„Weil es sonst niemand macht“

„Weil es sonst niemand macht“

Pavla Holcová und ihr Team waren in Tschechien die Ersten, die von den „Panama Papers“ erfuhren. Wie kam es dazu?

22. 12. 2016 - Text: Katharina Wiegmann

Versteckt sich das Tschechische Zentrum für Investigativen Journalismus etwa hinter ­einer Briefkastenfirma? Auf dem Klingel­schild in der Prager ­Neustadt steht jedenfalls der Name eines Unternehmens, das nicht so klingt, als hätte es etwas mit Waffenschmuggel, Offshore-Konten oder armenischen Geschäftsmännern zu tun. „Wir teilen uns das Büro und sind gerade erst eingezogen“, lacht Pavla Holcová, als man sie darauf anspricht. „Aber ja, vielleicht bietet es uns auch ein bisschen Schutz.“ Denn das kleine Team beschäftigt sich mit brisanten Themen.

Für Tschechien, die Slowakei und Kuba übernahmen Holcová und ihre Kollegen die Auswertung der „Panama ­Papers“. Eine globale Recherche, bei der rund 300 Journalisten aus 118 Ländern 11,5 Millionen Dokumente sichteten, die ein anonymer Informant der „Süddeutschen Zeitung“ zugespielt hatte. E-Mails, Briefe, Verträge und Kontoauszüge der Kanzlei Mossack Fonseca belegten, wie Reiche, Prominente und Kriminelle ihr Geld vor den Behörden verstecken.

Fast eine Viertelmillion Dokumente hatte einen Bezug zu Tschechien. „Mehr als bei jedem anderen Land mit vergleichbarer Größe“, sagt Holcová. Auf der Liste standen Namen wie Petr Kellner und Daniel Křetínský, beide milliarden­schwere Unternehmer, „deren Eigentum und Geschäfts­imperien in bedeutendem Maße auf der Coupon-Privatisierung basieren“, wie das Zentrum im April bekanntgab, als alle beteiligten Medien – darunter der „Guardian“, „BBC“ und „Le Monde“ – zeitgleich ihre Ergebnisse veröffentlichten.

Das Zentrum für Investigativen Journalismus ist nicht einmal in Tschechien ein großer Name. Wie kam es zu diesem Rechercheprojekt, das weltweit für Aufsehen sorgte? Bei einer Konferenz im Oktober hatte Holcová schon eine Antwort darauf gegeben. Es hätte sich schlicht niemand gefunden, der so viel Zeit investieren konnte oder wollte. Auch nicht bei den großen Medien im Land. Heute formuliert sie es ein bisschen diplo­matischer und erzählt zum besseren Verständnis von der Gründungsgeschichte des Zentrums für Investigativen Journalismus in Tschechien.

Alles begann in Kuba
Die beginnt 2013 in Kuba. Holcová war früher oft in dem sozialistischen Land. Im Auftrag der Menschenrechtsorganisation „Člověk v tísni“ („Mensch in Not“) bildete sie dort unabhängige Journalisten aus. Vor drei Jahren begleitete sie der rumänische Journalist Paul Radu. „Kurz vor der Rückreise wurden wir von der Polizei festgehalten. Während wir warteten, hatten wir viel Zeit, um miteinander zu reden. So entstand die Idee mit dem Zentrum.“ Moment mal – wie bitte? Holcová grinst. Sie weiß, dass es eine gute Geschichte ist.

„Am Abend zuvor hatten wir in einer Bar einen Mann kennen­gelernt, der trotz Embargo militärische Ausrüstung nach Kuba schmuggelte. Es war fünf Uhr morgens, er war betrunken und erzählte uns von seiner Firma.“ Radu hatte den richtigen Riecher gehabt. „Er war alleine aufgrund des Aussehens an dem Mann interessiert und wollte unbedingt herausfinden, was er macht.“ Sie riefen Freunde an und ließen überprüfen, was sie gerade gehört hatten. Die Geschichte stimmte. Und offenbar hatte die kubanische Polizei ziemlich schnell mitbekommen, mit wem Holcová und Radu in einer Bar den Rum geteilt hatten. „Morgens um fünf Uhr kam die Polizei in unser Hotel, nahm unsere Flugtickets und unsere Reisepässe mit und verbot uns, das Zimmer zu verlassen.“

Radu erzählte Holcová von seiner Arbeit als investigativer Journalist – und davon, dass Tschechien in Europa ein schwarzes Loch sei. „Er sagte mir, dass es kein Problem sei, Tabakschmuggel von Montenegro bis London nachzuverfolgen. Nur auf halber Strecke, bei uns, gäbe es keine Ansprechpartner und niemanden, der Informationen liefere.“

Zurück in Prag machte sie sich auf die Suche nach Journalisten, die helfen könnten. Ohne Erfolg. „Ich entschied mich also dafür, diejenige zu sein, die mit Organisationen wie dem Organized Crime and Corruption Reporting Project zusammenarbeitet. Wenn es sonst niemand macht, mache ich es eben.“ Seitdem beteiligen sich Holcová und ihr Team an internationalen Recherchen, die von Netzwerken wie dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) oder dem Global Investigative Journalism Network angestoßen und über Fördergelder auch teilweise finanziert werden.

Mit dem ICIJ hatte das Zentrum schon an einer Geschichte über Geldwäsche durch Immobilienkäufe in Manhattan gearbeitet. Tschechische Geschäftsmänner waren damals beteiligt, Holcová und ihr Team lieferten Daten und Informationen. Auch beim Swiss-Leaks-Steuerskandal um die Bank HSBC arbeitete Holcovás Zentrum mit dem ICIJ zusammen. „Es gab also bereits eine vertrauensvolle Kooperation vor den Panama Papers“, so Holcová.

War dem Team klar, welche Ausmaße dieses Projekt annehmen würde? „Nein. Am Anfang war auch noch keine Schlagwortsuche möglich, erst nach sechs Monaten gab es technische Lösungen dafür. Wir konzentrierten uns auf rund 250 tschechische Namen.“ Holcová und ihre Kollegen machten die Nächte durch, in die Datenbank versunken. Später beteiligten sich auch andere tschechische Journalisten an der Auswertung, zum Beispiel von „Respekt“, „Právo“ und „Mladá fronta Dnes“.

„Wenn ich dann doch mal im Bett lag, ratterte es im Kopf weiter. Manchmal wachte ich mitten in der Nacht auf und zwei Informationen fügten sich auf einmal wie Puzzleteile zusammen.“ Dieses besondere Gefühl liebe sie an ihrem Job, der mit viel Arbeit für sehr wenig Geld verbunden ist.

War Holcová zufrieden mit den Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Enthüllungen der „Panama Papers“? „Es gab keinen großen Skandal“, gibt sie zu. „Für mich war es aber am wichtigsten zu sehen, wie dieses Schattengeschäft funktioniert. Vorher rannten wir immer gegen eine Mauer des Schweigens; ab dem Moment, als wir die Dokumente verstanden, war sie gebrochen.“ Die Erkenntnis, dass Reiche Steuern hinterziehen war nicht neu; die monatelange Recherche der Journalisten lieferte allerdings handfeste Beweise. „Ich verstehe, dass sich manche mehr erwartet haben. Aber die Daten sind, wie sie sind. Wir erfinden nichts, damit die Geschichte am Ende sexier wird.“