag lebte. „Die Rente reicht einfach nicht“, deswegen verdient er sich am Wochenende etwas dazu. Auch wenn er mit dem Ergebnis heute nicht zufrieden ist – Spaß macht ihm das Geschäft trotzdem. „Man kennt die Kunden hier, man unterhält sich, auch wenn sie mal nichts kaufen.“

Gute Geschäfte
Zu den Stammgästen auf dem Flohmarkt zählt eine Mittvierzigerin aus Neratovice, etwa 20 Kilometer nördlich von Prag. „Meistens kaufe ich Blechkannen oder Blumen für den Garten“, verrät sie, „aber heute haben wir zwei Bilder genommen“. Ihr Sohn trinkt von seiner gekühlten Kofola und sieht sich gelangweilt um. Die Mutter dagegen ist begeistert vom bunten Treiben. Aus der Einkaufstüte zieht sie eines der Bilder – eine alte Karte, schwer zu erkennen, was eigentlich abgebildet ist. „Das weiß ich jetzt auch nicht so genau, aber es hat mir gefallen.“ Das zweite entspricht weniger ihrem Geschmack, eine kitschige Alpenlandschaft ist darauf zu sehen. „Aber der Rahmen ist toll, daraus werde ich etwas machen.“

Andere kommen als Kunden und Verkäufer zugleich – so etwa Miloslava Vilinová und ihre Kollegin. Sie haben eine Gärtnerei in Budyně nad Ohří, etwa 50 Kilometer nordwestlich von Prag. In der Hauptstadt bieten sie Balkonblumen und Kräuter an, heute steht Wasabi und rotes Basilikum auf dem Tisch. „Auf dem Dorf haben wir es nicht so einfach. Wenn wir Pflanzen verkaufen wollen, müssen wir zu den Leuten fahren“, sagt Vilinová. Jeden Tag bauen sie derzeit ihren Stand auf einem anderen Markt in der Umgebung auf. Auf dem „Kolbenova“ gehen sie aber auch selbst auf Schnäppchenjagd. Gerade haben sie eine Handvoll Lesebrillen für zehn Kronen pro Stück ergattert. „Das sind keine schlechten Waren“, meinen die Frauen. „Ein Hundekäfig kostet 1.000 Kronen. Da drüben gibt es ihn für 500 – ist das nicht ein gutes Geschäft?“ Über die gebrauchten Gegenstände, die oft von besserer Qualität seien als neue, haben die Gärtnerinnen ihre eigene Theorie entwickelt. Die meisten Dinge könnten ewig „leben“, sagen sie, nur müssten sie immer wieder ihren Besitzer wechseln. „Bei uns sagt man: Alles findet seinen Käufer. Ich glaube, der Satz trifft hier zu.“

Bleší trhy Kolbenova. Prag 9 (Vysočany), gegenüber der gleichnamigen U-Bahn-Station, Samstag und Sonntag, geöffnet:
7 bis 13.30 Uhr, Eintritt: 20 CZK