Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß

Laut einer Umfrage sind Tschechen gegenüber Homosexuellen sehr tolerant. Aber entspricht das wirklich der Realität?

7. 5. 2014 - Text: Franziska BenkelText: Franziska Benkel; Foto: MajkyMrazkova

Lukas Pospíšil zeigt ungern in der Öffentlichkeit, dass er schwul ist. Der 28-Jährige hat eine kräftige Statur, kurzes braunes Haar und einen Vollbart. Er sitzt auf der dunklen Lederbank des Q-Cafés, ein queeres Café in der Prager Innenstadt, und nippt an seinem Grüntee. Er überlegt kurz und stellt dann fest: „Ich habe keine Lust, die Leute auf der Straße zu verunsichern und zu zwingen, sich mit mir und meiner Sexualität auseinanderzusetzen.“ Dabei sollte er in Tschechien damit eigentlich nicht anecken – zumindest wenn man einer Studie aus den USA glaubt.

Mitte April veröffentlichte das „Pew Research Center“ mehrere Umfragen zum Thema „Moral“. Im Rahmen dieser breit ausgerichteten Studie wurden Bewohner aus 40 Ländern auch gefragt, wie sie zu Homosexualität stünden. In Tschechien waren 80 Prozent der Befragten für gesellschaftliche Akzeptanz von gleichgeschlechtlicher Liebe. Tschechien gehört damit in den Augen der Forscher zu den liberalsten Ländern der Welt.

Petr Kalla ist Anwalt bei der Organisation „Proud“, die sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzt. Die Ergebnisse der Studie sieht er mit Skepsis. „Ich würde in Tschechien eher von Toleranz als von Akzeptanz sprechen. Das bedeutet Akzeptanz mit Vorbehalten. Solange man nichts mit eigenen Augen sehen muss, ist alles in Ordnung.“

Laut der Studie spielen auch Faktoren wie Alter und Geschlecht eine Rolle in der Einstellung gegenüber Homosexualität. So seien Tschechen unter 50 Jahren liberaler als ältere, Frauen offener als Männer. Die Studie stellt auch einen engen Zusammenhang zwischen Religion und Sexualität her. So würde gleichgeschlechtliche Liebe weit weniger akzeptiert, wenn eine Gesellschaft religiös sei. Tschechien gilt als eines der atheistischsten Länder der Welt – was zum Teil mit den 40 Jahren Sozialismus zusammenhängt.

Laut Kalla hatte die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aber auch negative Folgen für Homosexuelle. „Nach dem Krieg gab es kaum noch Minderheiten, aus einer bunten vielschichtigen Bevölkerung wurde eine homogene Masse. Dann kam der Sozialismus und keiner konnte mehr dem anderen trauen.“ Dieses Misstrauen und die ständige Angst führten laut Kalla zu einer Verschlossenheit, die bis heute anhält.

Nikola Bratrychová geht offensiv mit ihrer sexuellen Orientierung um. „Ich kann  gar nicht verstecken, dass ich lesbisch bin, weil ich viel zu gerne über meine Freundin rede“, so die 24-Jährige. Bratrychová studiert Medienwissenschaften in Prag und trägt ihr braunes Haar schulterlang. Die junge Frau spricht von Stereotypen und Vorurteilen, mit denen sie sich häufig konfrontiert sieht, sobald Menschen erfahren, dass sie lesbisch ist. „Die Leute reagieren oft völlig erstaunt und sagen Dinge wie: Du siehst ja gar nicht aus wie eine Lesbe, du hast ja gar keine kurzen Haare und trägst keine Männerklamotten.“ Bratrychová findet, man müsse genau diese Stereotypen bekämpfen.

Kalla, der Teil der ortsansässigen LGBT-Szene ist und sich als Anwalt für sexuelle Gleichstellung einsetzt, spricht von einer „großen Kluft“ zwischen gelebter Realität und der Gesetzeslage. Seit 2006 existiert zwar die registrierte Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare, steuerliche Vorteile oder das Recht auf Adoption ergäben sich dadurch jedoch nicht. „Die Registrierung hat eher einen symbolischen Charakter. Sie zeigt zwar, dass Veränderungen wahrgenommen und reflektiert wurden, doch wirkt sie eher wie ein Kompromiss“, so der Anwalt. Mit gesellschaftlicher Akzeptanz habe das aber wenig zu tun.

Gabriel Ravasz trägt ein buntes Hemd und bunte Tattoos auf den Armen. Seit einem Jahr lebt er mit Pospíšil in einer regis­trierten Partnerschaft. Pospíšil ist Naturwissenschaftler und stammt aus Votice, einer kleinen Stadt in Mittelböhmen. Er hatte sein Coming-Out bereits mit 16 Jahren. Negative Erfahrungen habe er aufgrund seiner sexuellen Orientierung nie gemacht. Ravasz lacht: „Na ja, außer deine Großmutter, die hat anfangs schon noch auf eine Freundin gehofft.“ Der 28-Jährige betont, dass oftmals innerhalb der Familie die Homosexualität der Kinder zwar akzeptiert, doch eher als eine Phase wahrgenommen und nicht wirklich respektiert würde.

Ihren Lebensstil nennen die beiden konservativ. Nächstes Jahr möchten sie aufs Land ziehen. Sie bauen gerade ein Haus im Heimatdorf von Pospíšil. „Wir laden gerne Freunde zum Abendessen und zu einem Gläschen Wein ein und würden mittlerweile auch gern einmal Kinder haben.“ So weit, meint Ravasz, würde die tschechische Akzeptanz dann aber doch nicht reichen. „Ich denke nicht, dass es noch zu unseren Lebzeiten möglich sein wird, dass homosexuelle Paare ein Kind adoptieren können.“