„Wir werden die Narbe noch lange spüren“

„Wir werden die Narbe noch lange spüren“

Frankreichs Botschafter in Prag Jean-Pierre Asvazadourian über die Konsequenzen der Attentate von Paris

14. 1. 2015 - Text: Stefan Welzel

Die Terrorattacken in der französischen Hauptstadt hinterlassen weltweit Spuren. Auch in Prag bekundeten mehrere Hundert Trauernde ihre Sympathie und Solidarität mit Frankreich. Vor der französischen Botschaft hielten am vergangenen Donnerstag und Samstag Exilfranzosen und Tschechen gemeinsam jeweils eine mehrstündige Gedenkversammlung ab, bei der zahlreiche „Je suis Charlie“-Schilder stumm in die Höhe gehalten wurden.

Mittendrin stand auch Jean-Pierre Asvazadourian, seit Herbst 2013 Leiter der französischen Vertretung in Tschechien. Der 53-jährige Botschafter gab sich volksnah und nahm tröstende und aufmunternde Worte zahlreicher Teilnehmer entgegen. Am Montag empfing er im Palais Buquoy Premierminister Bohuslav Sobotka (ČSSD), der sich, wie zahlreiche tschechische Bürger vor ihm, ins Kondolenzbuch eintrug. PZ-Redakteur Stefan Welzel sprach mit Asvazadourian über die große Anteilnahme der Tschechen, die Gefahren einer drohenden Vereinfachung der Terror-Problematik und die Narben, die Frankreich nach den Anschlägen davontragen wird.

In der vergangenen Woche fanden vor der französischen Vertretung in Prag Solidaritätskundgebungen statt. Wie haben Sie diese Versammlungen erlebt?

Asvazadourian:
Es war eine sehr spontane Aktion der Solidarität mit Frankreich und den Franzosen. Dabei brachten offizielle Stellen der Tschechischen Republik und zahlreiche Institutionen genauso wie normale Bürger ihre Anteilnahme und Unterstützung zum Ausdruck. Sie brachten viele Blumen, Kerzen und Kondolenzkarten mit. Diese spontane Reaktion der Tschechen auf die Attentate in Paris hat mich tief berührt. Es wurden Werte angegriffen und bedroht, die Frankreich innerhalb der EU auch mit Tschechien teilt. Und die Tschechen haben mit diesen Versammlungen vor der Botschaft deutlich ihren Willen kundgetan, diese Werte zu verteidigen. Insgesamt kamen an den beiden Tagen rund 600 bis 700 Menschen.

Am Montag kam Premierminister Sobotka zu Besuch und kondolierte. Dabei wurde auch über Sicherheitsaspekte gesprochen. Worüber haben Sie sich sonst noch unterhalten?

Asvazadourian: Zuerst habe ich ihm gedankt, dass er in Paris am „Marsch der Republik“ teilgenommen hat und hier in Prag persönlich vorbeigekommen ist, um sich im Kondolenzbuch einzutragen. In Paris bekundeten die Staatschefs zahlreicher Länder ihre Solidarität, was ein sehr starkes und symbolträchtiges Zeichen war. Eine der Fragen, die ganz Frankreich zur Zeit beschäftigt, ist selbstverständlich der Ausbau der Sicherheitsmaßnahmen, um sensible Institutionen des Staates zu schützen. So zum Beispiel auch Schulen oder jüdische Einrichtungen. Aber diese Maßnahmen betreffen nicht nur Frankreich, sondern auch viele andere Länder. Hier ist eine noch bessere Zusammenarbeit nötig, um dem Phänomen Terrorismus zu begegnen, denn dieses geht alle Staaten etwas an.
Die Attentate auf Charlie Hebdo haben gezeigt, wie real und brutal die Bedrohung ist.

Wie real schätzen Sie diese Gefahr für die französische Botschaft hier in Prag ein? Müssen die Sicherheitsvorkehrungen erhöht werden?

Asvazadourian: Die französische Regierung hat bereits überall, wo Frankreich in der Welt präsent ist, wie auch selbstverständlich im Land selbst, die allgemeine Alarmbereitschaft erhöht und bemüht sich um maximale Sicherheit.

Tschechien gilt als ein äußerst atheistisches Land mit einer nahezu homogenen Gesellschaft. Somit unterscheidet es sich sehr stark von anderen europäischen Staaten wie eben Frankreich oder auch Deutschland. Was denken Sie, welche Auswirkungen werden die Anschläge von Paris auf die tschechische Gesellschaft haben, die seit mehr als zehn Jahren auch Teil der multikulturellen EU ist?

Asvazadourian: Wir sind eine Staatengemeinschaft, in der die Mitglieder auf eine gänzlich unterschiedliche, individuell geprägte Geschichte zurückblicken. Aber wir teilen diesen gemeinsamen europäischen Raum in einer Zeit, in der sich die Gesellschaften immer schneller entwickeln. Wir leben in einer globalisierten Welt, mit guten wie manchmal auch schlechten Auswirkungen. Den Gefahren, denen wir uns ausgesetzt sehen, müssen wir uns alle gemeinsam stellen und im demokratischen Kollektiv nach Antworten suchen, auch wenn wir alle einen unterschiedlichen Hintergrund haben in diesem europäischen Haus. Im Schengen-Raum sind im Prinzip alle den gleichen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen ausgesetzt.

Aber Sie würden die Einschätzung teilen, dass die Gefahr terroristischer Anschläge hier in Tschechien weniger groß ist als zum Beispiel in Ihrer Heimat?

Asvazadourian: Dass Frankreich von dieser Gefahr betroffen ist, dafür haben wir den traurigen Beweis. Aber man kann kaum hinter die Logik dieser terroristischen Bewegungen schauen. In Paris hat man gesehen, dass Terroristen gewillt sind, die Meinungsfreiheit oder bestimmte Kommunen wie die jüdische direkt anzugreifen, und damit die öffentliche demokratische Ordnung, wie sie auch in Tschechien existiert, im Allgemeinen. Die Ziele des Terrors sind also mannigfaltig, dessen sollten sich alle demokratisch gesinnten Menschen und Gesellschaften bewusst sein.

In Tschechien versuchte Tomio Okamura von der rechtspopulistischen Úsvit-Partei kurz vor  den Attentaten, mit islamophoben Parolen Sympathisanten und letztendlich Stimmen zu gewinnen. Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang die Stabilität demokratischer Werte, zu denen auch der Schutz der Minderheiten gehört, in der Tschechischen Republik ein?

Asvazadourian: Solche populistischen Bewegungen gibt es fast überall. Was mich daran so stört, ist, dass man mit einem solchen Diskurs am Kern der Sache komplett vorbeischießt. Das Ziel unserer Anstrengungen ist es, den Terrorismus zu bekämpfen, nicht eine Religion. Das darf man nicht vermengen. Bei den Demonstrationen in Paris am Sonntag haben die Menschen ein Zeichen für unsere demokratischen Werte gesetzt. Dasselbe geschah auch bei den Solidaritätsbekundungen hier in Prag. Die Bürger kamen, um zu sagen, wie wichtig freie Meinungsäußerung ist. Das ist eine ganz spezifische Besinnung auf etwas, das es während einer langen Zeit bis 1989 so nicht gab in diesem Land. Am Donnerstag und Samstag kamen verschiedene Leute auf mich zu, die ganz berührt waren. Manche davon haben gut in Erinnerung, wie man hier für die nun bedrohten Werte gekämpft hat und dass diese nicht selbstverständlich sind. Das macht die Bürger hier vielleicht noch sensibler für das Thema.

Was denken Sie, wie lange wird nun der Aufschrei „Wir sind Charlie“ bei der schnelllebigen „Generation Internet“ nachhallen?

Asvazadourian: Auch die Jugend war am Sonntag beim „Marsch der Republik“ mit auf den Straßen von Paris. Die nachrückende Generation lebt und benutzt in der Tat sehr intensiv das Internet, welches ja selbst ein Raum der freien Meinungsäußerung und Kommunikation ist. Gleichzeitig ist es aber auch der Ort, in dem Hass und Terror gepredigt wird. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Hier müssen wir die Jugend auch schützen. Aber ganz allgemein denke ich, dass wir in Frankreich die Narbe dieses Attentats noch lange spüren werden. Der Schmerz ist groß. Deswegen denke ich schon, dass die Besinnung auf gemeinsame Werte und vor allem die Atmosphäre der internationalen Solidarität noch lange nachhallen wird.